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1335

Haus, schon am Ende der Stadt, hinein. Da waren wir aber an den
Unrechten gerathen! Das war der Präsident des Anti-Bettelei-Vereins.
„Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen," empfing er uns salbungs-
voll und setzte würdevoll hinzu: „Wollt Ihr aber essen, so müßt Ihr
zum Wöhle der Menschheit Holz hacken!"

So wurden wir in den Hof und in eine Scheune geführt. Da

lag ein Haufen Klötze, die
sollten wir spalten, sonst
müßten wir züm Herrn
Gendarmen.

Damit wir nicht ent-
wischten, sperrte man uns
von außen mit einem vor-
gelegten Querholze ein, denn
den: Herrn war wohl mehr
an dem Holzhacken als daran
gelegen, uns aufs Gericht
führen zu lassen. Da stan-
den wir nun und schauten
einander an. Das Holz
hätten wir am Ende schon
klein gekriegt, aber wes-
halb sollten wir uns klein
kriegen lassen? Mein Bru-
der „Katzenkopf"* sah sich
um in dem Raum, guckte durch alle Ritzen, nahm seinen Berliner,
schnürte ihn auf und holte einige Haken hervor. Damit schritt er
zu einer Thür, die ich bis dahin nicht einmal bemerkt hatte, und
machte sich daran zu schaffen.

Es dauerte nicht lange, so sperrte er die Thür auf und sah mich
triumphirend an. Der Raum mar fast ganz mit gespaltenem Holz
angefüllt.

„So," meinte er, „dem scheinheiligen Gesellen wollen wir es
geradeso machen, wie er es mih uns macht. Wenn er meint, das
Recht zu haben, ein Paar ehrliche Handwerksburschen einzusperren,
sie für sich abrackern zu lassen, um sie nachher vielleicht mit einer
Schüssel voll Rüben abzufinden, so täuscht er sich. Also, Hamburger,
fest angepackt!"

In kurzer Zeit hatten wir annähernd so
viel kleines Holz aus dem Stall entfernt, als
unsere Klötze wohl ergeben hätten, — und dafür
brachten wir die Klötze im dunklen Raume
unter und bedeckten sie mit dem gespaltenen
Holz, so daß an eine Entdeckung vorläufig
nicht zu denken war.

Die uns aufgetragene Arbeit hatten wir
demnach schneller als Herkules die seine gethan
und nachdem die Thür wieder zugesperrt war,
harrten wir der Dinge, die da kommen würden.

Nach geraumer Zeit wurden wir aus der Ge-
fangenschaft erlöst. Der Herr Präsident musterte
uns und unsere Arbeit und sagte schmunzelnd:

„Nun, es scheint noch nicht Hopfen und Malz
an Euch verloren zu sein, da soll auch ein
Zehrpfennig und ein Imbiß Euer sein."

Ein Imbiß? dachte ich, aha, jetzt giebt's
was Gutes!

Es kam auch. Der Knecht, oder was er
war, nöthigte uns in die Küche und stellte uns eine Schüssel hin und
meinte: „Laßt's Euch schmecken! Dann kommt ins Haus und empfangt
Euer Weggeld, wie's die Herren vom Verein halten."

Der Inhalt der Schüssel kam mir dem Dufte nach gleich etwas

* Spitzname der Schlosser nach einer alterthümlichen Schloßkonstruktion.

verdächtig vor und richtig, es waren abermals — Rüben. Wir Beiden
sahen uns verdutzt an und diesmal deklamirte ich laut:

„Die Rüben, ach, die Rüben,

Die haben mich vertrieben!"

Mein Kamerad Schlosser aber, poetisch veranlagt, wie er war,
erwiderte:

Ob „Zwiesel" — Zwiebel
oder Zweifel bedeuten sollte, war
mir nicht klar, aber richtig, da
standen ein Paar Reitstiefel und
schwupp zu gleichen Portionen
verschluckten die offenen Rachen
der bespornten Fußfutterale das
Rübengericht. Mir wurde etwas
übel zu Muthe, wenn ich auch
gewiß war, diese Rüben nicht
mehr essen zu müssen. Ich er-
griff meinen Berliner und meinen
Reisestock und war schneller auf
die Straße, als wir vorher herein-
gekommen waren. Mir war es aber nicht recht geheuer. Die in die
Stiefel verschütteten Rüben stießen mir mehr auf, als die gegessenen.
Mein Schlosser holte jedoch erst das Geschenk für sich und mich, das
freilich mager genug ausfiel. Es waren zusammen zehn Kreuzer.

Bald hatten wir das Städtchen hinter uns. Doch waren wir
Beide müde vom Marschiren und nicht verrichteter Holzhackerei. Mein
Gefährte erspähte nach einem ungefähr dreiviertelstündigen Marsche
ein Plätzchen an der Böschung eines Bächleins, dem unter der Chaussee
sein kleines Bett überwölbt worden war. Behaglich hatten wir uns
schon eingerichtet, und ich war gerade im Begriff einzuschlummern,
als wir Pferdegetrappel hörten. „Man sucht uns!" rief ich unwill-
kürlich und schon stand mein Kumpan ohne Stiefel im Wasser, im
Begriffe, unter das Brückengewölbe zu kriechen. Wie der Blitz hatte
auch ich mein Schuhzeug ausgezogen und mich rechtzeitig unter die
Brücke geduckt, als der Reiter über unsere Köpfe dahingaloppirte.

Gemüthlich war die Lage eben nicht, barfuß
in dem kalten Gerinne zu stehen mit dem
Berliner in der Hand.

Als Alles wieder still war, kroch ich lang-
sam an der Böschung hinauf, um auszuspähen,
während mein Schlosser sich kaum hervor-
wagte.

Richtig! An tausend Schritt vor uns hält
der Mann des Gesetzes und spricht mit einem
Bäuerlein, welches zu unserem Glücke ihm einen
Weg durch die Felder in ganz anderer Richt-
ung zeigt. Uns hatte er nicht bemerkt.

Bäuerlein und Gendarm waren bald
unseren Blicken entschwunden, doch dauerte es
noch ein Weilchen, bis wir es riskirten, unfern
Marsch fortzusetzen.

Mein Schlosser aber mochte der Sache
nicht recht trauen, wahrscheinlich von wegen der
frisch gefütterten Stiefeln. Als wir an den
nächsten Kreuzweg kamen, meinte er: „Gehe
Du gerade aus, ich gehe rechts. Es ist besser, sie sehen uns nicht bei
einander. In Koblenz treffen wir uns wieder. Komm' nur auf die
Schlosserherberge!"

Nach Koblenz bin ich dann wohl in zwei Tagen gekommen, aber
meinen Schlosser habe ich nicht wiedergesehen. Ob ihn der „Grünrock"
doch noch erwischt hat?

„Die Rüben ohne Zwiesel,

Die schütten wir in die Stiefel!"
 
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