1699
und Blei hatte diese Flinte vielleicht nie gesehen, auch Schulze hatte
solche Munition natürlich nicht im Hause, aber das Bajonnet mar
immerhin eine nicht zu unterschätzende Waffe. Freilich lag diese Flinte
oben unterm Dach im Bodenraum, aber der ängstliche Rentier scheute
die Mühe nicht, sie herabzuholen. Er stieg mit einer brennenden Kerze
die zwei Treppen empor, ergriff die Flinte und nun fühlte er wieder
Muth in seiner Brust.
Herr Schulze legte sich zu Bett und verfiel in einen festen, traum-
losen Schlaf. Leider sollte er aus demselben bald unsanft gestört
werden. Der schrille Klang der Hausglocke tönte an sein Ohr und
er glaubte Lärm und Stimmengewirr zu vernehmen. Schlaftrunken
öffnete er die Augen — es war erst Morgendämmerung, also noch
sehr früh am Tage; Schulze wandte sich im Bett um und schloß die
Augen wieder. Doch in diesem Moment erneuerte sich der Lärm; man
hörte rufen, dann das Rollen schwerer Wagen, jetzt sogar Signale.
„Was ist das?" fragte sich Schulze und richtete sich empor. Da
fiel sein Blick auf die alte Flinte, gleichzeitig fielen ihm die gestrigen
Stammtischgespräche ein,
der Zeitungsartikel —
richtig, der schreckliche
erste Mai war eben an-
gebrochen!
Herr Schulze sprang
auf, zog seinen Schlafrock
an und spähte durch die
Gardinen. Das Fenster
des Schlafzimmers mün-
dete in eine schmale Seiten-
gasse. Der Erschrockene
konnte nicht viel wahr-
nehmen, aber so viel er-
kannte er doch, daß etwas
ganz Ungewöhnliches vor-
gehe. Leute liefen eilig
herbei, Schulze glaubte
sogar hier und da einen
Helm blitzen zu sehen;
Pferdegetrappel und kurze
Signale konnte er jetzt
deutlich in nächster Nähe
hören. Und nun gar Lärm
auf der Treppe! Schwere
Schritte näherten sich der
Thür von Schulzen's Woh-
nung; man schellte, man
rief, man schlug mit Gewalt
an die Thür.
„Das sind sie! sie
wollen den Geldschrank holen!" jammerte Schulze und sank vor Schreck
in seinen Lehnstuhl. In welch anderer Absicht konnte man auch sonst
in so stürmischer Weise Morgens vor vier Uhr an seine Thüre
kommen?
Schulze ermannte sich und ergriff seine Flinte.
„Das Militär wird ja hoffentlich bald einschreiten; bis dahin
kann ich mich vielleicht halten", dachte er.
Die Hoffnung auf das Militär kräftigte ihn wieder. Das schwere
Rollen da unten war vielleicht schon die Auffahrt der Artillerie. Schulze
ging ins Wohnzimmer, dessen Fenster nach der Hauptstraße mündeten.
Plötzlich stieß er einen lauten Schrei aus.
Das Fenster, dem er sich näherte, krachte und splitterte, die Spitzen
einer Leiter zeigten sich und dann eine dunkle, männliche Gestalt mit
geschwungenem Beil —
„Jetzt ist's aus!" jammerte Schulze und flüchtete mit seiner Flinte
in den Vorsaal, um womöglich die Treppe zu gewinnen.
Hier machte er zunächst eine neue schreckliche Wahrnehmung; es
herrschte ein merkwürdiger Brandgeruch. Sollten die Revolutionäre
das Haus niederbrennen? Nun mußte er doch versuchen, sich bis zur
Straße durchzuschlagen, sonst war er verloren.
Da krachte die Thür, und es sprangen sofort zwei Behelmte mit
Beilen bewaffnet ans ihn los.
„Zurück, oder ich schieße!" rief Schulze mit dem Muthe der Ver-
zweiflung, und hielt den Einbrechern das Bajonnet entgegen.
Einer der Männer packte ihn am Arme. „Keine Narrenspossen!"
rief er. „Geben Sie schnell die Schlüssel zu den Bodenräumen her, daß
wir nicht so viel Zeit mit dem Einschlagen der Thüren verschwenden."
„Ach Gott, verschonen Sie mich!" bat Schulze rührend.
„Vorwärts! wollen Sie denn verbrennen?" schrie ihn der Fremde an.
„Ach nein, lieber gebe ich meinen Geldschrank gutwillig", betheuerte
Schulze.
„Bei dem scheint's nicht richtig zu sein", äußerte der Fremde, da
stürmte schon wieder ein Trupp von Männern herauf, die gleich-
falls mit Beilen bewaffnet waren; man brachte auch Licht und wenn
Schulze nicht ganz außer Fassung gewesen wäre, hätte er jetzt deut-
lich erkennen müssen, daß
cs — Feuerwehrmänner
waren.
Sie stießen den Rentier
bei Seite und die Nachbarn
fanden ihn, wie er an seiner
Thür lehnte, während die
alte Flinte vor ihm auf
dem Boden lag.
„Was geht hier vor?"
stammelte Schulze.
„Es brennt!" wurde
ihm geantwortet. „Es
scheint, als ob Brandstif-
tung vorliegt. Aber was
ist denn das?" Mit diesen
Worten hob der Nachbar
die Flinte auf.
„Ach, die Flinte",
sagte Schulze, „ich habe sie
vom Boden geholt, um
dem ersten Mai nicht so
ganz schutzlos gegenüber-
zustehen . . ."
„Voin Bodenraum —
heruntergeholt — mit Licht
und über Nacht?"
Schulze nickte ganz
zerknirscht.
„O, dann ist alles auf-
geklärt, — da haben Sie
selbst durch eine Unvorsichtigkeit den Brand angestiftet."
Und so war es auch. Schulze mußte in seinem Dusel in der
Nacht irgend einen leicht brennbaren Gegenstand mit dem Licht ge-
streift haben, das Feuer hatte sich langsam entwickelt, bis es nach
außen sichtbar zum Ausbruch gekommen war.
Durch das rasche Eingreifen der Feuerwehr ward das Feuer bald
gelöscht. Jnnnerhin war der Schaden nicht unbedeutend und Schulze
hatte ihn allein zu tragen; außerdem mußte er wegen fahrlässiger
Brandstiftung einer Strafe gewärtig sein.
Das erste, was Schulze that, als er wieder zu sich kam, war,
das Kreisblatt abzubestellen, das ihn und die ganze Bürgerschaft so
schändlich angelogen hatte. Sodann ging er auf die Festwiese, um sich
die Sozialdemokraten aus nächster Nähe anzusehen. Einem Gerücht
zufolge soll er mit einigen Führern in später Stunde Brüderschaft
getrunken haben.
Der erste Mai verlief im klebrigen bei prächtigstem Wetter. Außer-
dem in früher Morgenstunde stattgehabten Brand bei Schulze sind
weitere Ruhestörungen nicht vorgekommen.
„Zurück, oder ich schieße!" rief Schulze mit dem Muthe der Verziveiflung.
und Blei hatte diese Flinte vielleicht nie gesehen, auch Schulze hatte
solche Munition natürlich nicht im Hause, aber das Bajonnet mar
immerhin eine nicht zu unterschätzende Waffe. Freilich lag diese Flinte
oben unterm Dach im Bodenraum, aber der ängstliche Rentier scheute
die Mühe nicht, sie herabzuholen. Er stieg mit einer brennenden Kerze
die zwei Treppen empor, ergriff die Flinte und nun fühlte er wieder
Muth in seiner Brust.
Herr Schulze legte sich zu Bett und verfiel in einen festen, traum-
losen Schlaf. Leider sollte er aus demselben bald unsanft gestört
werden. Der schrille Klang der Hausglocke tönte an sein Ohr und
er glaubte Lärm und Stimmengewirr zu vernehmen. Schlaftrunken
öffnete er die Augen — es war erst Morgendämmerung, also noch
sehr früh am Tage; Schulze wandte sich im Bett um und schloß die
Augen wieder. Doch in diesem Moment erneuerte sich der Lärm; man
hörte rufen, dann das Rollen schwerer Wagen, jetzt sogar Signale.
„Was ist das?" fragte sich Schulze und richtete sich empor. Da
fiel sein Blick auf die alte Flinte, gleichzeitig fielen ihm die gestrigen
Stammtischgespräche ein,
der Zeitungsartikel —
richtig, der schreckliche
erste Mai war eben an-
gebrochen!
Herr Schulze sprang
auf, zog seinen Schlafrock
an und spähte durch die
Gardinen. Das Fenster
des Schlafzimmers mün-
dete in eine schmale Seiten-
gasse. Der Erschrockene
konnte nicht viel wahr-
nehmen, aber so viel er-
kannte er doch, daß etwas
ganz Ungewöhnliches vor-
gehe. Leute liefen eilig
herbei, Schulze glaubte
sogar hier und da einen
Helm blitzen zu sehen;
Pferdegetrappel und kurze
Signale konnte er jetzt
deutlich in nächster Nähe
hören. Und nun gar Lärm
auf der Treppe! Schwere
Schritte näherten sich der
Thür von Schulzen's Woh-
nung; man schellte, man
rief, man schlug mit Gewalt
an die Thür.
„Das sind sie! sie
wollen den Geldschrank holen!" jammerte Schulze und sank vor Schreck
in seinen Lehnstuhl. In welch anderer Absicht konnte man auch sonst
in so stürmischer Weise Morgens vor vier Uhr an seine Thüre
kommen?
Schulze ermannte sich und ergriff seine Flinte.
„Das Militär wird ja hoffentlich bald einschreiten; bis dahin
kann ich mich vielleicht halten", dachte er.
Die Hoffnung auf das Militär kräftigte ihn wieder. Das schwere
Rollen da unten war vielleicht schon die Auffahrt der Artillerie. Schulze
ging ins Wohnzimmer, dessen Fenster nach der Hauptstraße mündeten.
Plötzlich stieß er einen lauten Schrei aus.
Das Fenster, dem er sich näherte, krachte und splitterte, die Spitzen
einer Leiter zeigten sich und dann eine dunkle, männliche Gestalt mit
geschwungenem Beil —
„Jetzt ist's aus!" jammerte Schulze und flüchtete mit seiner Flinte
in den Vorsaal, um womöglich die Treppe zu gewinnen.
Hier machte er zunächst eine neue schreckliche Wahrnehmung; es
herrschte ein merkwürdiger Brandgeruch. Sollten die Revolutionäre
das Haus niederbrennen? Nun mußte er doch versuchen, sich bis zur
Straße durchzuschlagen, sonst war er verloren.
Da krachte die Thür, und es sprangen sofort zwei Behelmte mit
Beilen bewaffnet ans ihn los.
„Zurück, oder ich schieße!" rief Schulze mit dem Muthe der Ver-
zweiflung, und hielt den Einbrechern das Bajonnet entgegen.
Einer der Männer packte ihn am Arme. „Keine Narrenspossen!"
rief er. „Geben Sie schnell die Schlüssel zu den Bodenräumen her, daß
wir nicht so viel Zeit mit dem Einschlagen der Thüren verschwenden."
„Ach Gott, verschonen Sie mich!" bat Schulze rührend.
„Vorwärts! wollen Sie denn verbrennen?" schrie ihn der Fremde an.
„Ach nein, lieber gebe ich meinen Geldschrank gutwillig", betheuerte
Schulze.
„Bei dem scheint's nicht richtig zu sein", äußerte der Fremde, da
stürmte schon wieder ein Trupp von Männern herauf, die gleich-
falls mit Beilen bewaffnet waren; man brachte auch Licht und wenn
Schulze nicht ganz außer Fassung gewesen wäre, hätte er jetzt deut-
lich erkennen müssen, daß
cs — Feuerwehrmänner
waren.
Sie stießen den Rentier
bei Seite und die Nachbarn
fanden ihn, wie er an seiner
Thür lehnte, während die
alte Flinte vor ihm auf
dem Boden lag.
„Was geht hier vor?"
stammelte Schulze.
„Es brennt!" wurde
ihm geantwortet. „Es
scheint, als ob Brandstif-
tung vorliegt. Aber was
ist denn das?" Mit diesen
Worten hob der Nachbar
die Flinte auf.
„Ach, die Flinte",
sagte Schulze, „ich habe sie
vom Boden geholt, um
dem ersten Mai nicht so
ganz schutzlos gegenüber-
zustehen . . ."
„Voin Bodenraum —
heruntergeholt — mit Licht
und über Nacht?"
Schulze nickte ganz
zerknirscht.
„O, dann ist alles auf-
geklärt, — da haben Sie
selbst durch eine Unvorsichtigkeit den Brand angestiftet."
Und so war es auch. Schulze mußte in seinem Dusel in der
Nacht irgend einen leicht brennbaren Gegenstand mit dem Licht ge-
streift haben, das Feuer hatte sich langsam entwickelt, bis es nach
außen sichtbar zum Ausbruch gekommen war.
Durch das rasche Eingreifen der Feuerwehr ward das Feuer bald
gelöscht. Jnnnerhin war der Schaden nicht unbedeutend und Schulze
hatte ihn allein zu tragen; außerdem mußte er wegen fahrlässiger
Brandstiftung einer Strafe gewärtig sein.
Das erste, was Schulze that, als er wieder zu sich kam, war,
das Kreisblatt abzubestellen, das ihn und die ganze Bürgerschaft so
schändlich angelogen hatte. Sodann ging er auf die Festwiese, um sich
die Sozialdemokraten aus nächster Nähe anzusehen. Einem Gerücht
zufolge soll er mit einigen Führern in später Stunde Brüderschaft
getrunken haben.
Der erste Mai verlief im klebrigen bei prächtigstem Wetter. Außer-
dem in früher Morgenstunde stattgehabten Brand bei Schulze sind
weitere Ruhestörungen nicht vorgekommen.
„Zurück, oder ich schieße!" rief Schulze mit dem Muthe der Verziveiflung.