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- 1310

M Ein dunkles Geheiinniß. W

„Wäre es möglich!" rief der Sozialdemokrat.

„Jener Mann," fuhr der Alte fort, „war der Schrecken der
ganzen Gegend. Er bereicherte sich an den Einwohnern und sie
fürchteten ihn. Er war auch ein Schutzzöllner und der Handel ent-
richtete ihm seinen Tribut."

„Also ein moderner Ausbeuter, Großindustrieller, Wucherer?"

„Mit Verlaub," erwiderte der Bergmann auf diesen Einwurf
seines Gastes, „dieses war er eben nicht, und das ist zuletzt sein Un-
glück gewesen. Er war ein Ausbeuter im alten Stile — lebte er
doch vor hundert Jahren! Er nahm den Leuten das Geld direkt
aus der Tasche oder aus dem Kasten. Er brannte die Häuser gleich
nieder, anstatt Geld darauf zu leihen und sie dann versteigern zu
lassen. Er wartete nicht, bis ihm durch Schutzzölle blankes Gold zu-
geführt wurde, sondern er hielt die reisenden Kanfleute auf der Land-
straße an und stellte ihnen Schutzbriefe aus, wenn sie ihm einen Zoll
zahlten. Weigerten sie sich, diesen Schutzzoll zu zahlen, dann wurden
sie von der Bande des Räuberkönigs ausgeplündert. Mit einem
Worte, es war der berühmte Schinderhannes, von dem ich erzähle."

„Und wie endete die Herrschaft des großen Räubers?" fragte
der Sozialdemokrat.

„Sie endete, wie sie enden mußte. Schinderhannes war, wie ich
schon sagte, kein moderner Mensch. Anstatt den Kommerzienraths-
titel zu erhalten, hatte er allerlei Verfolgungen zu bestehen, wurde
mehrmals gefangen und endlich hielt man ihn so fest, daß er nicht
mehr als Herrscher in sein Reich zurückkehren konnte. An einem
trüben Novembertage des Jahres 1803 versammelte sich zu Mainz
viel Volks, um dem großen Schinderhannes die letzte Ehre zu geben. Ein
Galgen war errichtet, eine hänfene Schlinge wurde dem Gefangenen
um den Hals gelegt, plötzlich machte er einen Luftsprung, dann hing
er ganz still und nahm hinfort Niemandem mehr einen Schutzzoll ab."

Der Alte schwieg.

„Und was wurde aus den Schützen, die der Räuber gesammelt
hatte?" fragte der Sozialdemokrat.

Da rückte der alte Bergmann näher und dämpfte seine Stimme
zum Flüstertöne.

„Das ist ein dunkles Geheiinniß, und nur die ältesten Leute der
Gegend wissen darum. Und keiner wagt davon zu sprechen, der den
Zorn des König Hanf zu fürchten hat.

„Was hat der König Hanf damit zu thun?"

„Gar viel," erklärte der Alte. „Seine Macht ist auf den Grund-
lagen jener Räuberherrschaft errichtet, eine illegitime Dynastie in
einem illegitimen Reiche. Hört, wie es sich zugetragen: Als Schinder-
hannes nn Zenith seiner Räüberherrschaft stand, als die Bevölkerung
vor ihm zitterte, wie heute vor dem Jndustriebaron, da meldete sich
bei seiner Bande ein junger, anstelliger Bursche, ein Schmied, Namens
Hanf, genannt Ratzenhannes. Einen solchen Menschen, der etwas
vom Schlosser- und Schmiedehandwerk verstand, konnte Schinderhannes
gerade brauchen. Er hatte sich mit der Zeit eine gewaltige Menge
Gold bei Seite gebracht und bedurfte dafür eines sicheren Behälters
zur Aufbewahrung; denn es als Depot auf die Staatsbank zu legen,
das wagte er nicht, und den Bankiers traute er nicht, die hielt er für
seine Kollegen. Jetzt mußte Ratzenhannes nach den Anweisungen
seines Chefs eine große Kiste stark mit Eisen beschlagen und mit
dauerhaftem Verschluß versehen. In diese Kiste wurde der Goldschatz
des Hauptmanns gelegt; an einem sichern Versteck dafür fehlte es nicht
in dieser an Schluchten so reichen Gegend; der Schatz wurde geborgen
und Niemand außer Schinderhannes selbst und sein treuer Ratzen-
hannes kannte den Aufbewahrungsort. Als endlich die Soldaten den
Schinderhannes gefangen und seine Bande zersprengt hatten, da war
es dem Ratzenhannes gelungen, in die Berge zu entfliehen. Der
Hauptmann wurde gehenkt, ohne verrathen zu haben, wo seine Schätze
lagen; nun war Rahenhannes der Einzige, der um die Goldkiste noch
wußte. Er ließ eine Zeit verstreichen, bis er sicher war, daß seine
Betheiligung an der Räuberbande den Behörden unbekannt geblieben.
Dann machte er sich in einer stürmischen Frühlingsnacht auf den Weg
und holte die Goldkiste aus ihrem sicheren Versteck. Als wohlhabender
Mann ließ er sich sodann in unserem Orte nieder, kaufte Grund und

er Donner rollte und grelle Blitze durchzuckten die raben-
schwarze Nacht. Es war ein furchtbares Gewitter, das sich
über den industriereichsten Bezirk der Provinz entlud.
Durch Regen und Sturm schritten zivei Wanderer einer
einsamen Hütte zu, welche am Rande des Waldes lag. Der Eine
war ein alter, eisgrauer Bergmann, der Andere eine hochgewachsene,
jugendkräftige Mannesgestalt.

„Welch ein Sturm," sagte der Jüngere mit einem Blick auf die
schlanken Tannen, die vom Winde fast auf den Boden gedrückt wurdem

„Laß ihn toben," bemerkte der Alte bedächtig. „Heute haben
wir ja noch ein ganz anderes Gewitter erlebt, heute sind die Grund-
säulen eines „Königthums" erschüttert worden."

Der Andere nickte beifällig, er wußte, worauf sich diese Anspielung
bezog, hatte er jenes „andere Gewitter" doch selbst heraufbeschworen. Er
war nämlich ein sozialdemokratischer Agitator und hatte in diesem Bezirk
heute zum ersten Male eine Arbeiterversammlung zu Stande gebracht.

Das war nicht leicht gewesen, denn das Erwerbsleben der Gegend
wurde von einem jener großen Jndustriebarone beherrscht, welche
ganze Provinzen ausbeuten und über das Wohl und Wehe der von
ihnen abhängigen Bevölkerung mit der Willkür eines asiatischen Fürsten
gebieten. Dieser Gewaltige, Herr von Hanf mit Namen, war Be-
sitzer aller Bergwerke und Fabriken des Bezirks und man nannte ihn
den „Eisenkönig" oder einfach „König Hanf." Er hatte durch Ein-
schüchterung der Arbeiter, der Saalwirthe u. s. w. sozialdemokratische
Versammlungen immer zu verhüten gewußt, heute aber war der
Bann gebrochen worden und die nwderne Aufklärung war mit mäch-
tigem Ansturm in das Reich des Eisenkönigs eingedrungen.

Die beiden Wanderer hatten die Hütte, das Heim des alten
Bergmanns, erreicht. Derselbe führte seinen Gast ins Wohnzimmer
und setzte ihm ein einfaches Abendmahl vor.

„Wißt Ihr," begann er dann geheimnißvoll, durch's Fenster nach
dem Walde deutend, der noch immer vom Sturme durchfegt und
momentan von Blitzen erleuchtet wurde, „wißt Ihr, daß in diesen
Wäldern und in diesen Bergen vor Zeiten schon ein Mann als abso-
luter König herrschte, obgleich er zum Herrscher ebensowenig berufen
war, wie heute unser König Hanf?"
 
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