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1419

bat. Aber bis wir soweit sind, da werden wir woll alle Beedc jraue
Haare kriejcn un wir werden mit de Koppe wackeln — un vielleicht is
et denn ooch noch nischt. Sechste, Jacob, ick bin nu mal sonne putzije
Krücke, un wenn ick Dir »ich hätte, wo ick mal mein Herze ausschittcn
kennte, denn wißte ick manchmal jarnich mehr, ob ick ieberhaupt een
Junge oder een Meechen bin.

Aber et is wirklich nich nöthig, det man janz unnöthijcr Weise den
Kopp hängen laßt, denn jlicklicher Weise lebe ick ja in Berlin, un Berlin
is un bleibt die Metropole der Jntcllijenz.

Det is ja nu 'ne altbekannte Thatsache, det wir hier schon lange
eenen janz funkelnagelneien Oberbirjermeestcr haben. Unsere Obcrbirjer-
meester haben den Vorzug, det se nämlich in jewisscr Beziehung farben-
blind sind: se können nämlich Nothstand von Wohlstand nich unterscheiden.
Na, det steht ja fest, un wir brauchen uns deswejen ooch nich weiter jroß
uffzurejcn. Aber Eens sehen se in, un det is, det de Uinjebung von det
königliche Schloß nu endlich 'mal von Jrund uff rejulirt werden muß.
Lieber Jacob, ick selbst habe nämlich deswejen in de letzte Jahre schon
manche schlaflose Nacht jehabt. Ick finde de Umjebung nämlich ooch schon
lange poplich jenug un ick halte et.for 'ne jesunde Idee, den Bejasbrunnen
nu ooch endlich mal det nöthije Relief zu jcben. De Bildhauer un de
Künstler un de sonstijen Maler wollen selbstredend ooch leben, un da
sollte man denn nu endlich mal Alle, die unter det Sozialistenjetz aus
Berlin ausjewiescn waren, in Marmor oder in Steen oder in Bronze
aushauen lassen, un se uff den Schloßplatz ausstcllcn lassen. Der olle
Neptun kennte se ja meinswejen immerzu mit Wasser beplentschern, denn
een änderet Jetränk werden se je woll in de Zeit ihrer Verbannung ooch
nich zu jenießcn jekriegt haben.

lieber den Reichstag schreibe ick Dir heite nischt, indem ick Eugen
Richtern schon lange nich jesprochen habe. Seitdem er die Sparkassen-
biecher hat, is er ieberhaupt nich mehr so sehre vor't Wechseln. Ick bin
ja nu ooch Mensch jenug, um zu wissen, det vor so'n hinreißender Ver-
hältniß der besinnende Friehling de beste Jahreszeit is.

- Oh, det sie ewig jrienen bliebe.

Die scheene Zeit der ersten Liebe I

Doch ick will nich poettsch werden un Schillern in't Handwerk fuschen
— lieber verbleibe ick wie jewehnlich, erjcbenst un mit ville Jricße Dein
trcier Jotthilf Naucke.

An'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.

Hobelspähnr.

Bürger, Bauer, Arbeitsmann!

Tretet nach der Reihe an;

Was Ihr habt, das gebet her

Für das deutsche Militär,

Daß die Grenzen sind geschützt,

Wo der Zoll dem Grundherrn nützt,

Und daß keines Feindes Spott

Störe unfern Staatsbank'rott.

* *

*

Die heutige Gesellschaftsordnung läßt nichts
zu wünschen übrig, es ist für Alle gesorgt, denn
wer lügt, kommt — wie die Gläubigen sagen —
in die Hölle, und wer die Wahrheit sagt,
kommt hinter schwedische Gardinen.

* *

Nicht immer lohnt's, den Stumm zu necken,

Kalt lassen Stöcker's Geistesblitze,

Jedoch der schrecklichste der Schrecken
Sind Eugen Richter's faule Witze.

* *

Man kann nicht leugnen, daß in unseren sozialen Zuständen eine
gewisse Harmonie herrscht. Zum Beispiel beschweren sich die seßhaften
Geschäftsleute über die Hausirer, welche ihnen den Verdienst schmälern.
Die Hausirer aber beschweren sich über die seßhaften Geschäftsleute, welche
ihnen Konkurrenz machen. Die moderne Sozialgesetzgebung wird nun ein
Gesetz gegen die Hausirer machen und ein Gesetz gegen die Seßhaften
hinzufügen, dann ist beiden Theilen in bester Weise geholfen.

Minister halten Sonntagsnch',. '

Der Reichstag schließt die Bude zu,
Der fleiß'ge Arbeitsmann jedoch
Darf schaffen auch des Sonntags noch,
Das führt Gewinn den Reichen zu,
Drum stört es nicht die Sonntagsruh'.

Ihr getreuer

Säge, Schreiner.

an der Kehle. Aber der Maurotat, der lithauischc
Wirth? Was wollte der von ihm? Dessen Weizen-
land hatte er doch erst auf dem Verstrich er-
steigert für ein Butterbrot. Den hatte Löb Jtzig,
der Güterschlächter von Slripce, in den Fingern
gehabt. Ja, der Löb! Er, der Junker von
Schniöckeritz, war des Abends im Jagdwagen zur
Stadt gefahren, in die Judenstraße, und heimlich,
hinter verschlossenen Thüren, wurde der Handel
abgeschlossen. Löb, der Treiber, der im Aufträge
des Gutsherrn den Maurotat in ein tödtliches
Schuldverhältniß verstrickte, er, der Hintermann,
der beim Hallali, nachdem das Wild zur Strecke
gebracht, erschien und den Löwenantheil nahm.
Wie viele edle, hochgeborene, adlige Herren machen
es so! Ihr Eingreifen adelt das Güterschlachten,
das nur gemein ist, wenn der Jud' es besorgt
auf eigene Rechnung. Das ist kein Wucher, das
ist praktisch und wirthschaftlich.

-r-

„Uns hungert, Vater." Die Kleinen, blaß,
abgemagert, in geflickten Röckchen drängen sich
um den Mann, dem Noth und Arbeitspein die
Haare vor der Zeit gebleicht, die Stirn mit un-
vergänglichen Linien gefurcht. Und er theilt das
letzte Brot unter die Seinen und fastet. Dabei
die Kornzölle und die nützliche Maßregel, auf den
Speichern das Brotkorn liegen zu lassen, ruhig,
wachsam, daß der Markt leer wird und der Preis !
emporschnellt wie eine Stahlfeder, immer mehr
und mehr, bis es sich lohnt, loszuschlagen, ist
das etwa Wucher? Das ist ein Getreidering,
eine Jnteressenvereinigung.

* *

*

Wie sie in der Zuckersiederei sich regen, Tag
und Nacht, wie die Weiber in den glutheißen

Räumen schaffen, in Schweiß gebadet, vom Zug-
wind geschüttelt, die Muskeln anspannend, daß
die Brust keucht! Die Dampfmaschine ächzt, die
Kessel, die Destillirapparate arbeiten. Berge von
Rüben werden verbraucht, der Zucker krystallisirt
sich, Wagenladung auf Wagenladung wird ab-
gerollt, das Geschäft blüht. Im nächsten Hafen
liegen zur Abfahrt bereit die Schiffe, die den
Zucker nach England führen, die süße, kostbare
Fracht. Wohlfeiler ist der deutsche Zucker jen-
seits des Kanals als in Deutschland, und schinun-
zelnd stteicht der von Schniöckeritz die fette Aus-
fuhrvergütung ein. Das ist gesetzlich und nicht
Wucher, *

Aus dem diebessicheren Feuerfesten spazieren
in blauen und grünen Röckchen die Industrie-
Aktien, wohlgenährte, pausbackige Gesellen, Spin-
nereipapiere, Kuxe und Eisenpapiere, chemisches
Großgewerbe und Dynamit-Trust, hinter ihnen
marschirt mit wuchtigem Tritt die Kompagnie der
Bank-Aktien. Ein jarichzendcr Zug von Priori-
täten und Stamm-Aktien, Obligationen und An-
thcilscheinen, Loosen und Präinien-Zetteln zieht
einher. Sicgesftoh, dividendenreich, jeder Zoll
eine Goldbarre. Wie die Banken, riesige Spinnen,
die Fliegen in ihren: Netze fangen, tausende zap-
pelnder, krabbelnder, verblutender Opfer, Kleine
und Große, wie die Spinnen immer stärker an-
schwellen. Das ist der legitime Profit und das
gesetzniäßige Börsengeschäft, natürlich. Und hun-
derttausende fleißiger Arbeiter schaffen im Spi.nn-
saal, in der Grube, am Hochofen, in der Besse-
merei, im erstickenden, lungenzerstörenden Staube
der Thomasschlackenmühlc, des Schleifwerks. Ein
Arbeitergeschlccht mach dem andern sinkt in? Grab,

ftcudlos, ohne Glück, ohne Genüsse, abgerackcrt
von Kindesbeinen an. Das ist der Unternehmer-
gewinn. Wucher, Unsinn!

* * *

Auf dem Rübenland hocken sie, Jung und
Alt, graben, hacken, häufeln, kauernd dichtgedrängt;
der Wind pfeift durch die zerlumpten Kleider der
Kinder und Frauen. Dort mähen sie, während
die Sonne niederbrennt, die Arme rührend ohne
Unterlaß; jene binden die Garben, diese laden
auf. Der Gutsherr wettert und flucht, wenn sie
nicht flink genug sind. Karg der Lohn, jämmerlich
die Kost, schlecht die Behausung. Das ist patri-
archalisch. Warum die vielen Sachscngänger?
Nicht weil es Wucher ist. Nur die Gottlosigkeit
treibt zum Wandern.

Ein wirbelnder Reigen dräuender Erschein-
ungen umkreist den Edlen von Schniöckeritz, bleiche,
zerlumpte Landarbeiter, Grubenleute, Fabrik-
prolctarier, und im Hintergründe krummbeinig,
schwarzlockig zeigt sich grjnsend Löb Jtzig von
Slupce, Wechsel und Schuldscheine um sein Haupt
schwingend. Jnuner enger wird der Kreis,
drohender die Geberden, Trarara, Bumm, der
Schulmeister legt den Böller auf seinen Guts-
herrn an.

Mit einem Schreckensschrei fährt der Reichs-
bote empor; verschwunden ist der Spuk. „Uf!
Ich darf nicht mehr zwei Flaschen Champagner
zum Nachtisch trinken," murmelte er und mischt
sich den Schmeiß von der Stirn. Welch eine
bedeutsame Rede hatte er auch im Reichstag ge-
halten: ja die Wucherfrage war sein Steckenpferd.

--— A
 
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