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L2V7

Nämlich muß ick als richtiger Vater der Stadt,-warte mal, ick will

Dir mal mit meine Jelehrsamkeit unter de Oogen treten: der olle Schwa-
droneur Cicero, aus det olle Rom, der nannte sich „pater patriae,“ wo
heile noch der Ausdruck „Landesvater" von her stammt, wat se heite ooch
noch bei de Studenten singen, wenn se sich Löcher in de Koppe, nee blos in
de Mützen, stechen — — doch det ick meine Rede nich verjesse, also als
richtijer Vater der Stadt muß ick davor sorjen, det die Aktionäre der Pferde-
bahn ooch ufs ihre miehselijen Kosten kommen, ick darf also keene Droschke
nehmen, un denn muß ick meine Zeit als rejierender Herr von Berlin ooch
so ausnntzen, det det plundrije Reichstagsmandat dreiste in de Brichc sehen
kann, namentlich wenn der jroße Ensen kommandirt. Ick jloobe hiedurch
meine Qualifikation zum Oberbirjermeester von Berlin hinreichend nach-
jewiesen zu haben, un wenn Du noch Jnwendnngen zu machen hast, denn
mach' se bald, sonst haben se mir inzwischen vielleicht schon jewählt, un det
de Rejierung mir bestätigt, ick jlobe, daran kafin nach det Projramm, wat
ick Dir eben entwickelt habe, jar keen Zweifel mehr sind.

Aber schwitzt Dir ooch so? Mir mächtig! Ick kann Dir blos sagen,
lieber Jacob, bei die Hitze kann Eener wirklich brejenklietrig werden, un denn
kommt er uff janz verrickte Ideen un will Oberbirjermeester von Berlin
werden.

Aber laß Dir dadurch nich stören, lieber Jacob, Deine Reisepläne weiter
zu machen. Ick werde meine Ruhezeit an'n Wilmersdorfer See zubringen
un sehe denn vielleicht zur Nachkur een bisken nach Reinickendorf, wenn se
mir von wesen die Hitze nich schon vorher nach Dalldorf bringen. An den
Wilniersdorfcr See möchte ick doch zu ferne, weil ick riesig vor det Wasscrfahren
schwärme. Oder meenste vielleicht, det ick in dieser Beziehung besser bähte,
wenn ick mir bei den Majistrat als Sprengkutscher vermiethen Wirde? Du
hast Recht, un wo Du Recht hast, da hast De Recht. Denn in sonne
Position kann ick den janzen Dag Wasser fahren, un komme nie in die
Jcfahr, det ick vielleicht ersaufe. Det wäre nämlich schon darum Schade,
weil ick denn doch nie Oberbirjermeester werden könnte, denn eenen ver-
soffenen Oberbirjermeester werden se doch in Berlin wahrscheinlich nich
haben wollen.

Ick will mir je ooch nu durchaus nich usfdrängeln. Wenn sc mir
durchaus nich haben wollen, denn kennen se alleene in ihr Unjlick rin rennen,
ick kann se nich uffhalten. Denn bleibe ick eben hier ruhig an'n Jörlitzer
Bahnhos sitzen, un et kann sich der Andere, den se sich vor mir wählen
werden, meinswejen quälen, soville wie er will, ick habe mein Möglichstet
jedahn. Ick bejnieje mir schließlich ooch mit meine Stellung als Nörgler,
wobei ick mir bis jetzt janz wohl jesnhlt habe. Wenn De also bis ieber-
morjen von mir keene Rohrpostkarte hast, det ick Oberbirjermeester jeworden
bin, denn war et nischt, mit welchen Trost un welche Hoffnung ick ver-
bleibe wie jewöhnlich erjebenst un mit ville Jrieße Dein treier

Jotthilf Naucke.

An'n Jörlitzer Bahnhos jleich links.

Sächsische Gde.

mch Wenn ich doch ä BitlT* war'!

Mrr dähk sich um mich reiste»!
In Nanry Lxrche und Franzos',

In Kiel sogar de Vreiste».

Nischd scheeures wie äu Nüssen gibk'ol
Selbst unsre Nadzioualen
Dust» nur de Wcdde und'» Döhm
Mid Mnssensrciudschask brastlr».

Se frei'» sich, dast der Iar in Kiel
Sich gnädigst liest erblickten —

Wie ganil Le» so ä Kieler Grust
Nur gar so sehr endxilken?!

»

Hosielspähne.

Es ist in unsrer schonen Zeit
Nichts seltner wie Bescheidenheit,
Besonders wenn gar demnthsvoll
Ein Patriot sie üben soll.

Doch sieh: Daß uns der Zar beehrt,

Und hält uns der Begrüßung wcrth,

Ganz flüchtig im Vorübergehn,

Weil wir gcrad am Wege stehn —

Deß freut der Patriot sich sehr,

Die Russenfrcundschaft rühmet er;

An seinem Beispiel sehen wir:
Bescheidenheit ist eine Zier.

* *

*

Das französisch -czechische Chanvinistenfest in
Nancy war ein Spiegel für unsere sogenannten
Patrioten. Sie sahen darin, wie sich unser deutsches Sedan fest ans-
niinmt. * *

*

Es ist die deutsche Landwirthschaft
Dem Volk eine sorgende Mutter,

Nachdem sie vertheuert das Fleisch und da§ Brot,

Da fälscht sie uns die Butler.

* *

*

Die Antisemiten legen alles Unbrauchbare und Werthlose den Inden
zur Last, indem sie z. B. schlechte Flinten Judcnslinten nennen. ■ Siad)
derselben Taktik könnte man die antisemitische Partei, da sie völlig werthloS
ist, eine Judenpartei nennen.

Ihr getreuer Säge, Schreiner.

Aermsten der Zwangslage am leichtesten- und häu-
figsten ausgesetzt sind, von der Luft zu leben, diese
aber nach unserer hoffentlich überzeugenden Dar-
legung ein steuerbarer Konsumartikel ist. Es erhellt,
daß eine feinere Gliederung dieser Abgabe dnrch-
zufnhren ist. Für diejenigen, welche Sommer-
frischen, Villegiaturen, Bäder bewohnen, sind günstige
Ausnahmevorschriften gar wohl zu treffen.

Eine andere Steuerqnelle, welche niemals ver-
siegen wird, solange die heutige Gesellschaft besteht,
ja die immer reichlicher fließen wird, gründet sich
auf die jedesmaligen Ergebnisse aller derjenigen
Wahlen zu öffentlichen Körperschaften, Reichstag,
Landtag, Geineinde, bei denen sozialdemokratische
Stinnnzettel in die Urne gelegt werden. Da die
Ziffer dieser Stimmen stetig wächst, eine drohende,
aber unvermeidliche Gefahr — wir können in dieser
vertraulichen Denkschrift, die den Proletariern nicht
in die Hände fallen wird, offenherzig reden — so
gilt es wenigstens diesen naturgesetzlichen Vorgang
gründlich auszubenten und die reichlich fließenden
Einkünfte zu einer aus Hinterladern und Bayonnettcn
gebildeten Schutzwehr gegen die Todfeinde der
bürgerlichen Ordnung zu verwenden. Die Steuer,
die hier vorgeschlagen wird, soll kurz gesagt eine
Denksteuer sein. Kein Zweifel, daß die harte
Nothwendigkeit uns zwingt, den gesellschaftlichen
und politischen Fortschritt jener Klasse mit allen
Kräften zurückzudrängen, der die Zukunft gehört:
je länger die Galgenfrist, desto später die Sintflnth.
Es ist ein verrottetes Vorurtheil ideologischer
Schwärmer, daß wenn nicht Rede-, Preß- und
Versammlungsfreiheit, so doch die Gedankenfreiheit
ein Grundrecht der Kulturmenschheit sei. Beklagens-
werther Jrrthum, der die Geister unnvälzt, das
Bestehende zersetzt, die Rebellion in die Köpfe und
Herzen trägt! Der Denkprozeß, der sich auf öffent-
liche Angelegenheiten bezieht, unterliegt der staat-

lichen Aufsicht und der staatlichen Erlaubniß, so
gut wie der Betrieb von Pulvermnhlen und Dynamit-
fabriken. Was ist ein Berg durchschlagender Spreng-
stoffe verglichen mit dem sozialistischen Gedanken,
der die Arbeiterschaft revolntionirt und den Klassen-
kampf als das nothwendige Mittel der Erlösung
in das Bewußtsein der Massen trägt!

So ist cs geboten, eine wirkliche Kopfsteuer ins
Leben zu rufen, die den Proletarier nicht blos
züchtigt, sondern auch brandschatzt, unseren Säckel
füllt, das Heerwesen stärkt. Man lege nach den
Wahlen — Einzelheiten Vorbehalten! — in be-
stimmten Zeitabschnitten einen Kataster an, der in
entsprechendem Verhältniß zur Zahl der abgegebenen
sozialistischen >Ltimmen die einzelnen Wahlkreise zur
Dcnkstener veranlagt. Natürlich gilt der Grundsatz,
daß der Kreis der Steuerpflichtigen nur die besitz-
lose» Schichten cinschließt, alle diejenigen, deren
Einkommen sie von Haus aus der Sozialdemokratie
verdächtig erscheinen läßt, Fabrikarbeiter, Handlanger,
ländliche Taglöhner, Kleinhandwerker u. dgs. Trifft
die Denksteuer gutgesinnte Bürger, so müssen sie ihr Leid
mit christlicher Geduld ertrage». Auf die Dauer
sind sie für uns doch nicht zu halten, und auf einen
Schuß Ingrimm kommt es heutzutage nicht mehr
an. Je höher die Zahl der sozialistischen Stiinm-
zettel, desto höher auch der Steuerfuß! Erinnert
man sich, daß 1890 zur Reichstagswahl weit über
eine Million solcher verwerflicher Zettel für Arbeiter-
kaudidatcn gezählt wurden, daß der Aufstieg von
Jahrfünft zu Jahrfünft zunehnien wird, so muß
man kein Herz im Leibe haben, wollte man sich
nicht über das Wachsthum der Reichseinnahmen
freuen. An die Arbeit, ihr Herren Steuerpolitiker!

Zur Steuerpolitik.

21.: ES ist doch gut, daß durch die geplante
Vermögenssteuer die großen Vermögen höher
besteuert werden sollen.

B.: Noch besser wäre es, wenn man der großen
Vermögens-Ansammlung steuern könnte.

Mti\\ glühet die Sonne de» Sommers,
Dnh Wein und Noen grrakhen;

Daneben anrh Todrsmärsihe
vesrhecrk sie de» deutsche» Soldaten.

Ei» Feiger, der besingt de» Math,

Ein Duminkopf uiit dem Doktorhut
Sind mir vertzaht; doch »och berhahler
Ist tugendhaft geschminkte« Laster.

Vorschlag.

Der Pfarrer von Wcmding hat die „Kölnische
Zeititng" wegen Nachdruck seines Teufelsprotokolls
verklagt. Uni auch alle künftigen Eingriffe in das
Privilegium für Teufelei, welches die Ultramontanen
beanspruchen, zu verhüten, schlagen wir vor, daß die
Teufelsbeschwörungen beim Reichspatentamt einge-
tragen und jeder ausgetriebene Teufel mit der Di arte
„Gesetzlich geschützt" versehen wird. Man tvird
dann die Teufelei nicht mehr mit Nach druck betreiben
und die Wähler mancher Wahlkreise dürfen sich nicht
unterfangen, eigenmächtig den Teufel des Ultra-
montanismus ans ihrem Bezirk auszutreiben.

Dos Welsengold.

2l.: ES ist dockt schade, daß die Onitiungen der
Welfenfonds nicht veröffentlicht worden sind.

B.: O, der Schaden ist gering; die große
Korruption der reaktionären Prcsse ist schon
eine hinreichende Quittung für den Welfenfond.
 
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