Ser moderne Kantatns.
hr kennt sie wohl, die alte Zage
von jenem König Tantalus.
Der seine grause Hungerplage
In Ewigkeit bestehen muß.
Rings locken, mühlos zu erreichen.
Ihn Früchte voller Herrlichkeit,
Doch wie er darnach greift, so weichen
Zurück sie unerreichbar weit.
§> Volk, wie gleichst in deinen Röthen
Du des verdammten Königs Bild!
Rings lacht die Erde wie ein Eden,
Draus stets dir neue Gual entquillt.
Du stehst der Sonne Strahlen glänzen
Und reifen manche goldne Frucht.
Und bist doch in des Elends Grenzen
Hinein gebannt, hinein verflucht.
1369
Getrost! Die alten Götter sanken.
Die einst den Tantalus gebannt,
Und neue leuchtende Gedanken
Erobern dir dein eigen Land.
Sie lassen neu die Welt erblühen
Und bringen dir den ros'gen Tag.
Da nicht mehr grausam dich zu fliehen
Der eignen Arbeit Frucht vermag!
h# (Ein unheimliches Gericht. ^
s ist ganz gleichgiltig, ob man den Brocken
besteigt, am Golfe von Neapel spazieren
geht oder die Niagarafälle besichtigt —
man wird überall in der Welt einem Sachsen
begegnen und der lieblich-melodische Tonfall der
sächsischen Sprache wird urplötzlich an unser Ohr
schlagen. — Deshalb wunderte ich mich gar nicht, als ich kürzlich,
vor dem Cafe Ouadry auf dem Markusplatze zu Venedig sitzend und
eine Tasse „Kaffee nero“ schlürfend, meines Freundes Bliemchen aus
Dresden ansichtig wurde, der eiligst auf mich los kam.
„Gehorsamster Diener, mei gudestes Herrchen." rief er. sich den
Schweiß von der Stirne trocknend, „das is Sie aber sehre scheene,
daß ich Sie treffe; ich bin Sie nämlich ganz entzwee vor Schrecken."
„Was ist denn passirt?" fragte ich.
„Ach, du grundgiediger Himmel." lamentirte Herr Bliemchen.
„ä Menschenraub is bassirt, ä Mord! Eenen sächschen Landsmann
dhun se abwärgen, die verflixten Jdaliäner die!"
2(uf weiteres Befragen erzählte Bliemchen endlich den Sach
verhalt, der ihn so sehr aufregte.
„Se kennen doch 'n Baumeester Bullrich aus Drüsen? Nee? Na
da werden Se ooch wissen, was das fier ä Gerlchen is. Gehabd had
er nischt un is jetzt reich; er haddo ä bissel Dusel un had ooch sonst
nachgeholfen. Se wissen ja. wie's in Baufache zugehn dhud. Sonst
is er ganz gemiedlich. aber er is ä bissel ä Leideschinder, un de
Arbeider haben ihn elend uff'n Schdriche. Voriges Jahr had er ä
großes Heiserkarree in der Vorschdadt zu bauen gehabt un daderzu
merschdendeels Jdaliäner beschäfdigt. weil die billiger sein wie de
Deidschen. Aber er had se so geschunden, daß es eenen scheene»
Dages sogar den Jdaliänern zu bund geworden is; die haben ihn
durchbriegeln wollen, un weil er sich gedruckt had. da haben se ihm
Rache geschworen, haben Schdricke gemachd un sein in ihre Heimadh
verdufded. Un mid so änner Vergangenheed wagd sich der Mensch
nach Jdalien!"
„Was ist ihm aber hier passirt?" fragte ich.
„Se haben ihn!" schrie Bliemchen. mich krampfhaft am Arme
fassend. „Ich bummle mid Bullriche» vorhin so ä bischen ins Innere
uff de Rinaldini-Bricke zu. oder wie das Ding heeßd. Mei Bullrich
siehd ä hibsches Mädchen un will ihr nachloofen; da drinne is er
nämlich groß, da is ihm geene Bradwurschd zu dheier. Wir ver-
rennen uns in den verflixden Gewinkte, verbassen änne Briete un uff
eemal is der Weg alle; vor uns Wasser un drieben uff'n andern Ufer
schdehd das Mädchen un lachd uns aus. — Was nu machen? Aenne
Gondel war nich da. Aber so ä Arbeiderschiff. wo de Waare damid
hin un her baddalgd ivird. lag dichde vor uns. un vier Gerle. die
dadruff waren, die dhaden Bullriche» mid den Oogen beinah ver-
schlingen un munkelden heemlich midenander. Bullrich merkd nischd,
weil er's Mädchen in Gobbe hadde un schreib mit seinen besten
Jdaliänisch:
,VoxIio, ieberfahren!'
Die Gerle verstehen ihn ooch ganz gud. nehmen ihn uff's Schiff,
fahren midden uffs Wasser, un nu schreib Eener:
,Maledetto! Signor Bullrich aus Drüsen!'
Der 'Andere häld ihm de Faust hin un sagd:
,Adesso! haben wir Dir!'
Ich schrie nach: ,Sie. Heeren Se. den dürfen.Sie nischd dhun.
das is ä Sachse! Wenn Se den ä eenziges Härchen grimmen, da
erklärd Sachsen den Krieg an Jdalien!'
hr kennt sie wohl, die alte Zage
von jenem König Tantalus.
Der seine grause Hungerplage
In Ewigkeit bestehen muß.
Rings locken, mühlos zu erreichen.
Ihn Früchte voller Herrlichkeit,
Doch wie er darnach greift, so weichen
Zurück sie unerreichbar weit.
§> Volk, wie gleichst in deinen Röthen
Du des verdammten Königs Bild!
Rings lacht die Erde wie ein Eden,
Draus stets dir neue Gual entquillt.
Du stehst der Sonne Strahlen glänzen
Und reifen manche goldne Frucht.
Und bist doch in des Elends Grenzen
Hinein gebannt, hinein verflucht.
1369
Getrost! Die alten Götter sanken.
Die einst den Tantalus gebannt,
Und neue leuchtende Gedanken
Erobern dir dein eigen Land.
Sie lassen neu die Welt erblühen
Und bringen dir den ros'gen Tag.
Da nicht mehr grausam dich zu fliehen
Der eignen Arbeit Frucht vermag!
h# (Ein unheimliches Gericht. ^
s ist ganz gleichgiltig, ob man den Brocken
besteigt, am Golfe von Neapel spazieren
geht oder die Niagarafälle besichtigt —
man wird überall in der Welt einem Sachsen
begegnen und der lieblich-melodische Tonfall der
sächsischen Sprache wird urplötzlich an unser Ohr
schlagen. — Deshalb wunderte ich mich gar nicht, als ich kürzlich,
vor dem Cafe Ouadry auf dem Markusplatze zu Venedig sitzend und
eine Tasse „Kaffee nero“ schlürfend, meines Freundes Bliemchen aus
Dresden ansichtig wurde, der eiligst auf mich los kam.
„Gehorsamster Diener, mei gudestes Herrchen." rief er. sich den
Schweiß von der Stirne trocknend, „das is Sie aber sehre scheene,
daß ich Sie treffe; ich bin Sie nämlich ganz entzwee vor Schrecken."
„Was ist denn passirt?" fragte ich.
„Ach, du grundgiediger Himmel." lamentirte Herr Bliemchen.
„ä Menschenraub is bassirt, ä Mord! Eenen sächschen Landsmann
dhun se abwärgen, die verflixten Jdaliäner die!"
2(uf weiteres Befragen erzählte Bliemchen endlich den Sach
verhalt, der ihn so sehr aufregte.
„Se kennen doch 'n Baumeester Bullrich aus Drüsen? Nee? Na
da werden Se ooch wissen, was das fier ä Gerlchen is. Gehabd had
er nischt un is jetzt reich; er haddo ä bissel Dusel un had ooch sonst
nachgeholfen. Se wissen ja. wie's in Baufache zugehn dhud. Sonst
is er ganz gemiedlich. aber er is ä bissel ä Leideschinder, un de
Arbeider haben ihn elend uff'n Schdriche. Voriges Jahr had er ä
großes Heiserkarree in der Vorschdadt zu bauen gehabt un daderzu
merschdendeels Jdaliäner beschäfdigt. weil die billiger sein wie de
Deidschen. Aber er had se so geschunden, daß es eenen scheene»
Dages sogar den Jdaliänern zu bund geworden is; die haben ihn
durchbriegeln wollen, un weil er sich gedruckt had. da haben se ihm
Rache geschworen, haben Schdricke gemachd un sein in ihre Heimadh
verdufded. Un mid so änner Vergangenheed wagd sich der Mensch
nach Jdalien!"
„Was ist ihm aber hier passirt?" fragte ich.
„Se haben ihn!" schrie Bliemchen. mich krampfhaft am Arme
fassend. „Ich bummle mid Bullriche» vorhin so ä bischen ins Innere
uff de Rinaldini-Bricke zu. oder wie das Ding heeßd. Mei Bullrich
siehd ä hibsches Mädchen un will ihr nachloofen; da drinne is er
nämlich groß, da is ihm geene Bradwurschd zu dheier. Wir ver-
rennen uns in den verflixden Gewinkte, verbassen änne Briete un uff
eemal is der Weg alle; vor uns Wasser un drieben uff'n andern Ufer
schdehd das Mädchen un lachd uns aus. — Was nu machen? Aenne
Gondel war nich da. Aber so ä Arbeiderschiff. wo de Waare damid
hin un her baddalgd ivird. lag dichde vor uns. un vier Gerle. die
dadruff waren, die dhaden Bullriche» mid den Oogen beinah ver-
schlingen un munkelden heemlich midenander. Bullrich merkd nischd,
weil er's Mädchen in Gobbe hadde un schreib mit seinen besten
Jdaliänisch:
,VoxIio, ieberfahren!'
Die Gerle verstehen ihn ooch ganz gud. nehmen ihn uff's Schiff,
fahren midden uffs Wasser, un nu schreib Eener:
,Maledetto! Signor Bullrich aus Drüsen!'
Der 'Andere häld ihm de Faust hin un sagd:
,Adesso! haben wir Dir!'
Ich schrie nach: ,Sie. Heeren Se. den dürfen.Sie nischd dhun.
das is ä Sachse! Wenn Se den ä eenziges Härchen grimmen, da
erklärd Sachsen den Krieg an Jdalien!'