1715
es fehlte der Stimmzettel. Plötzlich erscheint schweißtriefend ein dunkel-
äugiger, junger Mann mit kohlschwarzem Schnurrbart, dem der blaue
Kittel vortrefflich sitzt, in der Versammlung, drängt sich zum Landrath
durch und ruft: Schnell, Herr Landrath, in Schnabelstein haben die
Sozialdemokraten mobil gemacht, sie ziehen in hellen Haufen daher,
wir haben die Sturmglocke geläutet.
Jetzt war Ulrich ganz Feldherr. Der Wagen wird bespannt, die
Gensdarmen pflanzen die Bajonnette auf, der Schulze und die Groß-
bauern holen ihre Schützenfestbüchsen, und in wildem Galopp fliegen
die Landrathslutsche und polternd hinterdrein ein Vierteldutzend
Leiterwagen nach
Schnabelstein. Das
liegt drei Stunden
davon, ander Grenze
des Kreises; der Weg
ist schlecht, nur eine
Vizinalstraße, holp-
rig, halsbrecherisch, tz.
Der Boden ist aus-
geweicht, denn es
hat den ganzen Tag
geregnet. Hui, sau-
sen die Tapfern da-
von, geschüttelt und
gerüttelt, in qual-
voller Enge zusam-
mengedrängt.
Derweil kom-
men an die hundert
Mann, ernste, klug
blickende Leute, in
das große Dorf ge-
zogen, das der Land-
rath mit seinen > Ge-
treuen eben verlassen
hat. In trefflicher
Manneszucht eilen
sie von Hütte zu
Hütte, gehen zu den
Knechten der Groß-
bauern und marschi-
ren in den Guts-
bezirk, wo sie keinen Taglöhner, keinen Arbeiter vergessen. Gut und
Bauernhöfe sind von den gestrengen Herren verlassen, so wechselt
der Knecht ein Wort und noch eins mit den Fremden. Die bringen
sozialdemokratische Flugblätter und Stimmzettel. Wie sorgsam die
Flugblätter gelesen, wie gut die Zettel aufgehoben werden!
In die Schenke aber begiebt sich ein kleiner Trupp; unter die
Versammelten tritt ein bärtiger, stattlicher Mann und hält eine Wahl-
rede, die ihnen anders in die Ohren klingt, als die des Landraths.
Ihre Augen blitzen, ihr Herz schlägt schneller. Und als er ihnen
empfiehlt, den Arbeiterkandidaten zu wählen, da hallt es in ihnen:
Ja, den wählen wir!
lieber Stock und Stein rasseln die Gefährte, die dem bedrohten
Schnabelstein Rettung bringen. Endlich erblickt man den spitzen Kirch-
thurm des Dorfes; der steht noch, der Gockelhahn auf der Spitze läßt
melancholisch die Flügel hängen. Denn es gießt in Strömen, der
Regen plätschert, rieselt, klatscht, durchdringt Jacke und Hemd, drängt
sich durch den dicksten Mantel und schlüpft hinter die aufgeschlagenen
Rockkrägen. Eine Karawane ins Wasser gefallener Mäuse scheint der
Zug der Befreier zu sein. Der Kutscher, der den Landrath fährt,
kann das Pferd nicht mehr zügeln; der Wagen kippt um und in kühnem
Bogen, den Kopf voran, fährt Ulrich von Hohenstein in die schlammige
Tiefe des Dorfgra-
bens, wohin durch
tausend Rinnen die
Düngergruben des
Dorfes ihre über-
schüssige dunkleFlüs-
sigkeit führen.
Mühsam wird er
geborgen. Aber die
Pflicht ruft: Vor-
wärts ! Friedlich
liegt das Dorf. Ist
das die Ruhe des
Kirchhofs? — Nie-
mand rührt sich, nur
ein Hahn kräht. O
diese Vandalen!
Jetzt sind sie beim
Schulzenhaus und
verwundert über den
seltsamen Aufzug
tritt ihnen des Dor-
fes Gebieter entge-
gen. Er weiß von
nichts, die Dorfbe-
wohner, die allmälig
aus den warmen
Stuben kamen, wis-
sen auch von nichts,
an Spottreden fehlt
es nicht.
Als etliche Stun-
den später die Landräthlichen heimkehrten, wußten sie, weshalb sie
nach Schnabelstein gesprengt worden waren.
An dem nächsten Tage war Wahl. Der Sozialdemokrat wurde ge-
wählt, das große Dorf, das sie in letzter Stunde bearbeitet hatten,
gab für sie den Ausschlag.
Der Schlossergeselle Fritz, ein pfiffiger Berliner Junge, mit dunkeln
Augen und kohlschwarzem Schnurrbart, der in der nahen Kreisstadt
arbeitet, erzählt auf der Herberge den Genossen, der Landrath von
Hohenstein schulde ihm noch vom Tage vor der Wahl einen Botenlohn.
Er wolle ihm aber das Guthaben schenken, durch den Wahlsieg seien
sie quitt geworden.
verwundert über den seltsamen Aufzug tritt ihnen des Dorfes Gebieter entgegen.
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^ Künstler Frühling.
Ver Frühling ist ein Maler:
Lr malt mit glühenden Farben
In originellem Dtil,
Und läßt die A)elt erscheinen
In wunderbarem Farbenspiel.
Der Frühling ist ein Komponist:
Entzückende Melodien
Lrsinnt er, berauschend für Herz und Vhr;
Die Vögel singen sie meisterhaft
In Dolo und im Dhor.
Der Frühling ist ein Bildner:
Lr schafft viel tausend 8ebilde
Bach reizendem Urmodell,
Nach keiner Dchule Richtung
Und gar nicht konventionell.
Der Frühling ist ein Dichter:
Dein Lustspiel, spannend, fesselnd,
Macht jedesmal ein volles Haus;
©efpielt wird so natürlich
Und Alles klatscht Applaus.
Der Frühling ist ein Uraftgenie:
Lin großer, vielseitiger Künstler
Der Meister Frühling ist.
Lr schafft nur Liebliches, Schönes,
Und ist doch „Naturalist".