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- 1354

(Größenwahn in ^Varzin.

ie Selbstsucht hat es Ih,n angethan
Und hat Ihn mit Blindheit geschlagen,
Ls naht Ihm gespenstisch der Größenwahn
Jetzt in Seinen alten Tagen.

Schier dreißig Jahre hat Lr regiert
Mit Seiner eisernen Ruthe,

Ls ward das Volk am Zügel geführt
Von Junkern im Uebermuthe.

Lr nannte -ie guten Deutschen frei,

Als glücklich Lr Arieg geführet,

Und hat sie durch Seine Polizei
Mit einem Maulkorb verzieret.

Die Junker zapften sich blankes Gold
Aus Zöllen und aus -er Besten'rung;

Das Volk jedoch schier verhungern wollt'
Bei des Fleisches und Brotes Vertheu'rung.

Nun red't sich -er alte Arakehler ein
In Seiner Vermessenheit Größe,

Das deutsche Volk müss' Ihm dankbar sein
Für alle -ie Tritte und Stöße.

wenn wieder kommt eine wählerschlacht,
So hofft Sr, wird es mit Freuden
Zurück Ihm erobern die alte Macht
Und einen Triumph Ihm bereiten.

Gemach, das wir- wohl nicht möglich sein,
Unapx wurden in Deutschland die Thoren;
Sin vielmillionenstimmig „Nein!"
wird schlagen Ihm an -ie Ohren!

Berlin, Ende November.

Lieber Jacob!

Nu möchte ick Dir mal wirklich janz offen 'ne uffrichtije Frage vorlejen. Aber
antworte mir ooch janz frei raus, vor mir brauchst Du Dir nich zu gcniren, denn
ick dhue et ooch nich. Also, raus vor'n Dahler: „Hältst Du mir vor interessant?"

Ratierlich merke ick ja schon, det Du mit allerlei Winkelzüge rauskommen
inechtest, aber det nicht Dir dicsinal nu nischt, ick will det janz jenau wissen.
Ick kieke mir schon alle Dage in'n Spiejel, um wenigstens an meinen
äußeren Menscheu rumzustudiren, ob ick wat Jnteressantet an mir entdecken
kann, aber ick finde blos, det ieber meine Fiesionomieh der Jlanz eener
abjcklärtcn Dämlichkeit ausjebreitet is.

Sei man ruhig, lieber Jacob, ick höre, det Du vor Dir hinbrummelst:
„Mein Jott, wat will Naucke, am Ende is er ieberjeschnappt, da wäre et
am Ende doch am Besten, er jinge jleich direkt nach Dall—". Nanu man immer

ruhig Blut un warm anjezogen, wenn det Herz man jut is, de Seele kann
dreist 'n Sprung haben! Von Dalldorf un sowat det verbitt' ick mir einfach, ick
verfüge vorleifig immer noch ieber meine finf jesunde un normale Reichssinne.

Also, ick habe wat vor, un ick muß wissen, ob ick interessant oder un-
interessant bin. Näinlich, wenn ick uninteressant bin, denn jetzt die Sache,
wenn ick aber interessant bin, denn wird et sengerich. Ick weeß ja nu
nich, lieber Jacob, ob Du ooch de- Zeitungen mit orndtliche Uffmerksamkeit
verfolgst. Da stand nämlich neilich wat drin, wat mir eklig uffjestoßen hat.
Von wejen den Altreichskanzler nämlich, un von wejen det Jnterjuhen nämlich,
damit De ooch sehst, det ick engelsch kann. Ick habe nämlich de Absicht, ooch mal
nach Varzin zu jehen, indem ick Verschiedenet uff'n Herzen habe, worieber ick
jerne Ufsschluß un wat ick andrerseits ooch Widder jern von'» Herzen runter
haben möchte. Nu habe ick aber jelesen, det bei den Altreichskanzler der
Jrundsatz herrscht: „Interessant bei Tisch, dann aber rausschmeißen!"

Lohn I.

I.

s zählt der alte Stamm der Äohne,

Der stets in neuen Zweigen prangt,
bereits ein gutes Schock Marone;

Wer weih sogar, ob das »och langt.

Indessen kann ein Lohn auf Erben,

Ist er nur keck und ohne Scheu,

Selbst Dürstbischof von Dlnrüch werben,

Und das ist mehr und sicher neu.

D Mapagedl, Leim der Schmuhle,

Wie mir der Traum das ödirn erhitzt,

Daß einst dein Sohn auf Vetri Stuhle
Dm Schmucke der Tiara stht!

II.

Wenn Lohn auch nicht des Vaters ööandwerk trieb,
Jedoch beim Glauben seiner Väter blieb,

Was konnte ihm im besten Dall' gelingen?

Är könnt' es höchstens bis zum Rabbi bringen.

Das steht ein Kind, das sah auch Lohn wohl ein;
Run ist er Dürstbischof— „was kann da fein?"
And fruchtlos ist, wie staunend wir gelesen,

Gin Erzherzog sein Konkurrent gewesen.

Wahrscheinlich wirb in Waste Juda nun
Römisch-katholisch — kann es Vestres thun?
Gelehrsamkeit und priesterlicher Wandel
Erzielt doch mehr als Korn- und Kleiderhanbel.

III.

Juda, du kannst jetzt deiner Deinbe Rotten
And was Anti-Semit sich nennt, verspotten,

And ungestraft und furchtlos dich vermesten,

Wie Vitriol dich sicher durchzufresten.

Ahlwardt und Möckel oder wie sie heißen,

Laß sie nur stuinpf sich ihre Zähne beißen
An dieser Ruß, Semitenthum mit Rainen,

Am Volke Israel und feinem Samen.

And fei gewiß, zum Vifchof, wie dein kleiner
Gelehrter Lohn, bringt es von denen keiner!

Die Scherbe.

fahrelang hatte die Scherbe unter dem alten
Gerümpel gelegen, dichte Staubschichten,
Jahr für Jahr eine neue, grau wie Spinn-
weben, hatten sich über sie gelagert. Und
Niemand kam in die dunkle Kammer, kein
Sonnenstrahl stahl sich durch die dichtverschlossencn
Fensterläden, der Kehrbesen drang nicht bis in diesen
weltverlorenen Winkel. Zerbrochene Stühle, abge-
tragene Kleider, ein drahtumsponnener Topfmit einem
Riß vom Henkel bis zum Boden, ein Flederwisch und
eine Theekanne mit zerspaltener Schnauze lagen auf
ihr und nahmen ihr das Bischen Lebenslust. Sic
wurde engbrüstig und blind, die graue, verlassene
Scherbe, und spann sich in ihren Schmerz und ihre
Einsamkeit fest und fester ein, wie ein Seidenwurm.

Der Wurm fraß ihr am Herzen, weil sie
wußte, daß sie nichts zu hoffen hatte. Und die
goldenen Bilder der Vergangenheit zogen an ihr
vorbei, neckisch und nicht zu greifen, eins nach
dem andern. Wenn ich nur eine fühlende Seele
hätte, dachte sie, unter all diesen Lumpen und
Fetzen, dem Bruchwerk, den Holzsplittern. War
sie nicht auch jetzt in ihrem Elend cdelgestaltet, aus
bestem Stofs geknetet, mit zartem Pinsel bemalt?
Ein Schäfer im Rokokokleid küßt einer schönen

Dame mit starrem Reifrock, blonden Locken und
blauen Augen die schlohweiße Hand. Und über
was für Erlebniffe könnte sie berichten, die Scherbe
aus Sövres-Porzellan!

So träumt sie in ihrer Ecke, unter dem Drucke
der Staubmassen, während die Krethi und Plethi
um sie herum stumpfsinnig brüteten und im Halb-
schlaf böse Worte miteinander wechselten und Hand-
greiflichkeiten. Denn dies Unbelebte webt und
wirkt, wenn die Menschen es unbarmherzig zum
Trödel machen, und in dem Plunder haftet die
Erinnerung an die Geschichte der Menschen, die so
rücksichtslos mit den Lappen und dem alten Eisen
verfahren. Dies könnte gar übel ausschlagen für
Viele dieser Vandalen, wenn der Abhub wieder
ans Licht des Tages käme, und seine Sprache von
Allen verstanden würde. Aber nur Sonntags-
kinder, die am ersten Mai mit dem Glockenschlag
Mitternacht geboren sind, verstehen die Sprache.

Die Gedanken jagten sich bei der armen, unter-
drückten, begrabenen Scherbe.

Ein prächtiges Gemach, hohe Spiegelfenster,
die Decke Gold und weiß, Sammtsessel und be-
queme Divans, seidene Vorhänge und Benetianer-
spiegel. Am Tisch sitzt ein Paar, ein blühendes,
schönes, junges Weib und ein stolzer Herr, das
Haar gepudert, den Galanteriedegen an der Linken,
das Jabot zierlich gefältelt, einen wundervollen
Demantring an der rechten Hand. Er ist der Herr
des Schlosses, worin sie hausen, der Herr des
Landes, zu dessen Bezirken der Herrensitz gehört,
der Herr des schlanken, lieblichen Mädchens, das
neben ihm sitzt, zitternd, zagend, mit klopfendem
Herzen, geblendet durch all die Pracht, hingerissen
durch die heißen Liebesworte. Er ist ritterlich, der
hohe Herr, der sie von ihrem Vater gekauft hat
für eintausend fünfhundert blanke, vollwichtige, un-
beschnittene Dukaten. Sie ist gekommen als Kammer-
sräulein für die kranke, blasse Frau des Fürsten,
 
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