-•«**- Beilage zum „Wahren Zacav" Or. 167.
Eine Geschichte vom Geivi>srn.
Uon Sirach.
/ Jt_J f as bläuliche Licht der elektrischen Lampen, das ihn
jählings übergoß, als er ans dem Zwielicht der Neben-
gösse trat, hatte ihn geblendet. Er stand einen Augen-
blick still, während um ihn, rastlos, ungeduldig, mitleidslos die
Menge flnthcte, ein ewiger Strom. Vor den Auslagen der Läden
drängten sich die Neugierigen; Arbeiter, müde und abgehetzt, eilten
nach ihrem Viertel, geputzte Dirnen und geschniegelte Gecken schleu-
derten ans dem Bürgerstieg. Der Schnee fiel in seinen, weißen
Flocken.
Viele der Fußgänger trugen Päckchen und Packetc, Dienstlente
schleppten Kisten und an den Ecken hielten die Händler Tannen-
und Fichtenbäumchen feil. Richtig, heute ist Weihnachtsabend.
Er hatte es vergessen. Was ging ihn dieses Fest mt? Hatte er
Freunde, eine Geliebte, ein Weib? Hatte er ein Heim? In seiner
eiskalten Mansarde wartete Niemand auf ihn als der Hunger.
Seit drei Tagen schlug er sich mit diesem Feind herum. Erst die
Uhr, dann der Ring, den seine Mutter ihm an, Sterbebette
gegeben, dann der Winterrock. Jetzt war er am'%' ade, der
Pfandleiher hatte nichts von ihm zu erwarten. I W
Dichter rieselte der Schnee herab. Er fror, und das dünne
Sommerjacket schützte nicht gegen diese feuchte Kälte, die Haut
und Knochen schüttelte. Dabei der verdammte leere Magen, dieser
brennende Schädel, das Flimmern vor den Augen, und dies Bohren
und Nagen und Reißen in der Brust. Es war ihm schon oft
schlecht genug ergangen, so verteufelt elend noch nie. Und er
fühlte sich schlapp, ohne Muskelkraft; das Hirn lvar müde, ent-
setzlich müde. Ob er ein Ende machen sollte? Hatte er denn die
Energie, den Sprung ins Dunkle zu machen, dort, wo unter dem
kühngespannten Brückenbogen der Strom dahinfloß, ruhig, schläfrig,
wo- die hochbeladenen Kähne verankert lagen? Wozu auch? Es
dauerte doch nicht mehr lange. Dann ging er aus wie ein Docht
ohne Oel. Er schwelte nur noch ein wenig, knistert, das Bischen
Gluth verlischt. Fertig.
Wie war es doch? Er war auch einmal jung, ein fröhliches,
rothbackiges, jubelndes Kind. Viele Wachslichter brannten auf dem
Tannenbaum, die Klingel rief, er stürzt herein. O diese Geschenke,
das Bilderbuch, der Honigkuchen, die Holzschäschen. Aber diese
Geschichte ist ja ein Traum, ein Gedicht der Vergangenheit. Er
war es ja gar nicht. Oder war er's doch? Und Alles dahin
lute der Morgenthau, wenn die Sonne im Scheitel steht, und die
Luft gewitterheiß ist. Ist er nicht ein Narr? Will er ein besseres
Loos als die Millionen, die vielen Millionen armer Seelen, die
Elenden und Verlassenen? Was ist er denn als ein Tropfen am
First? Der rollt herab unbemerkt, nicht bedauert in dieser Menschen-
see, wo die Stnrmflnth die Wogen aufthürmt, und die gewaltige
Masse wuchtig daherrollt. Wer achtet des Einzelnen?
Durch seinen armen Kopf huschten die Gedanken schneller als
der Blitz. Er konnte jetzt in die strahlende Helle der breiten Straße
sehen, der elvig pulsirenden Ader der Weltstadt. Und da er anf-
schante, stand der Andere neben ihm. Der Andere, den er kannte, der
ihm folgte Schritt auf
Schritt, und den er sah,
wenn die Verzweiflung über
ihn kam, wenn das schwarze
Elend ihn schüttelte. Heute
erblickte er den Andern so
deutlich wie nie zuvor, blut-
los, grau, wie Nebelhauch
hob er sich vor ihm empor,
und doch war der Andere
ihm vertrant. Seine Züge,
schattenhaft zwar und ver-
zerrt,. aber doch seine Züge
trug er.
„Nun," nickte er, „bist
Du endlich so weit? Was
nützt Dir Deine schöpferische
Kraft, was Dein Wissen?
Plunder, werthloser Plun-
der. Du hungerst, Du
leidest, Du frierst. Sieh,
ich weiß Dir zu rathen,
heute das letzte Mal. Folge
mir!"
Der Andere schritt vor-
aus durch ein Gewirr von
„Ihr seid's," sagte der alte, runzlige Mann.
Eine Geschichte vom Geivi>srn.
Uon Sirach.
/ Jt_J f as bläuliche Licht der elektrischen Lampen, das ihn
jählings übergoß, als er ans dem Zwielicht der Neben-
gösse trat, hatte ihn geblendet. Er stand einen Augen-
blick still, während um ihn, rastlos, ungeduldig, mitleidslos die
Menge flnthcte, ein ewiger Strom. Vor den Auslagen der Läden
drängten sich die Neugierigen; Arbeiter, müde und abgehetzt, eilten
nach ihrem Viertel, geputzte Dirnen und geschniegelte Gecken schleu-
derten ans dem Bürgerstieg. Der Schnee fiel in seinen, weißen
Flocken.
Viele der Fußgänger trugen Päckchen und Packetc, Dienstlente
schleppten Kisten und an den Ecken hielten die Händler Tannen-
und Fichtenbäumchen feil. Richtig, heute ist Weihnachtsabend.
Er hatte es vergessen. Was ging ihn dieses Fest mt? Hatte er
Freunde, eine Geliebte, ein Weib? Hatte er ein Heim? In seiner
eiskalten Mansarde wartete Niemand auf ihn als der Hunger.
Seit drei Tagen schlug er sich mit diesem Feind herum. Erst die
Uhr, dann der Ring, den seine Mutter ihm an, Sterbebette
gegeben, dann der Winterrock. Jetzt war er am'%' ade, der
Pfandleiher hatte nichts von ihm zu erwarten. I W
Dichter rieselte der Schnee herab. Er fror, und das dünne
Sommerjacket schützte nicht gegen diese feuchte Kälte, die Haut
und Knochen schüttelte. Dabei der verdammte leere Magen, dieser
brennende Schädel, das Flimmern vor den Augen, und dies Bohren
und Nagen und Reißen in der Brust. Es war ihm schon oft
schlecht genug ergangen, so verteufelt elend noch nie. Und er
fühlte sich schlapp, ohne Muskelkraft; das Hirn lvar müde, ent-
setzlich müde. Ob er ein Ende machen sollte? Hatte er denn die
Energie, den Sprung ins Dunkle zu machen, dort, wo unter dem
kühngespannten Brückenbogen der Strom dahinfloß, ruhig, schläfrig,
wo- die hochbeladenen Kähne verankert lagen? Wozu auch? Es
dauerte doch nicht mehr lange. Dann ging er aus wie ein Docht
ohne Oel. Er schwelte nur noch ein wenig, knistert, das Bischen
Gluth verlischt. Fertig.
Wie war es doch? Er war auch einmal jung, ein fröhliches,
rothbackiges, jubelndes Kind. Viele Wachslichter brannten auf dem
Tannenbaum, die Klingel rief, er stürzt herein. O diese Geschenke,
das Bilderbuch, der Honigkuchen, die Holzschäschen. Aber diese
Geschichte ist ja ein Traum, ein Gedicht der Vergangenheit. Er
war es ja gar nicht. Oder war er's doch? Und Alles dahin
lute der Morgenthau, wenn die Sonne im Scheitel steht, und die
Luft gewitterheiß ist. Ist er nicht ein Narr? Will er ein besseres
Loos als die Millionen, die vielen Millionen armer Seelen, die
Elenden und Verlassenen? Was ist er denn als ein Tropfen am
First? Der rollt herab unbemerkt, nicht bedauert in dieser Menschen-
see, wo die Stnrmflnth die Wogen aufthürmt, und die gewaltige
Masse wuchtig daherrollt. Wer achtet des Einzelnen?
Durch seinen armen Kopf huschten die Gedanken schneller als
der Blitz. Er konnte jetzt in die strahlende Helle der breiten Straße
sehen, der elvig pulsirenden Ader der Weltstadt. Und da er anf-
schante, stand der Andere neben ihm. Der Andere, den er kannte, der
ihm folgte Schritt auf
Schritt, und den er sah,
wenn die Verzweiflung über
ihn kam, wenn das schwarze
Elend ihn schüttelte. Heute
erblickte er den Andern so
deutlich wie nie zuvor, blut-
los, grau, wie Nebelhauch
hob er sich vor ihm empor,
und doch war der Andere
ihm vertrant. Seine Züge,
schattenhaft zwar und ver-
zerrt,. aber doch seine Züge
trug er.
„Nun," nickte er, „bist
Du endlich so weit? Was
nützt Dir Deine schöpferische
Kraft, was Dein Wissen?
Plunder, werthloser Plun-
der. Du hungerst, Du
leidest, Du frierst. Sieh,
ich weiß Dir zu rathen,
heute das letzte Mal. Folge
mir!"
Der Andere schritt vor-
aus durch ein Gewirr von
„Ihr seid's," sagte der alte, runzlige Mann.