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Bekenntnisse eines Gedankenlesers. 2=^
it vieler Mühe und ausgerüstet mit der dazu nöthigen
Naturanlage, hatte ich die bedeutendste Wissenschaft der
Gegenwart, die Gedankenleserei erlernt und bildete mir
darauf schrecklich viel ein. Denn wer die Gedanken
Anderer jeden Augenblick erforschen kann, muh doch der Klügste von
Allen sein, sagte ich mir.
Zunächst beabsichtigte ich, mich glücklich zu verheirathen. Einem
Gedankenleser kann es darin ja nicht fehlen, er kann niemals von seiner
Frau hintergangen
werden und kann die
Wünsche des lieben
Weibchens schon er-
füllen, bevor sie aus-
gesprochen sind.
Ich schaute mich
um unter den Töch-
tern des Landes, aber
ich hatte kein rechtes
Glück. Da kokettirte
zum Beispiel ein mun-
terer Backfisch auf
Tod-und Leben mit
mir/ aber als ich die
Gedanken derKleinen
prüfte, fand ich, daß
sie während ihres Ko-
kettirens im Stillen
Vergleiche zwischen
mir und einem Kom-
mis eines Mode-
bazars anstellte, die
ganz zu Gunsten des
Letzteren ausfielen.
Eine andere, schon recht reife Schöne überschüttete mich mit Liebens-
würdigkeiten, aber sie überlegte dabei, wie rasch sie mir das Trinken
und das Rauchen abgewöhnen wollte, wenn ich erst in ihrer Gewalt
wäre. Die meisten der zierlichen Salondamen, denen ich begegnete,
dachten überhaupt nicht, und so blieben sie mir trotz meiner Gedanken-
lesekunst nur ein verschlossenes Buch. Endlich fand
ich ein recht nettes Mädchen, welches sich furchtbar
zierte und schüchtern abwehrte, als ich meine Ge-
neigtheit kundgab, sie in das gelobte Land der Ehe
einzuführen. Um zu erfahren, ob diese Abwehr Ernst
sei, las ich ihre Gedanken, und was sagten die-
selben? „Immerzu, ich nehme nöthigenfalls einen
Strohwisch zum Gatten, wenn ich nur endlich unter
die Haube komme."
Na, als Stellvertreter des Strohwisches wollte
ich nicht gelten. Ich ließ das Heirathen sein und
wandte mich der Gelehrsamkeit zu; ich lernte die
größten Zierden der Wissenschaft kennen, hochgelahrte
Professoren mit berühmten Namen und blank-
geputzten Glatzen. Welcher Genuß wird es sein, in
der Gedankenfülle dieser auserlesenen Schädel zu
schwelgen, dachte ich.
Vor Allem befragte ich die Weisen der Gegen-
wart über die soziale Frage. Aber was mußte ich
erleben! Im Schädel eines Gelehrten liegen, wie
ich mich durch Einblick überzeugte, die schulgerecht
angelernten Kenntnisse wie ein Knäuel verfitzter
Zwirn durcheinander. Stellt man dem Gelehrten eine Frage, so zieht
er eines der Hervorragendei: Enden aus dem Knäuel hervor, und das
Ganze wird dabei oft noch mehr verwirrt. Der Sozialismus ist in diesen:
Wust von Schulweisheit überhaupt nicht vertreten, denn er gehört
nicht zu den offiziellen Disziplinen des akademischen Bildungsganges.
Er ist den Gelehrten nicht eingedrillt worden, als sie noch Schüler
waren, und jetzt, als Gelehrte, betrachten sie es als ihr unveräußer-
liches Menschenrecht, überhaupt nichts mehr zu lernen; deshalb sind
sie ja auch meistens so kolossal dumm.
Natürlich bleiben sie trotzdem keine Antwort schuldig, wenn sie
über Sozialismus befragt werden. Sie sagten mir eine Menge hoch-
tönender Sätze über das Unhaltbare und Unausführbare der sozia-
listischen Theorie, aber wie ich mich auch anstrengte, einen logischen
Gedanken aus ihren Phrasen herauszulesen, es war vergeblich; sie
wußten nichts von Marx, was konnten sie vom Sozialismus wissen?
Mit der Gelehrsamkeit war's also nichts, und ich wandte mich
der Politik zu. Hier winkten mir zweifellos bedeutende Erfolge, wenn
ich es unternahm, die Gedanken der Staatenlenker zu erforschen und
daraus zu erkennen, was der deutschen Nation bevorsteht.
Ich setzte mich in einen Schnellzug und fuhr nach Karlsbad, dem
derzeitigen Aufenthaltsorte des deutschen Reichskanzlers.
Kaum war ich angekommen, so begab ich mich auf den Kriegs-
pfad; ich schlenderte die Parkstraße hinab, besuchte die Kurpromenade
und suchte in dem Gewimmel der mit Glaubersalzwasserkrügeln aus-
gerüsteten Badegäste den verantwortlichen Redakteur der deutschen
Reichsherrlichkeit.
An den Wasserquellen war er nicht zu finden, ebenso wenig bei
der Kurkapelle; als ich aber in den Restaurationsraum des Kurhauses
trat, — richtig, da saß der Graf Caprivi bei einem Glas Bier, legte
soeben die Frühstückskarte aus der Hand und starrte nachdenklich vor
sich hin.
„Wahrscheinlich denkt er an den Wechsel in: italienischen Mini-
sterium und an die möglichen Folgen für den Dreibund," kombinirte
ich und setzte mich in möglichste Nähe des Reichskanzlers, um unbe-
merkt seine Gedanken zu revidiren.
Anfangs fand ich eine Weile gar nichts, dann endlich ein klarer,
abgerundeter Gedanke. „Mit der kurgemäßen Lebensweise in einem
solchen Badeorte ist es auch der reine Mumpitz," dachte Caprivi.
Das ist wahr, aber um es zu erkennen, .braucht man kein
Diplomat zu sein. Wenn er doch etwas Politisches denken wollte,
wünschte ich.
Jetzt nahm er eine Zeitung in die Hand. Nun wird's losgehen!
Aber leider, die Zeitung vermochte seine Aufmerksamkeit nicht zu
fesseln; er dachte an ein opulentes Diner bei Dressel in Berlin, und
schließlich tauchten sogar die silbernen Köpfe von Champagnerflaschen
in: Meere seiner Gedanken en:por.
„Wenn Der so weiter denkt, wird er im Leben nicht an den
Nothstand glauben," sagte ich mir.
Endlich kamen einige ganz unausstehlich vornehm aussehende
Herren und stürzten sich mit wilder Gier auf den einsamen Kanzler
Bekenntnisse eines Gedankenlesers. 2=^
it vieler Mühe und ausgerüstet mit der dazu nöthigen
Naturanlage, hatte ich die bedeutendste Wissenschaft der
Gegenwart, die Gedankenleserei erlernt und bildete mir
darauf schrecklich viel ein. Denn wer die Gedanken
Anderer jeden Augenblick erforschen kann, muh doch der Klügste von
Allen sein, sagte ich mir.
Zunächst beabsichtigte ich, mich glücklich zu verheirathen. Einem
Gedankenleser kann es darin ja nicht fehlen, er kann niemals von seiner
Frau hintergangen
werden und kann die
Wünsche des lieben
Weibchens schon er-
füllen, bevor sie aus-
gesprochen sind.
Ich schaute mich
um unter den Töch-
tern des Landes, aber
ich hatte kein rechtes
Glück. Da kokettirte
zum Beispiel ein mun-
terer Backfisch auf
Tod-und Leben mit
mir/ aber als ich die
Gedanken derKleinen
prüfte, fand ich, daß
sie während ihres Ko-
kettirens im Stillen
Vergleiche zwischen
mir und einem Kom-
mis eines Mode-
bazars anstellte, die
ganz zu Gunsten des
Letzteren ausfielen.
Eine andere, schon recht reife Schöne überschüttete mich mit Liebens-
würdigkeiten, aber sie überlegte dabei, wie rasch sie mir das Trinken
und das Rauchen abgewöhnen wollte, wenn ich erst in ihrer Gewalt
wäre. Die meisten der zierlichen Salondamen, denen ich begegnete,
dachten überhaupt nicht, und so blieben sie mir trotz meiner Gedanken-
lesekunst nur ein verschlossenes Buch. Endlich fand
ich ein recht nettes Mädchen, welches sich furchtbar
zierte und schüchtern abwehrte, als ich meine Ge-
neigtheit kundgab, sie in das gelobte Land der Ehe
einzuführen. Um zu erfahren, ob diese Abwehr Ernst
sei, las ich ihre Gedanken, und was sagten die-
selben? „Immerzu, ich nehme nöthigenfalls einen
Strohwisch zum Gatten, wenn ich nur endlich unter
die Haube komme."
Na, als Stellvertreter des Strohwisches wollte
ich nicht gelten. Ich ließ das Heirathen sein und
wandte mich der Gelehrsamkeit zu; ich lernte die
größten Zierden der Wissenschaft kennen, hochgelahrte
Professoren mit berühmten Namen und blank-
geputzten Glatzen. Welcher Genuß wird es sein, in
der Gedankenfülle dieser auserlesenen Schädel zu
schwelgen, dachte ich.
Vor Allem befragte ich die Weisen der Gegen-
wart über die soziale Frage. Aber was mußte ich
erleben! Im Schädel eines Gelehrten liegen, wie
ich mich durch Einblick überzeugte, die schulgerecht
angelernten Kenntnisse wie ein Knäuel verfitzter
Zwirn durcheinander. Stellt man dem Gelehrten eine Frage, so zieht
er eines der Hervorragendei: Enden aus dem Knäuel hervor, und das
Ganze wird dabei oft noch mehr verwirrt. Der Sozialismus ist in diesen:
Wust von Schulweisheit überhaupt nicht vertreten, denn er gehört
nicht zu den offiziellen Disziplinen des akademischen Bildungsganges.
Er ist den Gelehrten nicht eingedrillt worden, als sie noch Schüler
waren, und jetzt, als Gelehrte, betrachten sie es als ihr unveräußer-
liches Menschenrecht, überhaupt nichts mehr zu lernen; deshalb sind
sie ja auch meistens so kolossal dumm.
Natürlich bleiben sie trotzdem keine Antwort schuldig, wenn sie
über Sozialismus befragt werden. Sie sagten mir eine Menge hoch-
tönender Sätze über das Unhaltbare und Unausführbare der sozia-
listischen Theorie, aber wie ich mich auch anstrengte, einen logischen
Gedanken aus ihren Phrasen herauszulesen, es war vergeblich; sie
wußten nichts von Marx, was konnten sie vom Sozialismus wissen?
Mit der Gelehrsamkeit war's also nichts, und ich wandte mich
der Politik zu. Hier winkten mir zweifellos bedeutende Erfolge, wenn
ich es unternahm, die Gedanken der Staatenlenker zu erforschen und
daraus zu erkennen, was der deutschen Nation bevorsteht.
Ich setzte mich in einen Schnellzug und fuhr nach Karlsbad, dem
derzeitigen Aufenthaltsorte des deutschen Reichskanzlers.
Kaum war ich angekommen, so begab ich mich auf den Kriegs-
pfad; ich schlenderte die Parkstraße hinab, besuchte die Kurpromenade
und suchte in dem Gewimmel der mit Glaubersalzwasserkrügeln aus-
gerüsteten Badegäste den verantwortlichen Redakteur der deutschen
Reichsherrlichkeit.
An den Wasserquellen war er nicht zu finden, ebenso wenig bei
der Kurkapelle; als ich aber in den Restaurationsraum des Kurhauses
trat, — richtig, da saß der Graf Caprivi bei einem Glas Bier, legte
soeben die Frühstückskarte aus der Hand und starrte nachdenklich vor
sich hin.
„Wahrscheinlich denkt er an den Wechsel in: italienischen Mini-
sterium und an die möglichen Folgen für den Dreibund," kombinirte
ich und setzte mich in möglichste Nähe des Reichskanzlers, um unbe-
merkt seine Gedanken zu revidiren.
Anfangs fand ich eine Weile gar nichts, dann endlich ein klarer,
abgerundeter Gedanke. „Mit der kurgemäßen Lebensweise in einem
solchen Badeorte ist es auch der reine Mumpitz," dachte Caprivi.
Das ist wahr, aber um es zu erkennen, .braucht man kein
Diplomat zu sein. Wenn er doch etwas Politisches denken wollte,
wünschte ich.
Jetzt nahm er eine Zeitung in die Hand. Nun wird's losgehen!
Aber leider, die Zeitung vermochte seine Aufmerksamkeit nicht zu
fesseln; er dachte an ein opulentes Diner bei Dressel in Berlin, und
schließlich tauchten sogar die silbernen Köpfe von Champagnerflaschen
in: Meere seiner Gedanken en:por.
„Wenn Der so weiter denkt, wird er im Leben nicht an den
Nothstand glauben," sagte ich mir.
Endlich kamen einige ganz unausstehlich vornehm aussehende
Herren und stürzten sich mit wilder Gier auf den einsamen Kanzler