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Zigeuner-Loos.

(Siehe unsere Beilage.)

Ser Zeichner unserer heutigen Beilage, der
talentvolle Maler Hans G. Jentzsch, von
dem wir in der letzten Zeit so manche vor-
treffliche Illustration und die Reproduktion seiner
beiden Bilder: „Rougct de l'Jsle trägt die Mar-
seillaise vor" und „Camille Desmoulins im Garten
des Palais Royal" brachten, hat sich neben unserm
altbewährten Zeichner O. E. Lau schnell die Gunst
unseres Publikums erobert. Beiden Zeichnern wird
in allen Kreisen ein uneingeschränktes und wohl-
verdientes Lob gezollt.*

Das vorliegende Bild „Zigeuner-Loos" ist nach
einer spanischen Romanze entstanden, in welcher
es heißt:

Warum führt man denn geschlossen
Den Zigeuner durch das Thor?

Weil ein Goldstück er gefunden.

Eh' noch Jemand es verlor.

In den Zeiten der Roth soll es Vorkommen,
daß die braunen Söhne und Töchter des Zigeuner-
volkS das Mein und Dein verwechseln und in
ihrer Art für die bessere Bertheilung der Güter
eintreten, was dann die Folge hat, daß sie mit
dem Gefängniß Bekanntschaft machen, in welchem
sie sich wohl so unglücklich fühlen mögen, wie der
Vogel im Käfig.

Es ist dem Künstler gelungen, die Zigeuner-
familie charakteristisch aufzufassen und darzustellen,

* An dieser Stelle sei bemerkt, daß durch weiteres Heran-
ziehen tüchtiger Künstler der illustrative Theil unseres Blattes
noch mehr Mannigfaltigkeit zeigen wird; wir werden bestrebt
sein, dem Volk auch auf diesem Gebiet das Beste zu geben.

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und ebenso die Kleinbürger des Landstädtchens, die
sich in weisen Betrachtungen ergehen über die ver-
derbte Welt, die gar nicht mehr arbeiten, sondern
nur noch genießen will.

Wünschen wir dem zottigen Gesellen nebst Weib
und Kind trotzdem bald wieder die Freiheit, ohne
die sie verschmachten müßten, wie der Fisch ans dem
trockenen Lande. Beim Anblick des lebcnswarmen
Bildes empfindet man so recht den poetischen Zauber
des Lenau'schen Gedichts „Die drei Zigeuner":

Drei Zigeuner fand ich einmal
Liegen an einer Weide,

Als mein Fuhrwerk mit müder Qual
Schlich durch sandige Heide.

Hielt der Eine für sich allein
In den Händen die Fiedel,

Spielte, umglüht vom Abendschein,

Sich ein feuriges Liedel.

Hielt der Zweite die Pfeif' im Mund,

Blickte nach seinem Rauche,

Froh, als ob er vom Erdenrund
Nichts zum Glücke mehr brauche.

Und der Dritte behaglich schlief.

Und sein Cymbal am Baume hing,

Ueber die Saiten der Windhauch lief,

Ueber sein Herz ein Traum ging.

An den Kleidern trugen die drei
Löcher und bunte Flicken,

Aber sie boten trotzig frei
Spott den Erdengeschicken.

Dreifach haben sie mir gezeigt.

Wenn das Leben uns nachtet.

Wie man's verraucht, verschläft, vergeigt
Und es dreimal verachtet.

Der Zellengenosse.

(Siehe die Illustration.)

auch auf diesem Bild begegnen wir einem aus
der menschlichen Gesellschaft Ausgestoßenen.
Ist es ein Mann, der im leidenschaftlichen
Drange seines Herzens sich gegen die Gesetze aufgelehnt
hat, oder ist es ein „Verbrecher," der in der Roth des
täglichen Lebens sich das nahm, was ihm die Gesell-
schaft durch ihre strengen Satzungen vorenthielt?
Wer weiß es. — Der Künstler scheint sich einen
jener finstern russischen Kerker vorgestellt zu haben,
in welche die Despotie alle Diejenigen unterzu-
bringen pflegt, die laut und heftig protestircn gegen
den Zustand, in welchem unmenschliche Gewalthaber
das russische Volk halten. Das Kostüm und die
Ketten des Gefangenen sprechen für diese Auffassung,
ebenso die Beschästignng, eine Maus zu dressiren.
Bildet das letztere doch eine Lieblingsuntcrhaltung
der politischen Gefangenen in den unterirdischen
Zellen der Peter-Paul-Festnng in St. Petersburg,
sowie in der Festung zu Schlüsselburg. — In den
meisten Fällen vertauscht der Gefangene seinen
Kerker mit dem Grabe oder — was noch schlimmer
ist — mit den Bergwerken im östlichen Sibirien.
Und trotzdem finden sich immer wieder von Frei-
heitsliebe beseelte Menschen, die nicht Kerker noch
Tod scheuend, den Kampf gegen das Zarenthum
aufnehnien, dessen Sturz ihnen sicher gelingen wird.

Der Dienst der Freiheit ist ein schwerer Dienst!

Er trägt nicht Gold, er trägt nicht Fürstengunst,

Er bringt Verbannung, Hunger, Schmach und Tod.

Und doch ist dieser Dienst der höchste Dienst!

Ihm Hab' auch ich mein Leben angelobt.

Er hat mich viel gemühet, nie gereut.

(Uhland.)

Der Lellengenasse.

Rach dem Gemälde von S. T. Rauecker.

Verantwortlich für die Redaktion. Georg Baßler in Stuttgart. — Druck und Verlag: I. H. W. Dietz in Stuttgart.
 
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