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1494

In 6 er Uacht vorn 13. zu in 16. Juni 1893.

Burrah! Am Boden röchelt und stöhnt
Blutend der Lodfeind der Mosten!
Hurrah! Die Morscilloise dröhnt
Stolz durch die hallenden Gasten!

Mittags schon war's um die Prahler geschehn,
Osten zum Siege die Bahnen....

„Präsentirt daK Gewehr! Von den Linnen Wehn
Glorreich die rochen Lahnen!"

Hurrah! Du trafst wie ein Wetterschlag
Unter deF Sturmmarschs Losen,

Dreimal gesegneter Iunitag
Purpurroth stammender Kosen.

Habt ihr das Vollr an der Arbeit gesehn.

Weit über Dosten und Ahnen?....

„Präsentier da^ Gewehr! Von den Linnen wchn
Glorreich die rochen Lahnen!"

WaF sie gesäet an Tug und an Lrug,

Oiemals war's auszuroden.

Aber der Hagel des Vollrszorns schlug
Alles in Grund und Boden.

Saht im Gebirg ihr zu Lhalc gehn
Wälderlinicbende Tahnen?....

„Präsentirr das Gewehr! Von den Linnen Wehn
Glorreich die rochen Lahnen!"

Was sich ersinnen liesz, hat man versucht.

Als unter Waffen wir traten;

Lleiszig gebetet und fleiszig geflucht
Haben der Ordnung Prälaten.

Aber das Voll; liesz die Dränger stehn,

Dränger in Lraclr und Soutanen....

„Präsentier das Gewehr! Von den Linnen Wehn
Glorreich die rochen Lahnen!"

Die ihr des blinden Kiesen gelacht.

Den ihr gegängelt mit Känsien —

Grauft's euch, weil er sich aufgemacht.

Um es euch cinzutränlren?

Dreiszig lramen sie gegen zehn
Kuszig von Ambos und Urahnen....

„Präsentirt das Gewehr! Von den Linnen Wehn
Glorreich die rochen Lahnen!"

Hurrah! Du Blitz mit dem grellen Licht!
Hurrah! Du rollendes Dröhnen!

Das Volk stand auf — ihr bethärt es nicht,

Ihr werdet es schwer versöhnen!

Werth ist's — nie sollt ihr das verdreh»! —
Ucttensprengcnder Ahnen!....

„Präsentirt das Gewehr! Von den Linnen Wehn
Glorreich die rochen Lahnen!" R.r.

Dies irae.

"3licf){ wahr, ihr Herrn, an diesem Schicksalstag
Verging euch mit dem Appetit bas Lachen?
Durch Mark undiKein ging euch mit feinem Krachen
Höchst ungeinuthtich biefer Donnerfchtag?

Wie bas umher van Schutt und Splittern tag
Vach biefem Schlag, dein prasselnden und harten!
Dach war im Gründe Nestrcs zu erwarten,

Als man erlebt, von einem — Donnerstag?

Dinar kommt das Wart von Donnar her = Thor;
Der Tag hieß fo dein starken Thor zu Ehren;
Man war fa freundlich einst, uns das zu lehren —
Doch bleibt die Deutung düster wie zuvor.

Ihr wißt, balz Donnar einen Hammer trug
Wohlan, wir sagen, dafz in Uath und Jammer
Ainhcr ihr irrt, weil der gewaltige Hammer
In Donnars Daust euch auf die Köpfe schlug.

Drum „Donnar" oder „Thar" — das Dinen bleibt
And hat gehalten, was es uns versprochen;

Wir wollen sehn, ab ihr in vielen Wachen
Den jähen Schreck euch von der Seele schreibt.
Ihr habts verdient — euch tröste, wer da mag,
Liegt euch der Tag schwer wie ein Stein im Magen —
33ciiii Volk soll er für alle Zukunft tragen
Den Ehrenname» „rother Donnerstag"!

Jacobus Lämmchen.

von I.Sirach.

Ls war in Leipzig. In der Bodenkammer,
wo der Magister der freien Künste Jacobus
Läinmchen hauste, war es im Somnicr so heiß,
daß die Dachsparren knitterten und die Sonnen-
stäubchen im tollen Wirbeltanze auf- und nieder-
flogcn, während eine heiße, schwere Wüstenluft
die paar Kubikmeter Staunt ausfüllte. Und im
Winter krachten die Balken von der schneidigen

Kälte, die durch alle Ritzen schlich und die Knochen
krummzog: Schneeflocken rieselten durch die un-
dichten Ziegel und tropften eiskalt auf Kopf und
Nacken des frierenden Lämmchen, der im dünnen,
abgeschabten Rock am Tische saß und arbeitete.

Da oben wohnte der Herr Magister. Wovon
er lebte? Er las Korrekturen für eine Druckerei,
wo hochgelahrte Werke in den krausesten Schrift-
zügenhergestellt wurden, indische, persische, arabische,
chinesische. Er las, daß ihn die Augen schmerzten
und daß ihm das Hirn brannte. Was für ein
wohlunterrichteter Herr er war, der Magister
Jacobus! Sprachenkundig wie selten Einer, so
belesen, daß er manchen Professor, der stolz auf
seiner Universitäts-Pfründe saß, leichtlich hätte
beschämen können. Wenn er nur nicht so be-
scheiden,, so demüthig gewesen wäre und nicht im
Dunkel gesessen hätte, ein kaum geduldeter Hand-
langer der Wissenschaft! Aber in seinem Busen
glühte doch die heilige Flamme der Forschung,
und wenn er tief in der Nacht mit thränenden
Augen die Bürstenabzüge zusammengerollt hatte
und zu seinen Büchern griff, da reckte sich die
Dachkammer zum glänzenden Saal, von mar-
nwruen Säulen getragen. An den Pfeilern
schwebten rosenbekrünzte, beschwingte Liebesgötter
auf und nieder, ein Duft von Veilchen und
Orangen durchdrang den Raum, und durch die
Kuppel glänzten in feuriger Schöne die Sterne
des Himmels. Das Kreuz des Südens flimmerte
und zuckte in lohendem Feuer, und tausend
Nachtigallen schlugen wie in den Gärten von
Schiras.

Dann aber erwachte er aus seinein Traum,
öde schaute ihn seine Kanuner an, vor ihm lag
zerschlissen und abgegriffen das Liederbuch des
göttlichen Hafis, ihn hungerte, und er wußte
wieder, wo und wer er war. Wer er war? Des
armen Flickschusters Sohn, der sich bis zur Hoch-
schule durchgehungert und immer im Winkel ge-

standen hatte, verachtet und ausgenützt. Die
Streber und die Vettern hatten Karriere gemacht,
er aber las Korrekturen und war froh, wenn er
zwanzig Silbergroschen verdiente. Seine wunde,
arme Seele flüchtete sich immer und immer wieder
in das Traumland. Doch der Rock ivurde von
Tag zu Tag fadenscheiniger, sein Antlitz ward
hagerer, sein Gang unsicherer. Ach! die Augen
leiden, der Rücken wird krumm, wenn man Tag
und Nacht über der Arbeit hockt.

Der Juni war ins Land gekommen, an jedem
Zaune blühten die Rosen, die Finken schmetterten
ihr Liebeslied in den Wald hinein, und der Herr
Magister schritt trübselig heimwärts. Heute hatte
er den Wochenlohn erhalten, so kärglich war er
noch nie gewesen, und seine Linke hielt die drei
Thaler fest, die in seiner Tasche wehleidig Unter-
schlupf gefunden hatten für ach! wie kurze Zeit.
Lose lagen sie darin und klangen, ivenn sie au-
cinanderstießen, so traurig, wie ein Grabgeläutc.
Auf den Gassen drängte sich die Menge, im
Laufschritt eilten zahlreiche Männer in blauen
Blousen, den Schlapphut auf dem Haupt, an
ihm vorbei, Alle schienen Einem Ziele zuzu-
streben, Jacobus schlich nach der Promenade, wo
der Stadtgraben sich dehnt, wo prächtige Bos-
kets das Auge erfreuen, und unter hochwüchsigen
Linden manch stilles Bänkchen steht. Da saß
er und athmete die balsamische Würze der
Abcndluft ein und seufzte. Seufzte schwer und
lang und bang. Als er aufschaute, sah er ein
Mädchen, das derweil Platz gcnonunen hatte,
ein blasses Geschöpfchen mit feinem Gesicht und
grauen klugen Augen neben sich. Sie dünkte dem
Jacobus sehr schön zu sein, wenn auch ihre Finger
von der Nadel zerstochen waren, und sie müde
und abgespannt dreinschaute. Sie erschien ihm
viel anmuthiger als alle Heldinnen seines Hafis
oder Firdusie, und er seufzte nochmals, so recht
betrübt und tief.
 
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