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1334

Der Tcrnz öes Lebens.

M^t hier den wunderbaren
Zeigen!

Der Lozialismus spielt die
L Geigen. —

Verkehrt ist die Rangordnung ganz;
Der Proletarier sührt den Tanz.
Lr tanzt nicht leicht, er tanzt mit

Wacht,

Daß manchmal wohl die Diele kracht.

von Andres.

Vorsichtig setzt der Zweite ein.

Ls scheint ein Licrtanz zu sein,

Lo abgemessen thut er schreiten,
Macht Bücklinge nach allen Leiten,
Versichernd stets, er sei ein Lhrist. —
Ls ist ein Staatssozialist.

Gleich hinter ihm mit schwankem Lchritt
Hüpft linkisch ein Antisemit.

Lr winket Allen mitzukommen,

Allein die Juden ausgenommen. —
verstoßen seien sie zumal!

Das nennt man christlich-sozial.

verlassend hergebrachte Normen,
Linnend aus Lozialreformen,

Daß er vor Umsturz uns bewahr',
Zeh ich dort den Professor gar.
Auch ihn hat die Musik gepackt,

Doch ist er niemals recht im Takt.

Den Aanzler selber reißt cs fort.

Lr spricht dabei manch'schönes Wort:
Die Welt von Drangsal zu befreien,
Ltell' er sich über die Parteien,

Lr werde suchen seinen Ruhm
3m sozialen Uönigthum.

Der Papst sogar im Heil'gcnscheine
Hebt seine altersschwachen Beine
Lchwerfällig nach demUlang der Geigen.
Lr muß sich mal dem Volke zeigen,
Ls sehe, daß er auch noch da;

Drum schrieb er die Lncyklica. —

Dort tanzt fürwahr ein Polizist,
Wenn es auch unfreiwillig ist. —

Lr überwacht auf Lchritt und Tritt
Die Lozialisten und hüpft mit.

Lr glaubt, er habe sie am Ltrick,
Lndeß er tanzt nach ihrer Musik.

,,Irrlehrer" will sich lustig machen
Und tanzt drum in der That zum Lachen.
Lr schneidet wunderliche Kratzen
Wie aus dem Dache tolle Ratzen.

Lr glaubt zu spotten und merkt nicht.
Daß man verspottet ihn, den Wicht.

Aus Angst tanzt der Spießbürger mit.
Man merkt es am unsichern Lchritt
klnd sieht es dem Gesicht wohl an.
Daß er sich fühlt auf dem Vulkan.

Lr thäte gern ja mehr noch drum,
Läßt man ihm nur sein Ligenthum.

Die Weiber, Rinder Und Loldaten,
Reaktionäre, Demokraten,

Die einen laut, die andern leise,

Lin Jeder tanzt nach seiner Weise,
Lchier unabsehbar ist der Reigen:
Der Lozialismus spielt die Geigen.

„Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen."

Lin Reiseerlebniß, erzählt von I. A.

Bls Handwerksbursche durchzog ich in Gesellschaft eines „Strau- !
bingers" einst auch das nassauische Ländchen. Ein Nassauer
von Geburt bin ich nicht und eigentlich auch keiner von
Charakter. Das hatte mein Walzkamerad auch wohl
bald gemerkt und sich mir deshalb als „Bruder
Schlosser" angeschlossen; denn obgleich ich mir nicht
merken lassen wollte, daß ich noch „einige Harte"
irgendwo stecken hatte und, wenn auch etwas zag-
haft, mit fechten ging, so hatte er es doch fertig
zu bringen gewußt, daß ich seit einigen Tagen
schon der gemeinschaftliche Kassenverwalter war,
wobei sich aus natürlichen Gründen ein Defizit
noch nicht bemerkbar gemacht hatte.

So zogen wir, nachdem ich in einer Schenke
am Wege einige Schoppen Wein gezahlt hatte, wozu
ich so per Zufall noch einige Groschen fand, die
durch die bodenlose Westentasche ins Futter gerutscht
waren, unseres Weges der Lahn entlang und kamen
in ein Städtchen. Unter der Nachwirkung der ge-
nossenen Schoppen stieg ich meinem Bruder Schlosser
getrost nach in das erste beste Häuschen, wo er sofort seinen Spruch:
„Verzeihen Sie einem armen Reisenden, den ganzen Tag noch keinen
warmen Löffel im Leibe gehabt," anbrachte.

Die Hausfrau, es war eben um die Mittagszeit, hatte ein gutes

Herz, winkte uns in die Küche und setzte uns die Ueberbleibsel eines
Gerichtes Rüben vor.

„Die Rüben, ach, die Rüben, die haben mich vertrieben," ging
es mir wohl durch den Sinn, doch griff auch ich
zu, und da Hunger als der beste Koch im Kamisol
vorhanden war, rutschten denn die Rüben auch
hinunter und unter Danksagungen trollten wir uns
weiter.

Rechts und links an den Hausthüren blinkten
uns blanke Schilder entgegen. „O weh," meinte
mein Gefährte, „schon wieder so eine Anti-Bettelei-
Vereins-Stadt." Dennoch schwenkte er in einen Thor-
weg ein und wiederholte seinen Zauberspruch. Auch
hier war nur ein Mütterchen daheim. Die Herren
Ackerbürger schienen draußen im Felde zu sein.
„Kommt nur näher, daß Euch der Herr Gendarm
nicht sieht," meinte die gutmüthige alte Frau, und
setzte uns, nachdem wir Platz genommen, wieder
eine Schüssel mit Rüben vor! Mein Schlosser
würgte einige Löffel voll hinunter. Bei mir aber
war schon der Versuch umsonst und mit einem: „Vergelt's Gott!"
schoben wir schnell wieder ab.

Rüben hatten wir wohl genossen, aber Geld hatten wir keins
erhalten. Also noch einmal kühn darauf los und in ein größeres
 
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