1535
Hinter den Konliffen.
Posse in vier Bildern.
Ort: Nedaktionslokal einer großen rheinischen Zeitung. Zeit: Vor und nach der Wahl.
Erstes Bild.
Nationalliberalcr Kandidat: Die Wahlen sind vor der Thür;
die verdammten Sozialdemokraten machen uns zn schaffen, indem sie be-
haupten, mir wollten das allgenieine Wahlrecht beseitigen. Dagegen muß
ctivas gescheheu.
vr. Molluske: Ich werde Nachweisen, daß das allgemeine Wahl-
recht ein modernes Recht ist, an dem eine so moderne Partei, wie die
nationallibcrale, niemals rütteln wird.
Zweites Bild.
Ein Wähler: Herr Doktor, kann man sich denn auch darauf ver-
lassen, daß die natioualliberale Partei nicht die Kosten für die Militär-
vorlage auf die Schultern von uns kleinen Leuten wälzen wird?
vr. Molluske: Die besten Garantien gicbt Ihnen mein heutiger
Leitartikel, in dem nachgewiesen ist, daß die nationallibcrale Partei die
großen Vermögen zu den neuen Lasten hcranziehen will.
Drittes Bild.
(Nach der Wahl.)
Landrath: Sind Sie denn wirklich so entschieden für die Beibehal-
tung des allgemeinen Wahlrechts.
Or. Molluske: Aber, Herr Landrath! Die nationallibcrale Partei
wird gern auf das allgemeine Wahlrecht verzichten, wenn cs dafür täglich
20 Mark Diäten giebt.
Landrath: Das können auch die Konservativen brauchen. Machen
Sie doch einmal den Vorschlag in Ihrem Blatte.
vi-, Molluske: Zn Befehl, Exzellenz; wird gleich morgen geschehen.
Vierkes Bild.
Kommerzienrath Patzig: Ist es Ihnen denn wirklich Ernst damit,
die Kosten für die Militürvorlage auf die Reichen zu wälzen?
vr. Molluske: Ach, das war nur so ein taktisches Manöver.
Jetzt sind die Wahlen vorbei. Besitz, Bildung, Ehrenhaftigkeit,
Charakterfestigkeit und Vaterlandsliebe haben ja glücklicher Weise
noch einmal über das vaterlandslose Gesindel triumphirt!
Hostrlspähne.
Nachdem die Regierung durch ihre Forder-
ungen das Volk an starken Tabak gewöhnt
hat, will sie dasselbe auch »och an stark be-
steuerten Tabak gewöhnen,
* ^ *
Bevor die große Schlächterei
Noch winkt Europas Heeren,
Kann doch ein Militärstaat nicht
Den Kriegsruhm ganz entbehren.
In fernen Zonen werden drum
Die Opfer auserlesen —
Wir schlagen stolz die Wahahc,
La France die Siamesen.
* *
In Haynau wurde ein Bürger wegen Ruhestörung bestraft, weil er
außergewöhnlich geniest hatte. Ich empfehle der dortigen Polizei,
einen Vornieser anzustellen, welcher den Bürgern lehrt, bis zu welchem
Grade sie der Obrigkeit etwas niesen dürfen.
Ihr getreuer Säge, Schreiner.
zuverlässiges Auskunftsmittel aus sozialen Nöthen,
welches vielfach angewandt wird."
„Nun, ich will vorläufig nicht verhungern,"
sagte Eugen. „Wo ist die Speiseanstalt?"
Der Bettler sagte ihm Bescheid und Engen
Richter schritt, enttäuscht und übel gelaunt, weiter.
Als er vor dcni Opernhause vorbeigiug, wan-
delte ihn ein Grauen an. Es hausten in dem
einst so herrlichen Gebäude Eulen und Krähen;
für die dramatische Kunst gab es im Sparstaate
keinen Raum.
Endlich kam Eugen in der Speiscanstalt au
und wollte ein Glas Bier haben. Mau konnte
ihm aber blos mit Kamillenthee dienen, das war
das feinste Getränk, welches sich auftreibcn ließ.
Die Speisekarte bot indessen ziemlich reiche Aus-
wahl. Es gab gesottene Regenwürmer mit Ka-|
stanienblättcr-Salat, Raupen in polnischer Sauce,'
Katzenklein, Grassuppe mit gekochter Brcuncssel-
wurzel, Ratte ä la Tartar u. s. w. Die Preise t
waren sehr niedrig, sie erlaubten einen durchaus
sparsamen Lebenswandel.
Eugens Appetit verringerte sich solchen Speisen
gegenüber. Er nahm eine Zeitung zur Hand — >
cs gab nur noch eine einzige, den „Staatsanzeiger", j
die andern waren als überflüssiger Luxus abge-:
schafft worden.
Die Zeitung bot wenig Interessantes. Eugen
Richter las zunächst die Vergnüguugsanzeigeu.
In den „Reichshallen" trat ein Hungcrkünstler
auf, auch waren dort mehrere Skclettmcnschen zu
sehen. Eine Dame produzirte sich im Verzehren
lebender Blindschleichen. Die Konzertmnsik war
natürlich aus Sparsamkeit abgeschafft, daS Musi-
kalische wurde durch den Hausknecht vertreten,
welcher in den Zwischenpausen das schöne Lied
pfiff: „Freund, ich bin zufrieden."
„Haben Sie wirklich nur gesottene Rcgen-
würmer?" fragte Eugen den Wirth.
„Leider," antwortete dieser. „Das letzte Pferd
ist geschlachtet, und Frösche sind in jetziger Zeit
zu theuer. Aber wenn Sie zu den Sozialdcino-
kraten gehen wollen — die verlachen unfern Spar-
staat nnd schwelgen bei Häring und Kartoffeln."
„Die Glücklichen!" seufzte Eugen. „Ich glaube
wirklich, das Sparen taugt nichts."
Er ging in die Wirthschaft der Sozialdemo-
kraten, fand dort Bier und Eisbein mit Sauer-
kraut und labte und stärkte sich. Als dies ge-
schehen, schien cs ihm, als ob die Erscheinung seines
Sparstaates nur eine Vision gewesen sei, die er
seinem ausnahmsweise leeren Magen verdankte.
Er grübelt nun darüber nach, ob er auch,
ferner die unsinnige Sparthcoric vertreten oder
sich zu einer vernünftigeren volkswirthschaftlichen
Erkcnntniß bekehren soll.
Für diese Bekehrung ist wenig Aussicht vor-
handen, Eugen wird wohl die Mumie bleiben,
die er seit vielen Jahren schon war.
Üalrenvoru'B Abschied.
Der treuste der Vasallen,
Die unr Laprivi steh'n,
Der Kaltenborn soll fallen?
Der Kaltenborn soll geh'n?
wir hören's ohne Härmen,
wir seh'n es ohne Zorn -
wer könnte sich erwärmen
Für einen Kaltenborn?
In der Herberge.
Danziger: Na, leb' wohl, Kamerad, ich ziehe
jetzt in den Krieg.
Stranbinger: Unsinn, Krieg giebt's ja
gar nicht.
Danziger: Doch! den deutsch-russischen
Zollkrieg.
Stranbinger: Na, was willst Du dabei thun?
Danziger: Ich ctablire mich als Schmugg-
ler an der russischen Grenze.
Aus Westfalen.
A. : Die Anhänger Huenc's vom Zentrum
wollen eine Zeitung auf Aktien herausgeben. Wie
sie dieselbe wohl heißen werden?
B. : Vielleicht „Hünengrab."
—Manöverfrende. —
£s klirrt von Preußen bis Bayerland,
Bon Schlesien bis nach Schwaben —
Der Militarismus, der Herrscher der Welt,
Will seine Manöver haben.
Er will sich ergehen im Schlachtenspiel,
llnd will in der Rüstung glänzen.
Da tönt eia Trompeten, ein Trommeln ringsum.
Als stände der §eind an den Krenzen.
Biel Pulver dann wird in die Luft geknallt.
Die Rosten sind reichlich bemessen,
Ls hätten dafür einen Winter lang
Zehntausend Familien zu essen.
Wohl fragen die Bürger und Bauern sich:
Wozu dieses Spiel der Soldaten,
Indessen das Land durch die Kutternoth
In schwere Bedrängniß gerathen?
Kiebts Lrnsteres nicht mehr im Reiche zu thun.
And soll man die Roth nicht dämpfen?
Man sollte der Armen gefährlichsten §eind.
Den drohenden Hunger bekämpfen.
Der Militarismus, ihn kümmert es nicht,
Rur ihm ist die Welt zu eigen —
Laut tobt durch das Land sein Manöverspiel,
Die Stimme des Volkes muß schweigen.
Die Kvsackrn.
Meyer: Die Kosacken sind doch gar schlinune
Leute. Wenn die einnial an den Rhein kommen-
Müller: Dann kann es auch nicht schlimmer
werden; dort sitzt ja Alles schon ganz voll von
Preß-Kosacken. ^
Ein Erfolg.
21,: Der Antisemit Müller ist die Veranlassung,
daß Levy Schmul Protestant wurde.
B.: Ah, hat er ihn zum Christenthum bekehrt?
21.: Nein, aber Müller hat seine in Schmuls
Händen befindlichen Wechsel nicht ein gelöst,
und da hat Schmul sie protestirt.
Hinter den Konliffen.
Posse in vier Bildern.
Ort: Nedaktionslokal einer großen rheinischen Zeitung. Zeit: Vor und nach der Wahl.
Erstes Bild.
Nationalliberalcr Kandidat: Die Wahlen sind vor der Thür;
die verdammten Sozialdemokraten machen uns zn schaffen, indem sie be-
haupten, mir wollten das allgenieine Wahlrecht beseitigen. Dagegen muß
ctivas gescheheu.
vr. Molluske: Ich werde Nachweisen, daß das allgemeine Wahl-
recht ein modernes Recht ist, an dem eine so moderne Partei, wie die
nationallibcrale, niemals rütteln wird.
Zweites Bild.
Ein Wähler: Herr Doktor, kann man sich denn auch darauf ver-
lassen, daß die natioualliberale Partei nicht die Kosten für die Militär-
vorlage auf die Schultern von uns kleinen Leuten wälzen wird?
vr. Molluske: Die besten Garantien gicbt Ihnen mein heutiger
Leitartikel, in dem nachgewiesen ist, daß die nationallibcrale Partei die
großen Vermögen zu den neuen Lasten hcranziehen will.
Drittes Bild.
(Nach der Wahl.)
Landrath: Sind Sie denn wirklich so entschieden für die Beibehal-
tung des allgemeinen Wahlrechts.
Or. Molluske: Aber, Herr Landrath! Die nationallibcrale Partei
wird gern auf das allgemeine Wahlrecht verzichten, wenn cs dafür täglich
20 Mark Diäten giebt.
Landrath: Das können auch die Konservativen brauchen. Machen
Sie doch einmal den Vorschlag in Ihrem Blatte.
vi-, Molluske: Zn Befehl, Exzellenz; wird gleich morgen geschehen.
Vierkes Bild.
Kommerzienrath Patzig: Ist es Ihnen denn wirklich Ernst damit,
die Kosten für die Militürvorlage auf die Reichen zu wälzen?
vr. Molluske: Ach, das war nur so ein taktisches Manöver.
Jetzt sind die Wahlen vorbei. Besitz, Bildung, Ehrenhaftigkeit,
Charakterfestigkeit und Vaterlandsliebe haben ja glücklicher Weise
noch einmal über das vaterlandslose Gesindel triumphirt!
Hostrlspähne.
Nachdem die Regierung durch ihre Forder-
ungen das Volk an starken Tabak gewöhnt
hat, will sie dasselbe auch »och an stark be-
steuerten Tabak gewöhnen,
* ^ *
Bevor die große Schlächterei
Noch winkt Europas Heeren,
Kann doch ein Militärstaat nicht
Den Kriegsruhm ganz entbehren.
In fernen Zonen werden drum
Die Opfer auserlesen —
Wir schlagen stolz die Wahahc,
La France die Siamesen.
* *
In Haynau wurde ein Bürger wegen Ruhestörung bestraft, weil er
außergewöhnlich geniest hatte. Ich empfehle der dortigen Polizei,
einen Vornieser anzustellen, welcher den Bürgern lehrt, bis zu welchem
Grade sie der Obrigkeit etwas niesen dürfen.
Ihr getreuer Säge, Schreiner.
zuverlässiges Auskunftsmittel aus sozialen Nöthen,
welches vielfach angewandt wird."
„Nun, ich will vorläufig nicht verhungern,"
sagte Eugen. „Wo ist die Speiseanstalt?"
Der Bettler sagte ihm Bescheid und Engen
Richter schritt, enttäuscht und übel gelaunt, weiter.
Als er vor dcni Opernhause vorbeigiug, wan-
delte ihn ein Grauen an. Es hausten in dem
einst so herrlichen Gebäude Eulen und Krähen;
für die dramatische Kunst gab es im Sparstaate
keinen Raum.
Endlich kam Eugen in der Speiscanstalt au
und wollte ein Glas Bier haben. Mau konnte
ihm aber blos mit Kamillenthee dienen, das war
das feinste Getränk, welches sich auftreibcn ließ.
Die Speisekarte bot indessen ziemlich reiche Aus-
wahl. Es gab gesottene Regenwürmer mit Ka-|
stanienblättcr-Salat, Raupen in polnischer Sauce,'
Katzenklein, Grassuppe mit gekochter Brcuncssel-
wurzel, Ratte ä la Tartar u. s. w. Die Preise t
waren sehr niedrig, sie erlaubten einen durchaus
sparsamen Lebenswandel.
Eugens Appetit verringerte sich solchen Speisen
gegenüber. Er nahm eine Zeitung zur Hand — >
cs gab nur noch eine einzige, den „Staatsanzeiger", j
die andern waren als überflüssiger Luxus abge-:
schafft worden.
Die Zeitung bot wenig Interessantes. Eugen
Richter las zunächst die Vergnüguugsanzeigeu.
In den „Reichshallen" trat ein Hungcrkünstler
auf, auch waren dort mehrere Skclettmcnschen zu
sehen. Eine Dame produzirte sich im Verzehren
lebender Blindschleichen. Die Konzertmnsik war
natürlich aus Sparsamkeit abgeschafft, daS Musi-
kalische wurde durch den Hausknecht vertreten,
welcher in den Zwischenpausen das schöne Lied
pfiff: „Freund, ich bin zufrieden."
„Haben Sie wirklich nur gesottene Rcgen-
würmer?" fragte Eugen den Wirth.
„Leider," antwortete dieser. „Das letzte Pferd
ist geschlachtet, und Frösche sind in jetziger Zeit
zu theuer. Aber wenn Sie zu den Sozialdcino-
kraten gehen wollen — die verlachen unfern Spar-
staat nnd schwelgen bei Häring und Kartoffeln."
„Die Glücklichen!" seufzte Eugen. „Ich glaube
wirklich, das Sparen taugt nichts."
Er ging in die Wirthschaft der Sozialdemo-
kraten, fand dort Bier und Eisbein mit Sauer-
kraut und labte und stärkte sich. Als dies ge-
schehen, schien cs ihm, als ob die Erscheinung seines
Sparstaates nur eine Vision gewesen sei, die er
seinem ausnahmsweise leeren Magen verdankte.
Er grübelt nun darüber nach, ob er auch,
ferner die unsinnige Sparthcoric vertreten oder
sich zu einer vernünftigeren volkswirthschaftlichen
Erkcnntniß bekehren soll.
Für diese Bekehrung ist wenig Aussicht vor-
handen, Eugen wird wohl die Mumie bleiben,
die er seit vielen Jahren schon war.
Üalrenvoru'B Abschied.
Der treuste der Vasallen,
Die unr Laprivi steh'n,
Der Kaltenborn soll fallen?
Der Kaltenborn soll geh'n?
wir hören's ohne Härmen,
wir seh'n es ohne Zorn -
wer könnte sich erwärmen
Für einen Kaltenborn?
In der Herberge.
Danziger: Na, leb' wohl, Kamerad, ich ziehe
jetzt in den Krieg.
Stranbinger: Unsinn, Krieg giebt's ja
gar nicht.
Danziger: Doch! den deutsch-russischen
Zollkrieg.
Stranbinger: Na, was willst Du dabei thun?
Danziger: Ich ctablire mich als Schmugg-
ler an der russischen Grenze.
Aus Westfalen.
A. : Die Anhänger Huenc's vom Zentrum
wollen eine Zeitung auf Aktien herausgeben. Wie
sie dieselbe wohl heißen werden?
B. : Vielleicht „Hünengrab."
—Manöverfrende. —
£s klirrt von Preußen bis Bayerland,
Bon Schlesien bis nach Schwaben —
Der Militarismus, der Herrscher der Welt,
Will seine Manöver haben.
Er will sich ergehen im Schlachtenspiel,
llnd will in der Rüstung glänzen.
Da tönt eia Trompeten, ein Trommeln ringsum.
Als stände der §eind an den Krenzen.
Biel Pulver dann wird in die Luft geknallt.
Die Rosten sind reichlich bemessen,
Ls hätten dafür einen Winter lang
Zehntausend Familien zu essen.
Wohl fragen die Bürger und Bauern sich:
Wozu dieses Spiel der Soldaten,
Indessen das Land durch die Kutternoth
In schwere Bedrängniß gerathen?
Kiebts Lrnsteres nicht mehr im Reiche zu thun.
And soll man die Roth nicht dämpfen?
Man sollte der Armen gefährlichsten §eind.
Den drohenden Hunger bekämpfen.
Der Militarismus, ihn kümmert es nicht,
Rur ihm ist die Welt zu eigen —
Laut tobt durch das Land sein Manöverspiel,
Die Stimme des Volkes muß schweigen.
Die Kvsackrn.
Meyer: Die Kosacken sind doch gar schlinune
Leute. Wenn die einnial an den Rhein kommen-
Müller: Dann kann es auch nicht schlimmer
werden; dort sitzt ja Alles schon ganz voll von
Preß-Kosacken. ^
Ein Erfolg.
21,: Der Antisemit Müller ist die Veranlassung,
daß Levy Schmul Protestant wurde.
B.: Ah, hat er ihn zum Christenthum bekehrt?
21.: Nein, aber Müller hat seine in Schmuls
Händen befindlichen Wechsel nicht ein gelöst,
und da hat Schmul sie protestirt.