1698
Und fahl stürzt all' die goldne Herrlichkeit
In sich zusammen!
Und die Mauern fallen.
Die Nacht entwich; der Lonne volle Ltrahlen
Ergießen hell fick) über Blüthen-Auen —
Und weit, so weit die trunknen Linne schweifen.
Ein stolzes, freies Volk in Glück und Wohlstand.
Das jauchzt dem Jüngling zu vieltausend-
stimmig:
„Du hast uns aus der Nacht der Lchmach und
Lchande
Ium Hellen Kreiheitslicht des Tags geleitet;
Du gabst uns Uraft. zu ringen und zu kämpfen
Nit uns und unsrer Noth."
In den Gefilden
Von schwerem Legen neigen sich die Halme;
Auf unsren Bergen glüht des Weines KüUe
Im Zonnenbrand. Ls flammen hoch die Leuchten
Der freien Wissenschaft und freien Uünste.
Und überall, in Werkstatt und Fabriken,
Ist unser Ltolz der Kleiß werkthät'ger Arme,
Denn unser ist der Arbeit voller Legen.
Wohl will) das Bild und Nacht umgab mich
wieder;
Die Nacht der Gegenwart, die auf uns lastet.
Doch bin ich rüstig meinen Weg gegangen.
Im Herzen festes Hoffen und Vertrauen:
Der jugendstarke Held ist uns erstanden.
Er kämpft mit uns für der Bedrückten Rechte,
Und sieghaft wird einst in die Nacht des
Elends
Das Klammenschwert des Lozialismus
leuchten!
Die Schreckensnacht.
„Sie wollen alles theilen", betonte in anklagendem Tone der
Bauunternehmer Backstein, welchem das Theilen ohnedies viel Sorgen
machte, da er sich zur Zeit in Konkurs befand.
„Sie wollen die Ehe abschaffen", fügte der Schneider Kümmerlein
hinzu.
„Ach, das leidet ja Deine Frau gar nicht", neckte der Schuster
Lehmann, darauf anspielend, daß Kümmerlein als Pantoffelheld be-
kannt war.
„Wird es denn wirklich so schlimm werden?" erkundigte sich der
Rentier Schulze, ein dickes Männchen mit ängstlichem Gesichtsausdrnck.
„Freilich — es hat ja im Kreisblatt gestanden", betonte Köhler,
„am ersten Mai erheben sich gleichzeitig in allen Ländern die Sozial-
demokraten, um die bestehende Staatsordnung gewaltsam umzustürzen."
„Aber geht denn das so schnell?" fragte Schulze.
„Es soll genau acht Stunden dauern, bis der heutige Staat um-
gestürzt und der Zukunstsstaat errichtet wird", belehrte Köhler, „darum
wird die Sache auch die Achtstundenbewegung genannt."
„Aber wir haben doch Militär und Polizei", bemerkte Schulze.
„Allerdings", sagte Köhler, „es wird harten Kampf geben und
das Blut wird in Strömen fließen. Wer kann da im Voraus wissen,
wie die Sache ausgeht! Anno Achtundvierzig in meiner Heimath
haben die Revolutionäre dem Ortspolizeidiener einfach das Gewehr
weggenommen und haben ihn abgesetzt."
„Schauderhaft", seufzte der ängstliche Schulze, „und wenn der
Streich gelingt?"
„Dann müssen Sie Ihren Geldschrank an den sozialdemokratischen
Wahlverein abliefern und werden gezwungen, Ihr Brot durch Arbeit
zu verdienen."
„Ach, eine solche Schändlichkeit ist ja gar nicht denkbar", rief
Schulze mit Entrüstung.
Der Seifensieder Köhler nahm das Kreisblatt zur Hand und las
verschiedene Stellen aus einem darin enthaltenen Artikel vor. Dieser
Artikel wandte sich gegen die Sozialdeinokraten, welche als Umstürzler
und Theiler bezeichnet waren. Der phantasiereiche Verfasser dieses
Artikels knüpfte an die in Aussicht stehenden internationalen Kund-
gebungen zum ersten Mai allerlei Befürchtungen, und erzielte damit
den Erfolg, die Spießbürger des Städtchens, soweit sie das Kreis-
blatt zu ihrer einzigen Lektüre erwählt hatten, ganz aus Rand und
Band zu bringen.
Besonders auf den Rentier Schulze machte dieser Artikel großen
Eindruck. Er hatte vor dem Kreisblatt allen Respeckt, weil dasselbe
ihm täglich zu Heller und Pfennig genau angab, wie seine Eisenbahn-
Aktien uud Industrie-Papiere standen. Wenn ein solches Blatt eine
Gefahr signalisirte, dann mußte es doch Grund dazu haben!
Die Tafelrunde blieb heute länger wie gewöhnlich beisammen, man
ging vom Bier zum Grog über und die Diskussion über die Gefahren
des ersten Mai gestaltete sich immer lebhafter und abenteuerlicher.
Endlich schlug aber doch die Trennungsstunde, und als der Rentier
Schulze mit unsicheren Schritten die Treppe zu seiner Wohnung empor-
stieg, da fiel es ihm schwer auf's Herz, daß er diese Nacht ganz allein
in seiner Behausung sein werde. Seine Wirthschafterin hatte sich Ur-
laub erbeten, um Verwaudte zu besuchen. Also völlig isolirt am
Morgen der blutigen Revolution!
Das schien Herrn Schulze bedenklich, besonders da er ganz waffenlos
war. Er entsann sich jedoch trotz der Verwirrung, die Bier und Grog
in seinen: Kopfe angerichtet hatten, daß er im Besitz einer alten Flinte
sei, welche sein Großvater als Nationalgardist getragen hatte. Pulver
Schulze ergriff die Flinte und nun fühlte er wieder Muth in seiner Brust.
Und fahl stürzt all' die goldne Herrlichkeit
In sich zusammen!
Und die Mauern fallen.
Die Nacht entwich; der Lonne volle Ltrahlen
Ergießen hell fick) über Blüthen-Auen —
Und weit, so weit die trunknen Linne schweifen.
Ein stolzes, freies Volk in Glück und Wohlstand.
Das jauchzt dem Jüngling zu vieltausend-
stimmig:
„Du hast uns aus der Nacht der Lchmach und
Lchande
Ium Hellen Kreiheitslicht des Tags geleitet;
Du gabst uns Uraft. zu ringen und zu kämpfen
Nit uns und unsrer Noth."
In den Gefilden
Von schwerem Legen neigen sich die Halme;
Auf unsren Bergen glüht des Weines KüUe
Im Zonnenbrand. Ls flammen hoch die Leuchten
Der freien Wissenschaft und freien Uünste.
Und überall, in Werkstatt und Fabriken,
Ist unser Ltolz der Kleiß werkthät'ger Arme,
Denn unser ist der Arbeit voller Legen.
Wohl will) das Bild und Nacht umgab mich
wieder;
Die Nacht der Gegenwart, die auf uns lastet.
Doch bin ich rüstig meinen Weg gegangen.
Im Herzen festes Hoffen und Vertrauen:
Der jugendstarke Held ist uns erstanden.
Er kämpft mit uns für der Bedrückten Rechte,
Und sieghaft wird einst in die Nacht des
Elends
Das Klammenschwert des Lozialismus
leuchten!
Die Schreckensnacht.
„Sie wollen alles theilen", betonte in anklagendem Tone der
Bauunternehmer Backstein, welchem das Theilen ohnedies viel Sorgen
machte, da er sich zur Zeit in Konkurs befand.
„Sie wollen die Ehe abschaffen", fügte der Schneider Kümmerlein
hinzu.
„Ach, das leidet ja Deine Frau gar nicht", neckte der Schuster
Lehmann, darauf anspielend, daß Kümmerlein als Pantoffelheld be-
kannt war.
„Wird es denn wirklich so schlimm werden?" erkundigte sich der
Rentier Schulze, ein dickes Männchen mit ängstlichem Gesichtsausdrnck.
„Freilich — es hat ja im Kreisblatt gestanden", betonte Köhler,
„am ersten Mai erheben sich gleichzeitig in allen Ländern die Sozial-
demokraten, um die bestehende Staatsordnung gewaltsam umzustürzen."
„Aber geht denn das so schnell?" fragte Schulze.
„Es soll genau acht Stunden dauern, bis der heutige Staat um-
gestürzt und der Zukunstsstaat errichtet wird", belehrte Köhler, „darum
wird die Sache auch die Achtstundenbewegung genannt."
„Aber wir haben doch Militär und Polizei", bemerkte Schulze.
„Allerdings", sagte Köhler, „es wird harten Kampf geben und
das Blut wird in Strömen fließen. Wer kann da im Voraus wissen,
wie die Sache ausgeht! Anno Achtundvierzig in meiner Heimath
haben die Revolutionäre dem Ortspolizeidiener einfach das Gewehr
weggenommen und haben ihn abgesetzt."
„Schauderhaft", seufzte der ängstliche Schulze, „und wenn der
Streich gelingt?"
„Dann müssen Sie Ihren Geldschrank an den sozialdemokratischen
Wahlverein abliefern und werden gezwungen, Ihr Brot durch Arbeit
zu verdienen."
„Ach, eine solche Schändlichkeit ist ja gar nicht denkbar", rief
Schulze mit Entrüstung.
Der Seifensieder Köhler nahm das Kreisblatt zur Hand und las
verschiedene Stellen aus einem darin enthaltenen Artikel vor. Dieser
Artikel wandte sich gegen die Sozialdeinokraten, welche als Umstürzler
und Theiler bezeichnet waren. Der phantasiereiche Verfasser dieses
Artikels knüpfte an die in Aussicht stehenden internationalen Kund-
gebungen zum ersten Mai allerlei Befürchtungen, und erzielte damit
den Erfolg, die Spießbürger des Städtchens, soweit sie das Kreis-
blatt zu ihrer einzigen Lektüre erwählt hatten, ganz aus Rand und
Band zu bringen.
Besonders auf den Rentier Schulze machte dieser Artikel großen
Eindruck. Er hatte vor dem Kreisblatt allen Respeckt, weil dasselbe
ihm täglich zu Heller und Pfennig genau angab, wie seine Eisenbahn-
Aktien uud Industrie-Papiere standen. Wenn ein solches Blatt eine
Gefahr signalisirte, dann mußte es doch Grund dazu haben!
Die Tafelrunde blieb heute länger wie gewöhnlich beisammen, man
ging vom Bier zum Grog über und die Diskussion über die Gefahren
des ersten Mai gestaltete sich immer lebhafter und abenteuerlicher.
Endlich schlug aber doch die Trennungsstunde, und als der Rentier
Schulze mit unsicheren Schritten die Treppe zu seiner Wohnung empor-
stieg, da fiel es ihm schwer auf's Herz, daß er diese Nacht ganz allein
in seiner Behausung sein werde. Seine Wirthschafterin hatte sich Ur-
laub erbeten, um Verwaudte zu besuchen. Also völlig isolirt am
Morgen der blutigen Revolution!
Das schien Herrn Schulze bedenklich, besonders da er ganz waffenlos
war. Er entsann sich jedoch trotz der Verwirrung, die Bier und Grog
in seinen: Kopfe angerichtet hatten, daß er im Besitz einer alten Flinte
sei, welche sein Großvater als Nationalgardist getragen hatte. Pulver
Schulze ergriff die Flinte und nun fühlte er wieder Muth in seiner Brust.