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Straßen und Gäßchen. Sie waren im alten Stadttheil. Vor einem
winkligen, verfallenen Hause standen sie still. Dreimal klopfte der
Führer an das Thor. Langsam nahten sich schlürfende Schritte, ein
Windlicht zuckte im Hausgang. Der Jüngling stand plötzlich allein
vor der Thür, der Andere war verschwunden.
„Ihr seid's," sagte der alte, runzlige Mann im verschlissenen
Sammtschlafrock und grinste, während er rasch öffnete und hinter
ihm mit riesigem Schlüssel das Thor dreifach verschloß, „ich habe
Euch schon lange erwartet." Sie gingen eine ausgetretene Stiege
hinauf in des Alten Behausung.
„Bringt Jhr's mir endlich," sprach Beitel Ephraim und strich
sich die langen eisgrauen Hängelocken zurück. „Laßt cs sehen, das
hübsche, das niedliche Dingelchen. Jst's auch gut erhalten? Ich muß
es anschanen durch
die Lupe, ob es
nicht ist schon faden-
scheinig geworden
indieserbösenWelt.
Zeigt's her, mein
Jüngelchen." Und
er knöpfte dem Gaste
das Sommerröck-
chen auf, tastete
nach seiner Brust,
haschte und griff's
und eilte nach dem
Arbeitstisch. „Sehr
schön, exquisit,"
krächzte der Händ-
ler, „preiswerthe
Waare. Der Markt
ist leer, die Nach-
frage stark. Schla-
gen Sie ein, machen
wir ein glattes Ge-
schäft, sagen Sie:
Topp! Nu, was
wollen Sie haben
für Ihr Gewissen?
Ich habe selten ge-
habt so ein gutes Exemplar, es ist sauber und ohne Tadel."
„Mein Gewissen wollen Sie kaufen?" stammelte erblassend
der Jüngling.
„Ich handle nur mit Gewissen, ein diskretes Geschäft, aber
einträglich und wirft ab gute Perzentchers.
„Mein Jungchen, schau' her! Was sollen sie thun die Minister,
die Bankiers, die Direktoren, die Rheder; was sollen sie beginnen,
die Würdenträger, die Großen dieser Welt, die hohen Herren? Sie
beschädigen ihr Gewissen, schlecht wird es, sehr schlecht, schnell verdirbt
es, es ist 'ne Schand? Sieh her," und er zeigte aus eine lange Reihe
dunkelgefärbter Gläser mit langen Etiketten, „da sind sie drin, die
ramponirten, die bösen Gewissen. Man kann sie nicht flicken, man muß
sie geben dem alten Beitel Ephraim, der ist ein verschwiegener
Mann. Nu, liefert er den feinen Herren und Damen funkelnagel-
neue Gewissen, ohne Brandschäden und ohne Flecken, zu festem
Preis, bei Baarbezahlung zehn Prozent Rabatt. Gott der Gerechte,
sie halten nicht lange, die lieben, zärtlichen, neuen reinen Gewissen.
Guck', in dieser Flasche — faß' nicht daran, Herzjuuge — ist das
erste Dutzend abgelegter Gewissen von einem frommen Mann, der
sie rninirt sündlich schnell, eins nach dem andern. Nebbich, sie
sind nicht mehr zu repariren. Und da der Kommerzienrath, der
reiche Mann, dem gehorchen viele tausend Arbeiter, waih geschrieen,
was braucht der Mann für seinen Bedarf? Und dieser Politiker und
jener Staatslenker, Beitelleben, sagen sie, Du mußt liefern. Bei
den Erzvätern, als ob sie herumlägen auf der Straße, die guten
Gewissen. Wer eins hat, behält's für sich und nicht Alle sind so
kouragirt Jute Du, mein Püppchen, es loszuschlagen. Hast's nöthig,
armer Teufel! Weil Du nur gefällst, will ich Dir geben zu außer
dem grausig vielen Geld, was Du kriegst, ein abgelegtes Gewissen,
nur ä ganz klein wenig angegangen, 's ist von 'nem Bankier, der
hat unterschlagen eine Million anvertrauter Mündelgelder.
„Mach schnell,
mein Herzblatt, sieh,
hier lies den Brief
vom Präsidenten,
er drängt, er treibt,
heute Abend will er
holen, zum „heili-
gen Abend," schreibt
er, ä neues, gut
sitzendes, unbefleck-
tes Gewissen. Los
bist Du Deine Sor-
gen, Du kannst
leben als gemachter
Mann. Nimm sie
hin, die blauen
Scheine."
Zitternd zählte
Beitel das Papier-
geld auf, ein großes
Blatt neben dem
andern, zitternd
raffte der Jüngling
die Scheine, die
knisternden, glück-
spendenden Scheine
zusammen und barg
sie in der Brusttasche. Der Handel war geschlossen, das Gewissen
war verkauft. Fort, nur fort! Er flog die Treppe hinab, Beitel
schloß auf und krächzte ihm nach: „Ihr habt ja liegen lassen das
Gewissen, was Ihr kriegen solltet als Zugabe!"
-i- -i-
*
Im Festsaal des Präsidentenhauses waren die geladenen Gäste
versammelt, die Herren im Frack, den Ordensstern auf der Brust;
in glänzenden Toiletten die Damen. Die Kronleuchter flammten, eine
heitere Musik ertönte, mitten im Saale auf einer mit Gaben reich-
bedeckten T^^stand der lichtergeschmückte Weihnachtsbaum. Unter
den GeladMcn bewegte sich scherzend, strahlend, für Jeden ein
Lächeln auf den Lippen, der Herr des Hauses. Ihm war wohl zu
Muthe, nur von Zeit zu Zeit griff er verstohlen nach der linken
Seite: das neue Ding saß noch nicht gut. Aber es wirkte schon.
Heute Morgen hatte er noch die Berdammniß der Hölle gefühlt.
Eine fürchterliche Gewissensqual verzerrte sein Gesicht; er war nicht
mehr im Stande, seinen Untergebenen in die Augen zu sehen.
Ueberall sah er sich von einer unsichtbaren Macht verfolgt, das ihn
„Sieh her, da sind sie drin, die ramponirten, die bösen Gewissen."
Straßen und Gäßchen. Sie waren im alten Stadttheil. Vor einem
winkligen, verfallenen Hause standen sie still. Dreimal klopfte der
Führer an das Thor. Langsam nahten sich schlürfende Schritte, ein
Windlicht zuckte im Hausgang. Der Jüngling stand plötzlich allein
vor der Thür, der Andere war verschwunden.
„Ihr seid's," sagte der alte, runzlige Mann im verschlissenen
Sammtschlafrock und grinste, während er rasch öffnete und hinter
ihm mit riesigem Schlüssel das Thor dreifach verschloß, „ich habe
Euch schon lange erwartet." Sie gingen eine ausgetretene Stiege
hinauf in des Alten Behausung.
„Bringt Jhr's mir endlich," sprach Beitel Ephraim und strich
sich die langen eisgrauen Hängelocken zurück. „Laßt cs sehen, das
hübsche, das niedliche Dingelchen. Jst's auch gut erhalten? Ich muß
es anschanen durch
die Lupe, ob es
nicht ist schon faden-
scheinig geworden
indieserbösenWelt.
Zeigt's her, mein
Jüngelchen." Und
er knöpfte dem Gaste
das Sommerröck-
chen auf, tastete
nach seiner Brust,
haschte und griff's
und eilte nach dem
Arbeitstisch. „Sehr
schön, exquisit,"
krächzte der Händ-
ler, „preiswerthe
Waare. Der Markt
ist leer, die Nach-
frage stark. Schla-
gen Sie ein, machen
wir ein glattes Ge-
schäft, sagen Sie:
Topp! Nu, was
wollen Sie haben
für Ihr Gewissen?
Ich habe selten ge-
habt so ein gutes Exemplar, es ist sauber und ohne Tadel."
„Mein Gewissen wollen Sie kaufen?" stammelte erblassend
der Jüngling.
„Ich handle nur mit Gewissen, ein diskretes Geschäft, aber
einträglich und wirft ab gute Perzentchers.
„Mein Jungchen, schau' her! Was sollen sie thun die Minister,
die Bankiers, die Direktoren, die Rheder; was sollen sie beginnen,
die Würdenträger, die Großen dieser Welt, die hohen Herren? Sie
beschädigen ihr Gewissen, schlecht wird es, sehr schlecht, schnell verdirbt
es, es ist 'ne Schand? Sieh her," und er zeigte aus eine lange Reihe
dunkelgefärbter Gläser mit langen Etiketten, „da sind sie drin, die
ramponirten, die bösen Gewissen. Man kann sie nicht flicken, man muß
sie geben dem alten Beitel Ephraim, der ist ein verschwiegener
Mann. Nu, liefert er den feinen Herren und Damen funkelnagel-
neue Gewissen, ohne Brandschäden und ohne Flecken, zu festem
Preis, bei Baarbezahlung zehn Prozent Rabatt. Gott der Gerechte,
sie halten nicht lange, die lieben, zärtlichen, neuen reinen Gewissen.
Guck', in dieser Flasche — faß' nicht daran, Herzjuuge — ist das
erste Dutzend abgelegter Gewissen von einem frommen Mann, der
sie rninirt sündlich schnell, eins nach dem andern. Nebbich, sie
sind nicht mehr zu repariren. Und da der Kommerzienrath, der
reiche Mann, dem gehorchen viele tausend Arbeiter, waih geschrieen,
was braucht der Mann für seinen Bedarf? Und dieser Politiker und
jener Staatslenker, Beitelleben, sagen sie, Du mußt liefern. Bei
den Erzvätern, als ob sie herumlägen auf der Straße, die guten
Gewissen. Wer eins hat, behält's für sich und nicht Alle sind so
kouragirt Jute Du, mein Püppchen, es loszuschlagen. Hast's nöthig,
armer Teufel! Weil Du nur gefällst, will ich Dir geben zu außer
dem grausig vielen Geld, was Du kriegst, ein abgelegtes Gewissen,
nur ä ganz klein wenig angegangen, 's ist von 'nem Bankier, der
hat unterschlagen eine Million anvertrauter Mündelgelder.
„Mach schnell,
mein Herzblatt, sieh,
hier lies den Brief
vom Präsidenten,
er drängt, er treibt,
heute Abend will er
holen, zum „heili-
gen Abend," schreibt
er, ä neues, gut
sitzendes, unbefleck-
tes Gewissen. Los
bist Du Deine Sor-
gen, Du kannst
leben als gemachter
Mann. Nimm sie
hin, die blauen
Scheine."
Zitternd zählte
Beitel das Papier-
geld auf, ein großes
Blatt neben dem
andern, zitternd
raffte der Jüngling
die Scheine, die
knisternden, glück-
spendenden Scheine
zusammen und barg
sie in der Brusttasche. Der Handel war geschlossen, das Gewissen
war verkauft. Fort, nur fort! Er flog die Treppe hinab, Beitel
schloß auf und krächzte ihm nach: „Ihr habt ja liegen lassen das
Gewissen, was Ihr kriegen solltet als Zugabe!"
-i- -i-
*
Im Festsaal des Präsidentenhauses waren die geladenen Gäste
versammelt, die Herren im Frack, den Ordensstern auf der Brust;
in glänzenden Toiletten die Damen. Die Kronleuchter flammten, eine
heitere Musik ertönte, mitten im Saale auf einer mit Gaben reich-
bedeckten T^^stand der lichtergeschmückte Weihnachtsbaum. Unter
den GeladMcn bewegte sich scherzend, strahlend, für Jeden ein
Lächeln auf den Lippen, der Herr des Hauses. Ihm war wohl zu
Muthe, nur von Zeit zu Zeit griff er verstohlen nach der linken
Seite: das neue Ding saß noch nicht gut. Aber es wirkte schon.
Heute Morgen hatte er noch die Berdammniß der Hölle gefühlt.
Eine fürchterliche Gewissensqual verzerrte sein Gesicht; er war nicht
mehr im Stande, seinen Untergebenen in die Augen zu sehen.
Ueberall sah er sich von einer unsichtbaren Macht verfolgt, das ihn
„Sieh her, da sind sie drin, die ramponirten, die bösen Gewissen."