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1707

„Es ist gar kein Kind da", wurde erwidert.

„Faule Fische", sagte Lehmann, „ich weeß Alles, wo is der Vader
von den gleenen Bruddus?"

Ein Gelächter entstand, worauf dann Willibald sagte: „Ich bin
der Vater."

„So, so!" Un wenn wurde der Bruddus geboren?"

„Vor etwa zweitausend Jahren", bemerkte Willibald.

„Hören Se", schrie Lehmann, „wenn Se mich edwan verhohnipeln
woll'n, da sein Se schief gewickelt. Sie sein ja selber noch geene
dreißig Jahr alt un woll'n ä zweedausendjähriges Kind Ham! Das
wär' ja längst dod!"

„Brutus lebt auch nicht mehr", sagte Willibald.

„Läbd nich mehr?" wiederholte Lehmann nachdenklich. „Weeß
Gnebbchen, hier werd mer'sch unheemlich, die Kerle sein in Schdande
un Ham das Kind umgebrachd."

„Unbesorgt", sagte Willibald, „Brutus hat einen unsterblichen
Namen."

„Un wer is denn nu de Mudder von den Kinde?" examinirte
Lehmann weiter.

„Es ist ein Kind meiner
Muse", erklärte Willibald
feierlich.

„Muse? Das is doch
gee Name! Guste werd se
heeßen",korrigirte Lehmann.

„Wo häld sich denn die uff?"

„Die Muse werden Sie
nie erblicken", sprach Willi-
bald, „sie entweicht, wo die
rauhe Wirklichkeit in Poli-
zisten-Uniform naht."

„Wahrscheinlich had se
Schdadtverweis", folgerte
Lehmann scharfsinnig.

In diesem Augenblicke
betrat das schmucke Wirths-
töchterlein mit gefüllten
Biergläsern das Lokal.

„Ah, Fräulein Suse, Sie
kommen zur rechten Zeit!"
rief einer der Anwesenden,
welcher von Durst gequält
beim leeren Glase gesessen
hatte.

Lehmann wurde aufmerksam. „Suse? .... so ähnlich hat er
die Kindsmutter genannt . . . Suse! oder Muse, oder wie Sie Heeßen,
gomm Se mal zu mir her", rief er und fragte das Mädchen dann
eindringlich:

„Geschdehen Se uffrichdig, was is das mit Ihren Kinde? Läbd 's
oder is es dod?"

Das Mädchen war ganz verblüfft und blutroth.

„Aber Herr Obergendarm", sagte sie, „es ist Ihnen gewiß nicht
recht wohl; soll ich eine Tasse schwarzen Kaffee bestellen?"

Lehmann wußte nun wieder nicht, woran er war. In diesem
Augenblicke trat Susen's Vater, der Wirth des Lokals, eine Riesen-
gestalt, dicht an ihn heran. Der Wirth war seiner Tochter gefolgt,
um zu erfahren, was der polizeiliche Besuch zu bedeuten habe und
hatte die letzte Frage Lehmann's gehört.

„Wie können Sie sich erdreisten", rief er, die Fäuste ballend, „zu
behaupten, meine Tochter habe ein Kind gehabt?"

Lehmann wich erschrocken zurück; er stolperte über ein Fußbänk-
chen, dabei gerieth ihm sein Schleppsäbel zwischen die Füße und er
fiel rücklings zu Boden, ein Tischchen mit umreißend, worauf leere
Gläser standen. Es gab einen Höllenlärm, der durch Rufe der Ueber-
raschung seitens.der Gäste und durch das Säbelklirren der zur Hilfe
herbeieilenden Gendarmen noch vermehrt wurde.

„Was geht denn drinnen vor?" fragte einer der Polizisten, welche
außen die Eingangsthür bewachten.

„Der Obergendarm Lehmann ist gefallen", lautete die Auskunft.

„Lehmann gefallen — also ein regelrechtes Gefecht — da müssen
wir die Patrouille holen!"

Mit diesen Worten eilte er zur nahen Hauptwache und requirirte
eine Abtheilung Militär.

Inzwischen war Lehmann wieder auf den Beinen, hatte den
zornigen Wirth beruhigt und wollte durchaus das Kind, den kleinen
Brutus sehen, widrigenfalls er die ganze Gesellschaft des Kindsmordes
beschuldige.

Willibald erklärte dagegen, er habe den „Brutus" in der Rock-
tasche, gebe ihn aber nicht heraus, denn die Polizei habe keinen richter-
lichen Vorweis zur Berechtigung der Konfiskation desselben. Er werde
den „Brutus" nur ausliefern, wenn derselbe unter Amtssiegel dem
Untersuchungsrichter übergeben werde.

Lehmann schüttelte den Kopf über so viel menschliche Bosheit
und Grausamkeit und athmete auf, als er die Bajonette der Soldaten

erblickte, welche den Garten-
salon umzingelten.

„Jetzd nmchd Eich ge-
faßd, Ihr Beesewichder",
sagte er triumphirend und
meldete dem eintretenden
Sergeanten, es sei hier eine
Verschwörung zur Ermor-
dung eines Herrschers ent-
deckt worden, außerdem sei
ein Kind verschwunden,
über dessen Alter, Herkunft
und Verbleib die unglaub-
haftesten Angaben gemacht
würden.

„Genug des Scherzes",
sagte hierauf Willibald.
„Die Verschwörung, die der
Herr Obergendarm entdeck-
te, ist die des Brutus gegen
das Leben Julius Cäsars;
das Kind ist „Brutus",
mein dramatisches Erst-
lingswerk."

Damit brachte er das
Manuskript aus der Tasche
und erklärte dem Sergeanten, der früher einmal in einer Buch-
druckerei die Maschine gedreht hatte, in wenigen Worten die ganze
Situation.

„Dann wollen wir", sagte der literaturverständige Sergeant, „Ihre
Vorlesung nicht weiter stören, denn die Mitwirkung von Statisten aus
der Kaserne ist ja doch erst bei der Aufführung im Theater am Platze."

Er entfernte sich und zog mit seiner Truppe ab. Lehmann aber
wollte wissen, was noch weiter geschehe und wohnte der Vorlesung
des Dramas bis zu Ende bei. Doch stimmte er in den lebhaften
Beifall, den dasselbe fand, nicht mit ein, sondern meinte, wenn die
römische Polizei rechtzeitig eingegriffen und die Verschwörer auf Grund
von Paragraph 128 und 129 unter Anklage gestellt hätte, dann könnte
Julius Cäsar heute noch leben; übrigens sei es angesichts des Drei-
bundes, in welchem wir mit Italien stehen, höchst unpatriotisch, die
Beseitigung einer solchen militärischen Kraft, wie der General Cäsar
augenscheinlich gewesen, auf dem Theater vorführen zu wollen. Solche
Dinge gehörten nur in den Gerichtssaal und auch dahin nur unter
Ausschluß der Oeffentlichkeit.

„Aber schon Shakespeare hat ja ein Drama „Julius Cäsar" ge-
schrieben", wurde Herrn Lehmann entgegnet.

„So?" bemerkte Lehnrann, „nachher sagen Sie dem Schöpsbier,
er soll sich nich bei uns blicken lassen, sonst werd er ausgerviesen."
 
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