Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
1663

Die Behandlung, welche mir durch die Vorgesetzten zu Theil wird, ist
— wie schon die Greifswalder konstatirt haben — die humanste und wohl-
wollendste. Ich bekomme niemals Prügel, weder mit dem Stocke, noch
mit der Nilpferdpeitsche, und die Bastonnade kennen wir Postbeamte über-
haupt nicht. Wie angesichts dieser Thatsache etwas an unserer Behandlung
auszusetzen wäre, ist mir unbegreiflich.

Unsere Zukunft ist die rosigste, denn wir haben Aussicht, daß unser
gegenwärtiges Wohlleben, sofern wir uns dessen immer würdig zeigen, bis
in unser hohes Alter fortdauert. Wir verbitten uns daher alle An-
zapfungen unseres Herrn von Stephan im Reichstage.

E. Lampe, Briefträger.

Nachschrift. Wir wollen unseren Generalpostmeister ans Dank-
barkeit aushauen lassen; es hängt nur noch von den Postillonen ab, ob
in Marmor oder Sandstein. Auch der Herr Geheimrath Fischer wird
mit ausgehauen. _D. O.

An Herrn v. Stuinm.

(HroHmiikhig drckrn Sir zu Ihrem Duhnr
Dir schwer Bedrängten mit dem breiten Schilde;

Für Sie ilt's Klar, dah unser JunKrrklznm

Des deutschen Deichs und Prrufzrns Dückgrak bilde.

Es ist ja Nnstnn, doch in einer Art

Wird nirgends sich rin Widerspruch erheben —

Das Völkchen, das um Bennigsen siel; schaart,

Vermochte nie rin Nückgrat abzugrbrn.

Darüber ist man sich in Deutschland klar,

Vom Ahein und Neckar bis nach Posrmuckel,

Dah diese Truppe ist und immer war

Des deutschen Deichs und Perus; rn s Rah rnb n ck el.

Gladstone.

'^as' Hobrlsxähne.

Wie ist doch Alles freudenvoll
Zur schönen Osterfeier —

Der Mirbach sorgt um Volkes Wohl,

Der Osterhas' legt Eier.

Beim Miguel nur ein Groll sich regt,

Ihm ist es nicht geheuer —

Die Eier, die der Hase legt,

Sie bringen keine Steuer!

-I- *

*

Der preußische Eisenbahnminister von Thielen
hllt die Retourbillets für überflüssig erklärt und
will sie abschaffen. Er hat ganz Recht, denn ein
' Verkehrswesen, welches ohnedies den Krebsgang
geht, braucht keine besonderen Rücksahrtskarten mehr.

„Geflickte Schienen laufen mit".

Steht auch das Leben auf dem Spiele, —

Nun halten gar mit ihnen Schritt
Geflickte Sicherheitsventile.

Die französischen Proletarier haben mit den Anarchisten nichts ge-
mein. Wenn der Pariser Arbeiter, um die Freiheit zu vertheidigen, oft-
lnals zur Büchse griff, so war es doch niemals eine Sardinen büch se.

„Bet und arbeit!" Herwegh sang,
Allerorts das Lied erklang,

Welches Bülow komponirt —

Aber nun ist's konsiszirt.

Merke Dir, o Proletar,

Was deili Staate bringt Gefahr!
Bet und arbeit niinmermehr,
Sonst in Strafe fällst du schiver.

Gladdy will gehn —das Alter kam das schlimme, ! Nur ein Verlust ist wirklich von Gewicht.
Und legt als rathsam ihm den Abschied dar: ! Das Schwatzorgan, es müßte rasch genesen;
Er leidet an Gehör, verliert die Stimme > Die andern beiden Sinne zähle» nicht.

Und wird znm Ueberfluß bedroht vom Staar. I Denn — taub und blind ist er ja stets gewesen.

Taub für die Stimmen der Gerechtigkeit,

Die nie den Weg zu seinen Ohren fanden;

Blind für die ernsten Zeichen einer Zeit,

Die dieser alte Mucker nie verstanden.

Ich rathe allen nothleidenden Großgrundbesitzern, der Stätte
ihres Elends zu entfliehcu und als Fabrikarbeiter beiin König Stumin
cinzntreten; sie werden dann zum ersten Mal das Glück einer sorgen-
losen Existenz genießen und einen klaren Blick in die Folgen des deutsch-
russischen Handelsvertrags erhalten.

Ihr getreuer Säge, Schreiner.

Held in die altbekannte Weinstube, wo der Rhein-
wein so gut war und wo es den köstlichen Cognac
gab, das Spitzglas zu zwei Mark. In stillem
Zwiegespräch mit Rauenthaler und Rüdesheimer
vergingen dein Junker glückliche Stunden. Als
aber der Portwein erst seine belebende Gluth ihm
durch die Adern rinnen ließ und sein Antlitz sich
bläulich färbte, da kam der Geist über Christian.
Wie Schatten einer Juninacht lagerten sich über
Stirn und Nase dunkle Wolken, tausend gelbe
und rothe Sternchen tanzten vor dem schwimmen-
den Auge, in seinen Ohren brauste und tönte es,
wie wenn eine Rcgimentskapelle den Hohensried-
berger Marsch spielte.

Nun war er auf der Höhe. Als er sich erhob,
gaben die Beine zwar etwas nach, aber er hielt
sich wie ein Held. Draußen blies ihm der kühle
Abendwind ums Gesicht, die Februarnacht war
angebrochen, hundert Gaslaternen tanzten im
wilden Ringelreihen um den nothleidenden Land-
wirth, phantastisch leuchtete der weiße Lederhut
eines Taxameter-Kutschers von ferne, tanzte aus
und ab und erschien unsren: Christian als ein
Wandelstern, der durch die Milchstraße einherfährt.
Ein kleiner Junge, frierend, blaß, in zerlumpten
Kleidern, bot ihn: Streichhölzer znm Verkauf an.
„Was treibst Tu Dich noch umher, es ist ja schon
so spät?" fragte Christian. „Ei, Herr, wir müssen
doch leben, der Vater ist tobt, die Mutter ist krank."
„Bettelpack", knurrte der Junker, „geht auf's
Land, brauchen Arbeiter!" „He, Junge", rief der
Droschkenkutscher, „laß den Ollen loofen, er braucht
keine Streichhölzer, er is schon illununirt."

Aber war er nicht nach Berlin gekommen, um
auch die Verhältnisse zn studiren? Da leuchtete
eine rothe Laterne so einladend: Bedienung von
zarter Hand. Er trat ein, natürlich nur um sich
sittlich zu entrüsten und um sich innerlich zu

festigen. Das that er anckn Bald saß die Grazie1
der Kneipe bei ihm, der Wein floß in Strömen,
er vergaß sein Elend, seinen Nolhstand und spät
erst verließ er das Lokal. Wie, das wußte er nicht.
Draußen wars dunkel und kalt, und er wollte
heim. Aber wo wohnte er? Er strengte sein Ge-
hirn an, doch der Name seines Hotels fiel ihm
nicht ein. Dabei war ihm so eigen zu Muth, daß
er sich an einem Laterncnpfahl festhalten innßte.
Sein Cylinder war zerbeult, der Rücken schmerzte
ihn, als ob er hart gefallen wäre, der Biberpelz-
kragen war fort, die Haare hingen ihm zerzaust
um die Augen, ans der Stirn hatte er eine dicke
Beule.

„Scheeren Sic sich nach Hause, Sie versoffener
Galgenstrick", rief der Nachtwächter ihn, der die
Laterne krampfhaft umklammerte, mit Steutor-
stimme an. Da flammte Christians Junkerstolz
auf. „Was", rief er, „Ihr seid besoffen, Ihr
Schafskopf, ich bin ein nothleidender Landwirth,
Himmelschockschwerenoth." Die Nothpfeife des
Wächters schrillte, von drei Mann wurde er ge-
knufft, gezaust, gestoßen. Die Häscher schleppten
ihn auf's Bureau, eine dunkle Zelle öffnete sich,
er wurde aus eine Pritsche gestoßen, wo zwei
Arrestanten lagen, die über den Eindringling
schimpften.

Am andern Morgen erwachte er, mit wüstem
Kopf, zerschlagen, übernächtig. Nur mühsam fand
er heraus, wo er sich befand. Doch jetzt ging es
hinunter in den grünen Wagen nach dein Polizei-
präsidiunr. Da saß er neben lockeren Dirnchen,
armen Handwerksburschen, Taschendieben und
Nachtschwärmern, Christian von Stegreifhausen.

Geknickt schritt er ins Verhörzimmer. Er wird
vorgeführt. Ein Ruf der Ueberraschnng! Der Kom-
missär ist sein Vetter Adolar, der ehemalige Garde-
lieutenant. Wiedersehen, Aufklärung, Entlassung!

Am selben Tage fuhr Christian heim. Seine
Frau weiß bis heute noch nicht, wo der Biber-
pelzkragen geblieben ist. Er schweigt, und ihr Ver-
dacht ist schwarz wie die Nacht.

Christian aber ist dann dem westpreußischen
Zweigverein für Hebung der Sittlichkeit der unteren
Klassen beigetreten. Ei' dürfte deinnächst Vor-
sitzender werden. ^

Darum.

A. : Warum sind die Agrarier so sehr für den
Zollkrieg.

B. : Weil sie durch denselben mehr Zoll
kriegen.

Ein Errignih.

A. : Gegenwärtig ist doch die ganze politische Welt
in Aufregung; sogar auf den Papst im Vatikan
ist ein kalter Wasserstrahl gerichtet worden.

B. : Von Caprivi?

A.: Nein — vom Pfarrer Kneipp.

Brandenburg.

Hinz: Ist es wahr, was die Zeitungen er-
zählen, daß die Provinz Brandenburg den Ruhm
genieße, eine der besten Säulen des deutschen
Reiches zu sein?

Kunz: Freilich.

Hinz: Wodurch hat sie diesen Ruhm verdient?

Kunz: Weil die Provinz Brandenburg ein-
schließlich Berlin von allen preußischen Provinzen
diejenige ist, welche die meisten Sozialdemo-
kraten in den Reichstag sendet.

Verantwortlich für die Redaktion Georg Baßler in Stuttgart.

Druck und Verlag von I. H. W. Dietz in Stuttgart.
 
Annotationen