Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
1371

aber das konnte der Baumeister in diesem Augenblicke nicht unter-
scheiden. „Iß!" befahl der unheimliche Neapolitaner und riß dabei
den Dolch wieder aus der Tischplatte empor, die Spitze gegen den
Fremden richtend.

Was blieb dem armen Bullrich übrig? Er würgte und schluckte
den angeblichen Frosch hinunter. Als er fertig war, fuhr der Vor-
sitzende fort:

„Und was haben wir da hinten in Sachsen trinken müssen! Von
Wein nicht die Rede, den trinken dort nur die Ausbeuter. Bier und
Branntwein rst theuer und selbst jene dünne, bräunliche, fade Flüssig-
keit, welche der Eingeborene „Gefaches" nennt, hatten wir nicht zur
Genüge. Wrr sollten Wasser saufen, sagte der Delinquent."

„Elende Kreatur!" rief der Vorsitzende, „glaubst Du, wir sind
Briganten? Dein erschwindeltes, zusammengestohlenes Geld mögen wir
nicht. Gerechtigkeit wollen wir üben und Dir die Lust vertreiben, je-
mals wieder Italiener in die Fremde zu locken."

„Ach Godd, ach Godd, ich habe derheeme Frau un Ginder,"
jammerte Bullrich.

„Hast Du an Frau und Kinder gedacht," sprach der Vorsitzende
streng, „als Du mit gefüllter Börse den Töchtern unseres Landes nach-
gelaufen bist, un: sie zu verführen?"

Der Baumeister knickte zusammen. „In den Kanal mit der Kanaille!"
riefen die Anwesenden und umdrängten ihn drohend.

Jetzt konnte sich mein Freund Bliemchen, welcher, bald bleich und

„Nu nee, meine Herrschafden, so gehd Sie das nich! Sein Se menschlich, lassen Se ihn loofen,
sonst haben Sie's mid mir zu dhun."

,,Puh!“ schrie die Versammlung wieder. „Gebt ihm Lagunen-
wasser zu trinken!"

Ein Glas Wasser wurde dem Gefangenen bewilligt. Die Italiener
griffen zu ihren mit Bast umflochtenen großen Weinflaschen. Die
feurige rothe Fluth des Chianti schoß in die Gläser.

„Für Dich ist Wasser noch zu gut. Du Quäler!" rief man Vullrichen
zu. „Es lebe die Freiheit!" hieß es dann. Er mußte mit seinem
Wasserglasse Bescheid thun. „Es lebe de Freiheed!" stammelte er.
„Nieder mit den Ausbeutern!" hieß es wieder, und man stieß mit
ihm an, daß sein Glas zerbrochen zu Boden fiel.

„Der Delinquent," fuhr der Vorsitzende fort, „hat italienische
Arbeiter mittels unberechtigter Lohnabzüge bestohlen. Was geschieht
mit emem Dieb?"

„Hängen! Ersäufen!" wurde vorgeschlagen.

„Ach, meine gudesten Herrn, ich will ja Alles ersetzen, hier haben
Se mei Bordmonnä!" sagte der Baumeister zitternd.

bald roth werdend, dem Vorgänge zugeschaut hatte, nicht mehr halten.
Mit Heroismus trat er vor, lehnte sich über die Brüstung unseres
Fensters und rief mit laut schallender Stimme in die Halle hinunter:

„Nu nee, meine Herrschafden, so gehd Sie das mch! Sein Se
menschlich, lassen Se ihn loofen, sonst haben Sie's mid mir zu dhun."

Alles war betroffen über die unvermuthete Einmischung. Da
rief eine Stimme: „Das ist ja Signor Bliemchen!" und ein schallendes
Gelächter brach los.

Als Bliemchen lachen hörte, war er seiner Sache sicher und verlor
alle Furcht. Wir schritten in die Halle hinunter, um Bullrich zu
erlösen, der mehr tobt als lebendig war.

„Halt," rief der Vorsitzende. „Der Delinquent muß feierlich
schwören, nie mehr italienische Landeskinder zu schinden und auszu-
beuten, dann wollen wir Gnade vor Recht ergehen lassen."

„Ja, ja," betheuerte Bullrich. „Ich schwöre, ich habe von den
Jdaliänern genug mei ganzes Leben lang."
 
Annotationen