1658
Der berhängnißiiMe Vrief.
övumoreske von M. Kegel.
s war an einem Sonnabend, Nachmittags
vier Uhr.
Der Redakteur des sozialdemokratischen
Witzblattes „Vitzli-Putzli" saß auf seinem
Redaktionstische, stützte seinen rechten Fuß
aus die kondensirte Wissenschaft, Konversationslexikon genannt, und
rauchte eine Zigarette. Sein Faktotum, der Expedient Müller, leistete
ihm Gesellschaft, indem er mit blankem Dolchmesser einen Rettig
zertheilte.
Die Zeitung war fertig und die Kolporteure unterwegs. Man
hätte eigentlich die Bude schließen können, aber der Redakteur er-
wartete noch einen wichtigen Brief.
Am nächsten Tage sollte nämlich eine Provinzialversammlung der
Sozialdemokraten behufs Besprechung über die Landtagswahlen statt-
finden. Die Versammlung mußte eine geheime sein, denn es herrschte
noch das famose Sozialistengesetz, mit dessen Hilfe die sozialdemokratische
Wahlagitation von der Weisheit
der Behörden als gemeingefähr-
liche, auf den Umsturz u. s. w.
gerichtete Bestrebung deklarirt
wurde. Der Ort der Versamm-
lung sollte den Theilnehmern erst
einen Tag vorher mitgetheilt
werden und diese wichtige Mit-
theilung war es, welche man in
der Redaktion des „Vitzli-Putzli"
eben erwartete.
Richtig, jetzt kam der Brief-
träger. Er legte einen Brief mit
dem Poststempel M**, der Nach-
barstadt, auf den Tisch und
empfahl sich rasch. Aus M**
sollte die erwartete Mittheilung
kommen, der Brief enthielt sie
also ganz wahrscheinlich.
Aber noch war der Brief
nicht geöffnet, da öffnete sich die
Thüre und herein mit gewich-
tigem Schritt trat der Polizei- „Glauben Sie, daß ich einen Brief von
kommissar Saul, gefolgt von dem Kriminalpolizisten Ratte und
mehreren Behelmten, welche den Korridor und die Treppe besetzten.
Solcher Besuch war in der Redaktion des „Vitzli-Putzli" nichts
Neues und erweckte in der Regel dort nur geringes Interesse. Dies-
mal aber kam er höchst ungelegen, denn der soeben eingetroffene Brief
durfte uin keinen Preis in die Hände der Polizei fallen.
„Was wünschen Sie?" fragte der Redakteur, den Polizeimenschen
entgegentretend.
Der Kommissar meldete Haussuchung an und fragte sodann direkt
nach dem Briefe, den der Redakteur soeben in der Hand gehabt habe.
„Ein Brief?" fragte derselbe erstaunt. „Ich hatte ja nur die
Scheere in der Hand."
„Glauben Sie", fragte der Kommissar Saul ärgerlich, „daß ich
einen Brief nicht von einer Scheere unterscheiden kann?"
„Die Polizei kann Alles", war die ernst und feierlich gegebene
Antwort.
„Gut, so werden wir suchen."
Die Polizeibeamten entledigten sich ihrer Sommerüberzieher und
hingen dieselben an die in der Nähe der Thür befindlichen Kleider-
haken. Die Haussuchung begann.
Unterdeß war der gesuchte Brief in die Hände des Expedienten
übergegangen, der ihn verschwinden lassen sollte, während der Re-
dakteur die Aufmerksamkeit der Beamten beschäftigte. Die Aufgabe
war nicht leicht, denn man wußte, der Kommissar Saul ging mit der
denkbar größten Gründlichkeit zu Werke. Er durchsuchte nicht nur
alle Räume und Schubfächer, sondern auch alle Taschen und jedes
Rockfutter in der Bekleidung der Betroffenen, er prüfte sogar, ob die
Hosen etwa einen doppelten Boden hätten, denn er wollte mittels des
Sozialistengesetzes Karriere machen, weil das viel leichter und be-
quemer war, wie das Aufspüren von Dieben und Raubmördern.
Also wohin mit dem Briese? Im Lokal würde ihn die Polizei
finden, die Entfernung aus dem Lokal verhinderte die Besatzung an
der Thür.
Da hatte Müller einen genialen Einfall. Dort hing ja der Ueber-
zieher des Polizisten Ratte; dessen Tasche bot einstweilen einen Schlupf-
winkel für den Brief, und vor der Beendigung der Haussuchung war
er so leicht herauszunehmen, wie er sich hineinpraktiziren ließ. Ein
gewagtes Auskunftsmittel, aber es gab kein anderes. Der Brief ver-
schwand ungesehen in der Tasche des polizeilichen Ueberziehers.
Nun war Müller übermüthig und bot seine Taschen selbst zur
Durchsuchung an, „da der Polizei ja doch nichts verborgen bleibe".
Er wurde von Ratte resultatlos durchsucht und konnte, nachdem seine
Taschen als unverdächtig befun-
den waren, daraus ausgehen,
den versteckten Brief wieder an
sich zu bringen. Die Sache schien
sich günstig zu gestalten, denn
Ratte begann einen Nebenraum
zu inspiziren, man hatte es also
momentan nur mit Saul allein
zu thun.
Aber dieser war jetzt gerade
in der Nähe der Kleiderhalter;
er untersuchte sozusagen mikro-
skopisch einen alten Arbeitsrock
des Redakteurs und dann geschah
etwas, das außer aller Berech-
nung lag. In seinem Eifer er-
griff Saul den Ueberzieher seines
Kollegen Ratte, den er für ein
Kleidungsstück der Vehaussuch-
ten hielt und nahm den Inhalt
der Brusttasche heraus, mehrere
Schriftstücke, darunter den dort
einer Scheere nicht unterscheiden kann?" versteckten Brief.
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Der berhängnißiiMe Vrief.
övumoreske von M. Kegel.
s war an einem Sonnabend, Nachmittags
vier Uhr.
Der Redakteur des sozialdemokratischen
Witzblattes „Vitzli-Putzli" saß auf seinem
Redaktionstische, stützte seinen rechten Fuß
aus die kondensirte Wissenschaft, Konversationslexikon genannt, und
rauchte eine Zigarette. Sein Faktotum, der Expedient Müller, leistete
ihm Gesellschaft, indem er mit blankem Dolchmesser einen Rettig
zertheilte.
Die Zeitung war fertig und die Kolporteure unterwegs. Man
hätte eigentlich die Bude schließen können, aber der Redakteur er-
wartete noch einen wichtigen Brief.
Am nächsten Tage sollte nämlich eine Provinzialversammlung der
Sozialdemokraten behufs Besprechung über die Landtagswahlen statt-
finden. Die Versammlung mußte eine geheime sein, denn es herrschte
noch das famose Sozialistengesetz, mit dessen Hilfe die sozialdemokratische
Wahlagitation von der Weisheit
der Behörden als gemeingefähr-
liche, auf den Umsturz u. s. w.
gerichtete Bestrebung deklarirt
wurde. Der Ort der Versamm-
lung sollte den Theilnehmern erst
einen Tag vorher mitgetheilt
werden und diese wichtige Mit-
theilung war es, welche man in
der Redaktion des „Vitzli-Putzli"
eben erwartete.
Richtig, jetzt kam der Brief-
träger. Er legte einen Brief mit
dem Poststempel M**, der Nach-
barstadt, auf den Tisch und
empfahl sich rasch. Aus M**
sollte die erwartete Mittheilung
kommen, der Brief enthielt sie
also ganz wahrscheinlich.
Aber noch war der Brief
nicht geöffnet, da öffnete sich die
Thüre und herein mit gewich-
tigem Schritt trat der Polizei- „Glauben Sie, daß ich einen Brief von
kommissar Saul, gefolgt von dem Kriminalpolizisten Ratte und
mehreren Behelmten, welche den Korridor und die Treppe besetzten.
Solcher Besuch war in der Redaktion des „Vitzli-Putzli" nichts
Neues und erweckte in der Regel dort nur geringes Interesse. Dies-
mal aber kam er höchst ungelegen, denn der soeben eingetroffene Brief
durfte uin keinen Preis in die Hände der Polizei fallen.
„Was wünschen Sie?" fragte der Redakteur, den Polizeimenschen
entgegentretend.
Der Kommissar meldete Haussuchung an und fragte sodann direkt
nach dem Briefe, den der Redakteur soeben in der Hand gehabt habe.
„Ein Brief?" fragte derselbe erstaunt. „Ich hatte ja nur die
Scheere in der Hand."
„Glauben Sie", fragte der Kommissar Saul ärgerlich, „daß ich
einen Brief nicht von einer Scheere unterscheiden kann?"
„Die Polizei kann Alles", war die ernst und feierlich gegebene
Antwort.
„Gut, so werden wir suchen."
Die Polizeibeamten entledigten sich ihrer Sommerüberzieher und
hingen dieselben an die in der Nähe der Thür befindlichen Kleider-
haken. Die Haussuchung begann.
Unterdeß war der gesuchte Brief in die Hände des Expedienten
übergegangen, der ihn verschwinden lassen sollte, während der Re-
dakteur die Aufmerksamkeit der Beamten beschäftigte. Die Aufgabe
war nicht leicht, denn man wußte, der Kommissar Saul ging mit der
denkbar größten Gründlichkeit zu Werke. Er durchsuchte nicht nur
alle Räume und Schubfächer, sondern auch alle Taschen und jedes
Rockfutter in der Bekleidung der Betroffenen, er prüfte sogar, ob die
Hosen etwa einen doppelten Boden hätten, denn er wollte mittels des
Sozialistengesetzes Karriere machen, weil das viel leichter und be-
quemer war, wie das Aufspüren von Dieben und Raubmördern.
Also wohin mit dem Briese? Im Lokal würde ihn die Polizei
finden, die Entfernung aus dem Lokal verhinderte die Besatzung an
der Thür.
Da hatte Müller einen genialen Einfall. Dort hing ja der Ueber-
zieher des Polizisten Ratte; dessen Tasche bot einstweilen einen Schlupf-
winkel für den Brief, und vor der Beendigung der Haussuchung war
er so leicht herauszunehmen, wie er sich hineinpraktiziren ließ. Ein
gewagtes Auskunftsmittel, aber es gab kein anderes. Der Brief ver-
schwand ungesehen in der Tasche des polizeilichen Ueberziehers.
Nun war Müller übermüthig und bot seine Taschen selbst zur
Durchsuchung an, „da der Polizei ja doch nichts verborgen bleibe".
Er wurde von Ratte resultatlos durchsucht und konnte, nachdem seine
Taschen als unverdächtig befun-
den waren, daraus ausgehen,
den versteckten Brief wieder an
sich zu bringen. Die Sache schien
sich günstig zu gestalten, denn
Ratte begann einen Nebenraum
zu inspiziren, man hatte es also
momentan nur mit Saul allein
zu thun.
Aber dieser war jetzt gerade
in der Nähe der Kleiderhalter;
er untersuchte sozusagen mikro-
skopisch einen alten Arbeitsrock
des Redakteurs und dann geschah
etwas, das außer aller Berech-
nung lag. In seinem Eifer er-
griff Saul den Ueberzieher seines
Kollegen Ratte, den er für ein
Kleidungsstück der Vehaussuch-
ten hielt und nahm den Inhalt
der Brusttasche heraus, mehrere
Schriftstücke, darunter den dort
einer Scheere nicht unterscheiden kann?" versteckten Brief.
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