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1646

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*s dröhnt ein rauhes, gewaltiges Lied
s Vorn Norden mit eisigen Stürmen,

' Und wie's die erstarrenden Lande durchzieht
Und Schneegebirge sich thürrnen
Da schlägt es in Fesseln des Stromes Gewalt,
Daß sein wuthschrei die zitternden Nächte durchhallt.

Und über eirrsame Hütten im Feld
Durch der Großstadt düstere Gassen,
wo der Frost ein wüthendes würgen hält
Irr des Volkes hungernden Massen —

Da gellt am Tag und da heult durch die Nacht
Das Lied von des Glends vernichtender Macht.

Und wolltet Ihr hörerr das grausige Lied,

Den Nothschrei der Tausend um Tausend,

Der mit winterstürmen die Lande durchzieht,

nicht hören. ^

wie ein Malstrom den Sturm überbrausen- —
In Eurer Feste berauschender Lust
Erstarren müßt' Luch das Herz in der Brust!

Ihr müßtet reißen von Eurem Gewand
Juwelen und blitzend Geschmeide,

Und opfern der Sinnenlust thörichten Tand
Der Brüder entsetzlichem Leide;

Und Menscher: müßtet Ihr werden gleich,

Die nicht nur beten: Gs komme Dein Reich!

Ihr müßtet! — Doch schon verhallt der Ruf

An den Thoren Eurer Paläste!-

Der Winter ist's ja, der Euch erschuf
Den Jubel glänzender Feste.

Und vorüber donnert an ihrer Pracht

Das Lied von des winters — des Glends Macht.

Hon unserm Gam-Offiziösen.

— Minister v. Bötticher ging im strömenden Regen ohne Regen-
schirm über die Leipziger Straße. Er behängtet steif und fest, daß es
ganz trocken sei, andernfalls müßte es ihm von amtswcgen bekannt sein.

— Die Berliner Polizei unterstützt die Arbeitslosen nicht nur durch
Versammlungsauflösungen, sondern auch durch brandige Nebenverdienste.

— Aus Dortmund wird gemeldet, daß dort der reichste Mann
Preußens wohnt, er hat ein Einkommen von fast elf Millionen Mark; —

in derselben Stadt wohnt auch der ärmste Mann Preußens, nämlich Hans der
Proletarier. Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" meint, daß die Garnison
Dortmunds um ein Regiment verinehrt werden müßte, damit der große
Kouponabschneider in seiner segensreichen Thätigkeit nicht eingeengt werde.

— Alle Lockspitzel Deutschlands sind vor den Thaten des Vertrauten
des Reichskanzleramts, des Spitzels Reuß — schamroth geworden.

— Die Nachricht, König Milan sei nach Serbien gereist, um die
Würde der Krone zu wahren, ist falsch. Um eine Krone macht Milan
keine Anstrengung, es muß sich um größere Summen handeln.

Der Mameluken Alage.

(§s ward Ihm ein Mantel, ein neuer, befcheert,
Auch ward mit 'ner Alasche Wein Er beehrt,
Nun gießt Er wohl Wasser in seinen Wein
Und hüllt in den Mantel des Schweigens Sich ein?

Wun wird Erwähl nimmer mit Schelten und Schrei'n
Mehr laufen hinter dem Ueichswagen drein?
Erproben nicht mehr Seines Zornes Gewalt
Nus der „Hamburger Nachrichten" Hinterhalt?

Gutedeles Namelukenthum.

Es bleibt dir dein Wismarck, du kommst nicht darum;
Zur Herrschaft gelangt Er ja nimmermehr,
Drum wird Er auch schimpfen, ganz wie vorher.

»Kein Hüsung."

Bo» I. Sirach.

Er war arbeitslos. Den ganzen Tag hatte
er von einer Werkstatt zur andern fruchtlos um-
geschaut. Nichts zu thun, alles besetzt! Er ging
stumpf, gedrückt, elend heimwärts. Hatte er denn
ein Heim? Seit acht Wochen außer Brot, stand
er allein in der Welt, ohne Weib und Kind, ohne
Freunde und Verwandte. Die Vermietherin hatte
ihm heute die Schlafstelle gesperrt, er ivar obdach-
los. Wohin heute Nacht? In das überfüllte Asyl?
Wenn noch ein Plätzchen da war! Und jetzt in
die Wärmehalle, für den letzten Nickel eine breite
Bettelsuppe zu kaufen und, bis der Aufseher ihn
Hinaustrieb, dort stundenlang zu hocken. Es war
kalt, ein böser, schneidender Wind, der durch die
zerschlissenen Kleider blies, fuhr durch die Gassen,
wo Alle dahinhasteten, unruhig, abgehetzt, ohne
Rast, ohne Muße.

Als der Obdachlose am Rathhause vorbeischlich,
an den Häusern entlang, geschüttelt von der Kälte,
von Hunger gepeinigt, trat ihm aus dem Dunkel
einer Einfahrt ein Mann in den Weg, den hageren,
schlanken Leib in einen faltigen Mantel gewickelt,
auf dem Kopfe einen breitkrämpigen Hut, den das

Gesicht beinahe verhüllte. Nur die Augen fun-
kelten in stechendem Glanze, und der Mund zuckte
von dem verhaltenen Lächeln des Spottes. Der
Fremde schleppte beim Gehen den linken Fuß ein
wenig nach, hielt sich aber sonst recht stattlich.

Er grüßte den Wanderer vertraulich, nannte
ihn bei seinem Namen und führte ihn durch das
winklige Gewirr der letzten Ueberlebsel der Alt-
stadt als Einer, der jeden Pflasterstein und alle
Winkel kennt. Ein rostiger Schlüssel mit künst-
lichem Bart, wie ihn nur alte zünftische Kunst
zu feilen verstanden, schloß ein eisenbeschlagenes
Thor. Es kreischte in den Angeln, drehte sich
schwerfällig hin und her und fiel krachend ins
Schloß. Ausgetretene, glatte Steinstufen, eine
enge, dunkle Wendeltreppe hinauf, höher, immer
höher, bis die frische, scharfe Winterluft sie um-
wehte. Sie standen auf der Höhe des Thurmes,
desfeu schwerfällige Steinmasse kräftig in den Erd-
boden gepflanzt war wie festgewurzelt. Zu ihren
Füßen lag die Millionenstadt. Tausende, Myria-
den, Hunderttausende von Lichtern, von Gas-
flammen, von elektrischen Kerzen flimmerten wie
ein wogendes Meer, in das die Abendsonne hinab-
taucht. Ein ungeheures Gewebe zahlloser rother
und blauer Lichtfäden spannte sich von der Spitze
des Thurmes bis zu dem still fließenden Strom,
auf dessen Wasser schwerbeladene Kähne lagen,
von: Eise festgehalten. Große zuckende Kaskaden,
wogende Flammenbäche stiegen aus den ragenden
Essen der Werke, wo sich Hunderte fleißiger Hände
rührten, zerstoben im Luftraum und schütteten
eine Fluth feuriger Thautropfen auf die Firste
und Schlüte der Häuser. Durch die heilige Stille
da oben drang von ferne, wie der verlorene Hall
eines Echos, der Lärm der Weltstadt. Unzählige
Menschen da unten aus der Straße und in den
Häusern, alle verstrickt in die Bande des Daseins,
die Einen zum Glücke, zum Leide die Andern.
Und ein schmerzlicher Seufzer drang hinauf zu
den Beiden. Das unendliche Weh von unendlich
Vielen da drunten, die in: Jammer des Lebens
vergehen, sprach zu ihnen in der Einsamkeit.

Der Fremde aber lächelte, schlug seines Mantels
dunkle Falten um den Jüngling, und schon hoben
sie sich empor in den Aether und schwebten leicht
durch die Nacht, zogen auf und nieder ihre Kreise
und wurde ihnen offenbar, was sonst verborgen
bleibt. Ich bin Satanas, sprach der Unbekannte, als
sie dahinslogen, den sie den gefallenen Engel heißen,
mein ist die Macht und Herrlichkeit. Dir will ich
zeigen, was nur die Wissenden im Busen still ver-
borgen hegen, der Herrschenden innerste Gedanken.

In: Prunkzimmer eines Palastes saß der
reichste Mann der Riesenstadt und brütete. Denn
sein Auge war geschärft durch die Furcht vor dein
Konunendcn, und sein Ohr hörte, daß die unter-
irdische Glnth zum Ausbruch drängte, mit ihrer
Lava Alles zu übergießen. Tausend bange, quä-
lende Gedanken schossen durch sein Hirn. Die
draußen sahen, wie sich die Stirne des Grübeln-
den runzelte und wie ihm die Schläfen hämmerten.
Nun sinkt er zurück in die Polster. Mit grauen
Fledermausslügeln huscht die Sorge durch die
Ritzen des Fensters und umflattert den Schlafen-
den. Ans den nächtigen Schlüften des Traum-
landes steigen die Schattenbilder auf, dräuend
umwallen sie ihn und weichen anderen, die dem
Alp gleich ihn: den Athen: rauben. Hungernde,
abgcmergelte Weiber, die das Gespinnst heiin-
tragen, um für einen Bettellohn zu weben, blasse,
hohläugige Kinder, die die Noth ins frühe Grab jagt,
verzweifelte Männer, die in: Elend verkon:n:en, stei-
gen aus. Sind's nicht die Weber, die für ihn sich
placken? Und die Todten dort, waren es nicht die
Bergknappen, die für ihn trotz schlagenderWetter die
Kohle förderten? Die riß ein Schwaden darnieder.

Eine Lohe fuhr auf, das rothe Gold des
Reichen sing an zu glühen. Nun schmolz es, und
die Däinpfe, die aufstiegen, rannen zusammen zu
Gesichtern. Waren das nicht die Hörigen seiner
Glashütten, seiner Bleiweißwerke. Das Gold
hatten sie geschasst, hatten es mit Leib und Leben,
mit ihrem Mark und Blut, mit Hirn und Herzen
bezahlt. Ihn: rollte es durch die Finger, ihm zauberte
es Genuß um Genuß aufs Lager und an die Tafel.
 
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