1659
Müller erschrak nicht wenig, als er letzteren in die Hände des
Kommissars fallen sah, gleichwohl stimmte er ein lautes Gelächter an
und beeilte sich, Saul auf den begangenen Mißgriff aufmerksam zu
machen. Und seine rasche Intervention hatte auch den gewünschten
Erfolg, denn der Kommissar verbesserte seinen Fehler, indem er die
der Tasche entnommenen Papiere schleunigst und unbesehen dahin
zurückbeförderte.
„Sie scheinen Ihren Kollegen für sehr verdächtig zu halten",
sagte der Redakteur des „Vitzli-Putzli" spottend.
Saul wandte sich um und gab eine gereizte Antwort; dieser
Moment genügte Müller, um einen Griff nach seinem Briese zu wagen.
Er glaubte denselben gerettet zu haben und begab sich abseits in eine
Fensternische. Aber leider — der Eingriff Saul's hatte die Papiere
in Ratte's Tasche durcheinandergebracht; Müller entdeckte, daß der
Brief verwechselt war; er hatte einen schon geöffneten Brief ohne
Adresse in der Hand.
„Was haben Sie denn da?" forschte in diesem Augenblicke der
Polizeikommissar und entriß den Brief der Hand des überraschten
Expedienten.
Der Brief enthielt nur einen Zettel, worauf die wenigen Worte
standen: „Wir treffen uns morgen Abend acht Uhr im Birken-
wäldchen. D. K."
„Das Komite", übersetzte Saul die letzten beiden Buchstaben und
fügte triumphirend hinzu:
„Wir haben, was wir suchten."
Darauf rief er seinen Untergebenen Ratte herbei und befahl ihm,
die Haussuchung abzubrechen. Von seinem Funde sagte er dem Ratte
nichts, denn er wollte das Verdienst der Entdeckung für sich allein
in Anspruch nehmen.
Die Polizei entfernte sich und nahm, ohne daß sie es wußte, den
verhängnißvollen Brief mit fort.
„Was nun?" fragte der Redakteur des „Vitzli-Putzli".
„Was nun?" wiederholte der Expedient rathlos.
Die Sache stand sehr bedenklich.
Der Kommissar hatte freilich nur irgend ein privates Stelldichein
des biederen Ratte „entdeckt", denn eine andere Bedeutung konnte der
beschlagnahmte Zettel schwer-
lich haben. Aber Ratte besaß
den Brief aus M**, der aller
Wahrscheinlichkeit nach den Ort
der sozialdemokratischen Zu-
sammenkunft verrieth. Und es
war nicht mehr möglich, allen
Theilnehmern abzusagen; ein
Dutzend etwa mußten direkt
in die Falle gehen!
Während die Beiden über-
legten, wie dieser Gefahr zu
begegnen sei, wurde die Thüre
vorsichtig geöffnet.
„Sind sie fort?" fragte
eine gedämpfte Stimme. Es
war ein Kolporteur, welcher
sehr vorsichtig den Kopf herein-
steckte und dann etwas näher
kam, als er sah, daß die Luft
rein war.
„Ein Brief aus M**",
sagte er geheimnißvoll. „Man
wollte ihn der Post nicht an-
vertrauen, weil hinter dem
Briefträger meistens der Poli-
zist herläuft; deshalb hat ihn
der Bote persönlich herüber-
gebracht."
Der ganze „Vitzli-Putzli"
athmete erleichtert aus. „Was
mag man uns aber per Post
aus M** geschrieben haben?"
fragte Müller.
„Nur eine Zeitungsbestellung", berichtete der Kolporteur; „wir
haben drüben fünfzig neue Abonnenten, das wollte man Euch ohne
Aufschub per Post melden, um Euch eine Freude zu machen."
Am anderen Tage fand die Provinzialversammlung der Sozial-
demokraten ungehindert statt, an einem Orte, den die Polizei nie-
mals erfuhr.
Um dieselbe Zeit aber umstellten Gensdarmen das Birkenwäldchen,
welches dicht bei der Stadt an das Villenviertel grenzt. Kommissar
Saul mit mehreren seiner zuverlässigsten Leute drang in das Wäldchen
ein und stieß gar bald auf zwei dunkle Gestalten.
„Halt! Werda!" rief die
Polizei.
Hierauf folgte eine uner-
wartete Erkennungsszene —
man fand den Polizisten Ratte,
der heute dienstfrei war, und
seine Geliebte, die Köchin Karo-
line, welche in der benachbarten
Villa diente. Und noch etwas
fand man, nämlich einen schö-
nen Truthahn, den Karoline
für ihren Anbeter aus der
Speisekammer der Herrschaft
gestohlen hatte. Sie glaubte
gewiß, ein Truthahn sei für
einen Polizeimenschen das pas-
sendste Geschenk, weil dieses
Thier einen Zorn auf alles
Rothe hat.
Der Kommissar Saul ver-
zichtete darauf, den Geheim-
bund zwischen Ratte und Karo-
line aufzulösen und zog mit
seinen Truppen ab. Er begriff
noch immer den Sinn des Vor-
gefundenen Zettels nicht, weil
er in der Unterschrift „D. K."
durchaus „Das Komite" sehen
wollte, während es eigentlich
nur „Deine Karoline" hieß.
So kann sich der schneidigste
Polizeiheld oft irren!
.Hall! Werda!" rief die Polizei.
Müller erschrak nicht wenig, als er letzteren in die Hände des
Kommissars fallen sah, gleichwohl stimmte er ein lautes Gelächter an
und beeilte sich, Saul auf den begangenen Mißgriff aufmerksam zu
machen. Und seine rasche Intervention hatte auch den gewünschten
Erfolg, denn der Kommissar verbesserte seinen Fehler, indem er die
der Tasche entnommenen Papiere schleunigst und unbesehen dahin
zurückbeförderte.
„Sie scheinen Ihren Kollegen für sehr verdächtig zu halten",
sagte der Redakteur des „Vitzli-Putzli" spottend.
Saul wandte sich um und gab eine gereizte Antwort; dieser
Moment genügte Müller, um einen Griff nach seinem Briese zu wagen.
Er glaubte denselben gerettet zu haben und begab sich abseits in eine
Fensternische. Aber leider — der Eingriff Saul's hatte die Papiere
in Ratte's Tasche durcheinandergebracht; Müller entdeckte, daß der
Brief verwechselt war; er hatte einen schon geöffneten Brief ohne
Adresse in der Hand.
„Was haben Sie denn da?" forschte in diesem Augenblicke der
Polizeikommissar und entriß den Brief der Hand des überraschten
Expedienten.
Der Brief enthielt nur einen Zettel, worauf die wenigen Worte
standen: „Wir treffen uns morgen Abend acht Uhr im Birken-
wäldchen. D. K."
„Das Komite", übersetzte Saul die letzten beiden Buchstaben und
fügte triumphirend hinzu:
„Wir haben, was wir suchten."
Darauf rief er seinen Untergebenen Ratte herbei und befahl ihm,
die Haussuchung abzubrechen. Von seinem Funde sagte er dem Ratte
nichts, denn er wollte das Verdienst der Entdeckung für sich allein
in Anspruch nehmen.
Die Polizei entfernte sich und nahm, ohne daß sie es wußte, den
verhängnißvollen Brief mit fort.
„Was nun?" fragte der Redakteur des „Vitzli-Putzli".
„Was nun?" wiederholte der Expedient rathlos.
Die Sache stand sehr bedenklich.
Der Kommissar hatte freilich nur irgend ein privates Stelldichein
des biederen Ratte „entdeckt", denn eine andere Bedeutung konnte der
beschlagnahmte Zettel schwer-
lich haben. Aber Ratte besaß
den Brief aus M**, der aller
Wahrscheinlichkeit nach den Ort
der sozialdemokratischen Zu-
sammenkunft verrieth. Und es
war nicht mehr möglich, allen
Theilnehmern abzusagen; ein
Dutzend etwa mußten direkt
in die Falle gehen!
Während die Beiden über-
legten, wie dieser Gefahr zu
begegnen sei, wurde die Thüre
vorsichtig geöffnet.
„Sind sie fort?" fragte
eine gedämpfte Stimme. Es
war ein Kolporteur, welcher
sehr vorsichtig den Kopf herein-
steckte und dann etwas näher
kam, als er sah, daß die Luft
rein war.
„Ein Brief aus M**",
sagte er geheimnißvoll. „Man
wollte ihn der Post nicht an-
vertrauen, weil hinter dem
Briefträger meistens der Poli-
zist herläuft; deshalb hat ihn
der Bote persönlich herüber-
gebracht."
Der ganze „Vitzli-Putzli"
athmete erleichtert aus. „Was
mag man uns aber per Post
aus M** geschrieben haben?"
fragte Müller.
„Nur eine Zeitungsbestellung", berichtete der Kolporteur; „wir
haben drüben fünfzig neue Abonnenten, das wollte man Euch ohne
Aufschub per Post melden, um Euch eine Freude zu machen."
Am anderen Tage fand die Provinzialversammlung der Sozial-
demokraten ungehindert statt, an einem Orte, den die Polizei nie-
mals erfuhr.
Um dieselbe Zeit aber umstellten Gensdarmen das Birkenwäldchen,
welches dicht bei der Stadt an das Villenviertel grenzt. Kommissar
Saul mit mehreren seiner zuverlässigsten Leute drang in das Wäldchen
ein und stieß gar bald auf zwei dunkle Gestalten.
„Halt! Werda!" rief die
Polizei.
Hierauf folgte eine uner-
wartete Erkennungsszene —
man fand den Polizisten Ratte,
der heute dienstfrei war, und
seine Geliebte, die Köchin Karo-
line, welche in der benachbarten
Villa diente. Und noch etwas
fand man, nämlich einen schö-
nen Truthahn, den Karoline
für ihren Anbeter aus der
Speisekammer der Herrschaft
gestohlen hatte. Sie glaubte
gewiß, ein Truthahn sei für
einen Polizeimenschen das pas-
sendste Geschenk, weil dieses
Thier einen Zorn auf alles
Rothe hat.
Der Kommissar Saul ver-
zichtete darauf, den Geheim-
bund zwischen Ratte und Karo-
line aufzulösen und zog mit
seinen Truppen ab. Er begriff
noch immer den Sinn des Vor-
gefundenen Zettels nicht, weil
er in der Unterschrift „D. K."
durchaus „Das Komite" sehen
wollte, während es eigentlich
nur „Deine Karoline" hieß.
So kann sich der schneidigste
Polizeiheld oft irren!
.Hall! Werda!" rief die Polizei.