1651
Es darf ein guter Schaffner nie
Die rechte Zeit versäumen,
Lr muß schon fort in aller Früh',
Wenn noch die Kinder träumen.
And kehrt er spät des Aachts zurück.
Die Rinder wieder schlafen;
Wo bleibt denn das Familienglück,
Zagt mir, für diesen Braven?
Ls müht sich mit der Radel ab
Die Mutter für die Rinder;
Zwar der Verdienst ist schändlich knapp.
Doch Zeit ist Geld nicht minder.
Sie zieht den Lrstgebornen an,
Lilt mit ihm aus dem Haufe,
Zum Vater nach der Pferdebahn,
Die macht jetzt eine Pause.
Ls leuchtet hell des Vaters Blick,
Doch kurz sind fünf Minuten,
Ls muß mit dem Familienglück
Der Vater sehr sich sputen.
Philosophie zur selben Zeit
Betreibt der Ltaatsrath Schlecker,
Der bei dem reichen Bankier Beit
Verweilt als Tellerlecker.
Der spricht: „Leicht trägt sein Mißgeschick
Der arme Mann hienieden.
Das traulichste Familienglück
Bleibt ihm ja noch beschieden!"
Mein Geheinffekretär öffnete eine große Mappe
und reserirte unter Anderem:
„In mehreren Provinzen herrscht große Futter-
noth. Die Bauern klagen, daß das Vieh nichts
zu fressen hat, und fordern vom Ministerium
Abhilfe."
Der Sekretär bemerkte noch, daß thatkrästige
Hilfe am Platze sei.
Thatkräftig einschreilcn — das war ganz mein
Fall. Ich dekretirte: Die Bauern sollen die
Hälfte ihres Rindviehs schlachten, sollen es zu
Beefsteaks verarbeiten und diese den noch leben-
den Rindern zu fressen geben, dann werde kein
Ochse mehr Roth leiden.
Was man von einen: stellvertretenden Land-
wirthschafts-Minister Alles verlangt, ist schwer
zu beschreiben. Kaum hatte ich die Frage der
Futternoth gelöst, da wurde berichtet, daß in einer
anderen Provinz die Reblaus großen Schaden
anrichte und vom Ministeriun: Hilfe erwartet
werde. Reblaus — ich hatte keine Ahnung, was
sich unter diesem Namen wohl berge? War es eine
Witterungserscheinung, eine unsolide Kredit-Aktie,
eine neue Partei oder eine entsprungene Straf-
gefangene?
Ich hätte aber kein Diplomat sein müssen,
wenn ich durch die unbekannte Erscheinung in
Verlegenheit gekommen märe. Ich that, was wir
Diplomaten in solchen Fällen, wo wir uns nicht
zu helfen wissen, immer thun: ich empfahl eine
strengere Ueberwachung des Versanimlungswesens, ;
Maßregeln gegen die Presse und Zusammenschluß
aller ordnungssreundlichen Elemente gegen den
destruktiven Reblausismus.
Damit hatte ich natürlich den Vogel abge-
schossen; die „Norddeutsche Allgemeine" lobte in
einem Leitartikel meinem Scharfblick und meine
Energie, Herr von Kardorff sandte mir mit einer
poetischen Widmung seine neueste Broschüre über
die Silberwährung und zwanzig entlassene Sträf-
linge boten sich mir als Geheimpolizisten an.
Diese Erfolge gaben mir erst die rechte Sicher-
heit in meinem Amte. Als mir jetzt eine Petition
der kleinen Landwirthe zuging, welche über ihre
wirthschaftliche Lage alle möglichen Klagen und
Beschwerden hatten, da wußte ich sofort Rath.
l Ich ordnete an, daß den Petenten täglich dreimal
Kopf- und Rückengüsse nach Pfarrer Kneipp's
Methode verabreicht werden und daß sie täglich
i eine Stunde barfuß auf einer Wiese spazieren
gehen müßten. Mit der Durchführung der Kur
beauftragte ich die Ortspolizei, um jede Wider-
spenstigkeit der Betreffenden als Widerstand gegen
die Staatsgewalt bestrafen zu können. Die Kneipp-
kur, welche so viele Erfolge aufzumeiscn hat, mußte
sich ja als soziales Heilmittel bei diesen biederen
Landleuten unbedingt bewähren.
Sobald die Leute aus meiner Amtsführung
erkannten, daß ich ein Mann der That sei, hatte
ich die Ehre, mir das Wohlwollen des Bundes
der Landwirthe zn erwerben.
„Das ist ein Mann, wie wir ihn brauchen kön-
nen", sagte Graf Emmenthal-Rührum, ein hervor-
ragender Schutzzöllner, und ersuchte mich in: Namen
des Bundes der Landwirthe um energische Maß-
nahmen zur Erhöhung der Getreidepreise.
Ich erkannte sofort, daß sich hier eine Ge-
legenheit bot, die Augen der Welt auf mich zu
lenken und womöglich den Reichskanzler über den
Haufen zu rennen.
„Jawohl", sagte ich zum Grafen Emmenthal-
Rührum, „ich werde binnen acht Tagen den Zentner
Getreide aus den Preis von hundert Mark bringen."
Im Lager des Bundes der Landwirthe war
darob große Freude und :nan badete die Kehlen
in Champagner.
Ich aber ging sofort ans Werk. Ich ließ mir
alle Handelsverträge, die mit auswärtigen Staaten
abgeschlossen waren, in mein Bureau bringen
und warf sie in den Ofen. Dann erließ ich eine
Proklanmtion, nach welcher die Einfuhr fremden
Getreides als Vergehe,: wider die öffentliche Ord-
nung mit Gefängniß bis zu fünf Jahren zu be-
strafen sei, und an die Landwirthe erließ ich ein
vertrauliches Rundschreiben mit der Aufforderung,
sie möchten ihre Vorräthe bis auf wenige Zentner
in Flammen aufgehen lassen. Den Rest könnten
sie dann für hundert Mark pro Zentner verkaufen.
Am nächsten Morgen nach meiner Prokla-
mation über die Getreide-Einfuhr erschienen in
meinen: Bureau drei schwarz gekleidete, sehr ernst-
haft dreinschauende Herren.
„Aha!" dachte ich, „das ist die Deputation,
welche mir die Reichskanzler-Würde überbringt."
Leider hatte ich mich aber furchtbar getäuscht.
Die drei Herren waren Aerzte, welche die Unver-
schämtheit hatten, meinen Geisteszustand unter-
suchen zu wollen.
Gleichzeitig einpfing ich auch die Nachricht,
daß ich :neines Stellvertreter-Amtes enthoben sei,
da der Landwirthschaftsminister Graf von Knochen-
inehl seine Kur unterbrochen hatte und auf seinen
Posten geeilt war, un: das Unheil zu verhüten,
welches ich anzurichten in: Begriff gewesen wäre.
Ich fiel aus den Wolken über solche Schänd-
lichkeit. Die untersuchenden Aerzte konnte ich
glücklicherweise überzeugen, daß meine geistigen
Kräfte keineswegs zerrüttet oder abgenützt, sondern
noch ganz „wie neu" waren, da ich sie bisher
wenig strapazirt hatte. Aber mit meinen Kollegen
von der Diplomatie bekam ich einen schweren
Stand. Man warf mir vor, das angeordnete
Schlachten des Rii:dviehs habe nur den Fleisch-
preis heruntergedrückt und sei den: großen Publi-
kum, anstatt der Landwirthschaft zu Gute gekoin-
men; die Reblaus nehme trotz verschiedener Zei-
tungs-Konfiskationen noch immer überhand und
die Kneippkur erweise sich zur Bekäinpfung sozialer
Uebel so wirkungslos, wie die Spartheorie oder
die innere Mission. Mit meinem Vorschlag des
Getreide-Verbrennens hätte ich jedoch den: Fasse
den Boden ausgestoßen, denn dieses sei eine fla-
grante Schädigung der Brandversicherungsgesell-
schaften, welche ii: einen: geordneten Staate selbst
dann nicht geduldet werden könne, wenn sie zu
Gunsten des Bundes der Landwirthe geschähe.
Auf Grund dieser Verkennung n:einer Ver-
dienste entließ man mich aus den: Landwirthschafts-
Ministerium und es bleibt mir nur die Hoffnung,
in den: Ressort der auswärtigen Politik durch
große Thaten :nein Ansehen wieder herzustellen.
Eines tröstet mich in meiner Niederlage.
Meine Freunde in: feudalen Lager, die Agrarier
von echtem Schrot und Korn, sind nur in: Herzen
zugethan und werden mich bei passender Gelegen-
heit wieder auf den Schild heben; der Posten des
Landwirthschafts-Ministers ist mir sicher.
Es darf ein guter Schaffner nie
Die rechte Zeit versäumen,
Lr muß schon fort in aller Früh',
Wenn noch die Kinder träumen.
And kehrt er spät des Aachts zurück.
Die Rinder wieder schlafen;
Wo bleibt denn das Familienglück,
Zagt mir, für diesen Braven?
Ls müht sich mit der Radel ab
Die Mutter für die Rinder;
Zwar der Verdienst ist schändlich knapp.
Doch Zeit ist Geld nicht minder.
Sie zieht den Lrstgebornen an,
Lilt mit ihm aus dem Haufe,
Zum Vater nach der Pferdebahn,
Die macht jetzt eine Pause.
Ls leuchtet hell des Vaters Blick,
Doch kurz sind fünf Minuten,
Ls muß mit dem Familienglück
Der Vater sehr sich sputen.
Philosophie zur selben Zeit
Betreibt der Ltaatsrath Schlecker,
Der bei dem reichen Bankier Beit
Verweilt als Tellerlecker.
Der spricht: „Leicht trägt sein Mißgeschick
Der arme Mann hienieden.
Das traulichste Familienglück
Bleibt ihm ja noch beschieden!"
Mein Geheinffekretär öffnete eine große Mappe
und reserirte unter Anderem:
„In mehreren Provinzen herrscht große Futter-
noth. Die Bauern klagen, daß das Vieh nichts
zu fressen hat, und fordern vom Ministerium
Abhilfe."
Der Sekretär bemerkte noch, daß thatkrästige
Hilfe am Platze sei.
Thatkräftig einschreilcn — das war ganz mein
Fall. Ich dekretirte: Die Bauern sollen die
Hälfte ihres Rindviehs schlachten, sollen es zu
Beefsteaks verarbeiten und diese den noch leben-
den Rindern zu fressen geben, dann werde kein
Ochse mehr Roth leiden.
Was man von einen: stellvertretenden Land-
wirthschafts-Minister Alles verlangt, ist schwer
zu beschreiben. Kaum hatte ich die Frage der
Futternoth gelöst, da wurde berichtet, daß in einer
anderen Provinz die Reblaus großen Schaden
anrichte und vom Ministeriun: Hilfe erwartet
werde. Reblaus — ich hatte keine Ahnung, was
sich unter diesem Namen wohl berge? War es eine
Witterungserscheinung, eine unsolide Kredit-Aktie,
eine neue Partei oder eine entsprungene Straf-
gefangene?
Ich hätte aber kein Diplomat sein müssen,
wenn ich durch die unbekannte Erscheinung in
Verlegenheit gekommen märe. Ich that, was wir
Diplomaten in solchen Fällen, wo wir uns nicht
zu helfen wissen, immer thun: ich empfahl eine
strengere Ueberwachung des Versanimlungswesens, ;
Maßregeln gegen die Presse und Zusammenschluß
aller ordnungssreundlichen Elemente gegen den
destruktiven Reblausismus.
Damit hatte ich natürlich den Vogel abge-
schossen; die „Norddeutsche Allgemeine" lobte in
einem Leitartikel meinem Scharfblick und meine
Energie, Herr von Kardorff sandte mir mit einer
poetischen Widmung seine neueste Broschüre über
die Silberwährung und zwanzig entlassene Sträf-
linge boten sich mir als Geheimpolizisten an.
Diese Erfolge gaben mir erst die rechte Sicher-
heit in meinem Amte. Als mir jetzt eine Petition
der kleinen Landwirthe zuging, welche über ihre
wirthschaftliche Lage alle möglichen Klagen und
Beschwerden hatten, da wußte ich sofort Rath.
l Ich ordnete an, daß den Petenten täglich dreimal
Kopf- und Rückengüsse nach Pfarrer Kneipp's
Methode verabreicht werden und daß sie täglich
i eine Stunde barfuß auf einer Wiese spazieren
gehen müßten. Mit der Durchführung der Kur
beauftragte ich die Ortspolizei, um jede Wider-
spenstigkeit der Betreffenden als Widerstand gegen
die Staatsgewalt bestrafen zu können. Die Kneipp-
kur, welche so viele Erfolge aufzumeiscn hat, mußte
sich ja als soziales Heilmittel bei diesen biederen
Landleuten unbedingt bewähren.
Sobald die Leute aus meiner Amtsführung
erkannten, daß ich ein Mann der That sei, hatte
ich die Ehre, mir das Wohlwollen des Bundes
der Landwirthe zn erwerben.
„Das ist ein Mann, wie wir ihn brauchen kön-
nen", sagte Graf Emmenthal-Rührum, ein hervor-
ragender Schutzzöllner, und ersuchte mich in: Namen
des Bundes der Landwirthe um energische Maß-
nahmen zur Erhöhung der Getreidepreise.
Ich erkannte sofort, daß sich hier eine Ge-
legenheit bot, die Augen der Welt auf mich zu
lenken und womöglich den Reichskanzler über den
Haufen zu rennen.
„Jawohl", sagte ich zum Grafen Emmenthal-
Rührum, „ich werde binnen acht Tagen den Zentner
Getreide aus den Preis von hundert Mark bringen."
Im Lager des Bundes der Landwirthe war
darob große Freude und :nan badete die Kehlen
in Champagner.
Ich aber ging sofort ans Werk. Ich ließ mir
alle Handelsverträge, die mit auswärtigen Staaten
abgeschlossen waren, in mein Bureau bringen
und warf sie in den Ofen. Dann erließ ich eine
Proklanmtion, nach welcher die Einfuhr fremden
Getreides als Vergehe,: wider die öffentliche Ord-
nung mit Gefängniß bis zu fünf Jahren zu be-
strafen sei, und an die Landwirthe erließ ich ein
vertrauliches Rundschreiben mit der Aufforderung,
sie möchten ihre Vorräthe bis auf wenige Zentner
in Flammen aufgehen lassen. Den Rest könnten
sie dann für hundert Mark pro Zentner verkaufen.
Am nächsten Morgen nach meiner Prokla-
mation über die Getreide-Einfuhr erschienen in
meinen: Bureau drei schwarz gekleidete, sehr ernst-
haft dreinschauende Herren.
„Aha!" dachte ich, „das ist die Deputation,
welche mir die Reichskanzler-Würde überbringt."
Leider hatte ich mich aber furchtbar getäuscht.
Die drei Herren waren Aerzte, welche die Unver-
schämtheit hatten, meinen Geisteszustand unter-
suchen zu wollen.
Gleichzeitig einpfing ich auch die Nachricht,
daß ich :neines Stellvertreter-Amtes enthoben sei,
da der Landwirthschaftsminister Graf von Knochen-
inehl seine Kur unterbrochen hatte und auf seinen
Posten geeilt war, un: das Unheil zu verhüten,
welches ich anzurichten in: Begriff gewesen wäre.
Ich fiel aus den Wolken über solche Schänd-
lichkeit. Die untersuchenden Aerzte konnte ich
glücklicherweise überzeugen, daß meine geistigen
Kräfte keineswegs zerrüttet oder abgenützt, sondern
noch ganz „wie neu" waren, da ich sie bisher
wenig strapazirt hatte. Aber mit meinen Kollegen
von der Diplomatie bekam ich einen schweren
Stand. Man warf mir vor, das angeordnete
Schlachten des Rii:dviehs habe nur den Fleisch-
preis heruntergedrückt und sei den: großen Publi-
kum, anstatt der Landwirthschaft zu Gute gekoin-
men; die Reblaus nehme trotz verschiedener Zei-
tungs-Konfiskationen noch immer überhand und
die Kneippkur erweise sich zur Bekäinpfung sozialer
Uebel so wirkungslos, wie die Spartheorie oder
die innere Mission. Mit meinem Vorschlag des
Getreide-Verbrennens hätte ich jedoch den: Fasse
den Boden ausgestoßen, denn dieses sei eine fla-
grante Schädigung der Brandversicherungsgesell-
schaften, welche ii: einen: geordneten Staate selbst
dann nicht geduldet werden könne, wenn sie zu
Gunsten des Bundes der Landwirthe geschähe.
Auf Grund dieser Verkennung n:einer Ver-
dienste entließ man mich aus den: Landwirthschafts-
Ministerium und es bleibt mir nur die Hoffnung,
in den: Ressort der auswärtigen Politik durch
große Thaten :nein Ansehen wieder herzustellen.
Eines tröstet mich in meiner Niederlage.
Meine Freunde in: feudalen Lager, die Agrarier
von echtem Schrot und Korn, sind nur in: Herzen
zugethan und werden mich bei passender Gelegen-
heit wieder auf den Schild heben; der Posten des
Landwirthschafts-Ministers ist mir sicher.