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—• 1719 .

Iestank inathmen dhäten. Un denn äußerten se noch den unbescheidenen
Wunsch, det in die Fabrik eine Badeiurichtuug herjcstellt werden möchte,
wo se sich nach Feierabend von die schlimmsten Farben un Unreinigkeiten
befreien könnten. Nu rede Du, Kunheim. Uu Kunheim redete. „Nich
in die Hand", sagte er, „un wen det nich paßt, der kann jleich Feierabend
kriesen." Un beim haben die Arbeiter jestrikt, aber wat wollten sc machen?

Die meisten von ihnen hatten so'n Hunger, det sie for Durst nich wußten,
wo se eene Schlafstelle herkriejen sollten. Se mußten kleeu beijeben —
det Kapital blieb Siejer.

Jestern war hier jroßet Korsofest usf'n Rennplatz von Charlottenburg.

Det war natierlich blos für die Elite von die Jesellschaft, da war aber
ooch ville Jsra-Elite mit bei. Det sah sehr hibsch aus, als se Alle so
aujefahren kamen, die mit Vermöjen behaftet sind; det janze Fuhrwerk
mit die kostbarsten Blumen übersäet, selbst Pferde, Kutscher un Peitsche.

Un in die Wagen lagen sie man so hinjejossen un blickten uff det arm-
selije Volk, wat sie bewunderte, als: „Blast mir'n Stoob weg!" Da
kamen Offiziere un Schauspielerinnen, Börsenjobber, Häuserspekulauten
un verschiedene olle ehrliche Seemänner. Der merkantile Haudelsstand
war natierlich am stärksten vertreten. Die Berliner sind nu mal bei
jeder Jelejenheit zu allerleihaud insamigte Witze jeneigt, — wenn sie ooch
so ausfallen, det man sich krümmt. „Juten Morjen, Herr Leitnaut!

Ne kleene Partie Macao jefällig?" „Nu kiek mal, die olle Latte mang
die Rosen, vorne wie'n Brett un hinten wie jehobelt", so'ne Redensarten
mußten sich Einige jefallen lassen, sie dhaten aber, als hörten sie nischt.

Un usf'n Rennplatz warfen sie sich mit jroße un kleene Bouquets, die
sie neben sich usf'n Sitz liefen hatten, un mancher soll für die paar
Stunden Dausende jeopfert haben.

Vor einijen Dagen brach een Mann in der Köpeuickerstraße zu-
sammen. Man jloobte, det er eenen Schlagaufa ll jekriegt hätte un trug
ihn in eene Destille. Hier erholte er sich soweit wieder, det er een eenzijet
Wort ausstoßen konnte, aber det jeniegte. „Hunger!" stöhnte er, weiter
nischt. Det sind so'ne kleenen Jroßstadtbilder, Jacob. In dieser Hinsicht
verbleibe ick Dein jetrcier Jotthilf Naucke, Moabit.

Hobelfxähne.

Wie herrlich wogen die Saaten
Auf weiter, weiter Flur!

Die Frucht wird wohlgerathen,

Freigebig ist die Natur,

Es quillt, die Welt zu beglücken,

Der reiche Segensborn,

„Er wird den Getreidepreis drücken!"
So grollt des Agrariers Zorn.

* * *

Es hat gegen die freie Meinungsäußerung
immer Anklagen und Verfolgungen geregnet
, e , und so mancher Staatsanwalt hat gegen sie g e -

donnert, manches Urtheil hat auf sie cin-
^ ^ ~ geschlagen — es brauchte also gar nicht so
große Sensation zu erregen, als sie kürzlich wieder einmal in ein Brause -
weiter gerieth. * » *

O Mensch, auf Deiner Lebensbahn
Sei stets ein frommer Unterthan,

Was Dich bedrängt, bedroht, bedrückt,

Ertrag es, demuthsvoll gebückt,

Und wird Dir gar zu schwer die Last,

So denk' an's Nilpferd, still gefaßt,

Und nimiu' es Dir zum Muster schnell,

Denn dieses hat das dickste Fell.

Das Bürgerthum erlaubt sich heutzutage allen möglichen Luxus, nur
den Luxus einer thatkräftigen Opposition gegen die herrschende Militär-
wirthschaft erlaubt es sich nicht mehr.

Wenn das Militär vorzugsweise gegen den „inneren Feind" verwendet
werden soll, so könnte man die Marine abschaffen; auf dem Ozean giebt
es keine Versammlungen aufzulösen und Streiklustige todtzuschießeu.

Ihr getreuer Säge, Schreiner.


Auch Malzhuber hatte getreulich Miericke's An-
weisungen befolgt, zwanzig Prozent seiner besten
Leute, die zur Gewerkschaft gehörten, außer Brot
geworfen und alle Erklärungen und Müuch-
hausiaden, womit der Bierring das Publikum zu
täuschen suchte, mituuterschrieben. Er wolle Herr
sein in seinem Betrieb, nicht die Arbeiter dürften es
sein, so hatte er den Entlassenen gesagt: er verweise
sie aus die „Freimüthige Zeitung", das Organ des
Jrrlehreumannes, die ganz dasselbe ausführe.

Malzhuber hatte in weiser Voraussicht sehr
große Einkäufe an Rohstoffen gemacht, sich mit
Fässern wohl versehen, die Biererzeugung fieber-
haft beschleunigt und gewaltige Mengen trinkbarer
Flüssigkeiten aufgestapelt. Da aber kam der Blitz
aus heiterein Himmel, der Boykott. Verzweifelt
sah Malzhuber, wie sein Biergarten sich leerte.
Das Arbeiterblatt hatte seinen Rainen gebracht,
Hunderttausende wußten, daß er ein Ring-Mann
sei. Wo sich sonst Hunderte drängten, wo der
Zapfer kaum rasch genug die Gläser füllen konnte,
wo einst des Hammers kräftiger Schlag täglich
viele Dutzende von Zapfen aus den Fässern trieb,
da herrschte klägliche Verlassenheit. Wehmüthig
standen in festglänzenden Fräcken, ein Bein übers
andere geschlagen, die trefflichen Kellner, rieben sich
den Rücken an den Laterneupfählen und harrten
Derer, die nicht kamen. Wüst und leer war es
ringsuin. Die Fliegen summten, die Spatzen
schrien, und das erste Faß stand noch immer bis
an den Rand voll auf dein Schanktisch. Der
Zigarrenhändler, der Pfälzer und ähnliches Kraut
an der Treppe feilbot, war auf und davon, der
Schmeizerkäse am Buffet schnurrte in der Hitze
ein wie alte Jungfernhaut, die Gläser stäubten,
die Kellner warteten, und der Zapfer schlief.

Und in den Kneipchen und Kneipen, den Her-
bergen und Versammlungslokalen des Nordens,
wo Malzhuber's bester Markt ist, wiederholt sich
dieselbe Geschichte. Die Gäste nieiden die gebannten
Räume, der Budiker rauft sich entsetzt das Haar,
die Arbeiterfrauen holen nicht im Krug und nicht
in Flaschen mchr das Malzhuber'sche Gebräu.

Sie wenden sich zu anderem Getränk, zur prickeln-
den Weißen, die die Zunge beißt und das ganze
Innere in sanfte Erregung bringt, zu fremdem
Bier, das gewinufrohe Brauereien der Provinz
massenhaft einführen, zu nicht geächteten Stoffen.
Erst kracht es hier, dann dort, erst an zehn, dann
an hundert Stellen. Ein Bierkeller nach dem
andern, ein Verleger, ein Kneipier, ein Gastwirth
nach den: andern kapitulirt, er kann kein Malz-
huberbräu halten. Statt der Bestellungen Aus-
sagen, Kündigungen, Abbestellungen. Jeden Mor-
gen wälzt sich eine Fluth weißen, grauen, gelben
Papiers, zierlich und grob, grad und krumm be-
schrieben und bekritzelt auf den Schreibtisch Malz-
hubers: ein Abnehmer nach dem andern fällt ab,
ein Kunde zieht hundert andere mit sich, die
Reißaus nehmen vor der wuchtigen Wirkung dieser
Sperre. Malzhuber schreibt und läuft, bittet und
droht, klagt und prozessirt, die Widerspenstigen,
die ihni durch Schulden verstrickt sind, zu bündigen.
Aber es hilft nichts. Die Konkurrenz springt ein,
sie löst die Verpflichtungen der Wirthe, und die
Noch wächst stündlich.

Das Malzhuberbräu ist ein wohlschmeckendes
Getränk, aber leicht ist es eingebraut, berechnet
aus den raschen Verbrauch. Schnell muß es in
Masse weggetrunken, in Eile vertilgt werden.
Ehedem leerte sich rasch der Keller, wo Hunderte
von Tonnen in eisiger Ruhe lagerten, heute starrt
den Brauherrn eine Legion von vollen Fässern
an, die Niemand trinken will. Bis in die letzten
Winkel hinein sind die zahllosen Behälter gerollt,
die für den starken Sommerverbrauch gefüllt
worden sind. Der Kobold, der sich bei Miericke's
Besuch vor Vergnügen auf dem Blitzableiter ge-
kreiselt hat, ist durchs Schlüsselloch in den Lager-
keller geschlüpft, tänzelt von Faß zu Faß, pocht
mit der Faust an eins nach dem andern, daß es
dumpf durch den dunklen Raum dröhnt und jauchzt:
Sauer, sauer, sauer Bier!

In der Brauerei werden nur die nothdürf-
tigen Arbeiten verrichtet, mühsam schleppt sich der
Betrieb fort; doch umsonst^ wird Bier gesotten.

Von Tag zu Tag muß der Betrieb mchr ein-
geschränkt werden, die Aufträge fehlen, der Absatz
schwindet, die Geschäfte stocken.

Es kommt der Stillstand, und das Bier ist
Essig. Wie Marius auf den Trümmern Karthagos,
fitzt Malzhuber auf seinem Drehstuhl im Komptoir.
Drüben im Brauhaus liegt Alles todt, die Spinnen
ziehen ihre Fäden über den Braukessel, auf dem
Darrbodcu tanzen die Ratten, in der Böttcherei
spielen die Mücken. Auf dem Hofe zwischen Fässern
und Gerstensückeu stehen die Bierwagen. Ein paar
Jungen klettern an den Speichen auf und ab,
abgeschirrt stehen die Ardenuengäule müßig im
Stall und scheuerten sich an der Krippe. Rück-
gang, Zusammenbruch, protestirte Wechsel, der
Bankerott!

Er fällst, die Stütze des Bezirksoereins, er,
dessen Familie seit hundert Jahren den Norden
mit Bier versorgt, er, dessen Wohlstand so be-
haglich und gesichert erschienen war. Aber war
er denn blind gewesen? Hatte er denn nicht die
Listen und Kniffe der Großbrauer, die den Kleinen
den Untergang geschworen, bemerkt? Hatte er
nicht gefühlt, daß der Boden unter seinen Füßen
schwankte, daß die Maulwürfe des Großkapitals
Alles unterwühlten? Die Zwangsversteigerung,
der öffentliche Skandal, die guten Freunde, die
Neputirlichkeit.. ..

Der alte Malzhuber stand auf, nahm den
großen Kellerschlüssel mit dem zackigen Bart, der
schon ganz abgeschliffeu war, ging mit schwerem
Schritt zum Keller, öffnete ihn und verschloß die
Thür hinter sich. Durch die hallenden Reihen der
vollen Fässer, die Niemand, Niemand austrinken
wollte, ging er fest und plump durch bis zu dem
letzten Verschlage, wo von oben noch ein Bischen
Tageslicht hindurchschien. An der Steinwand war
ein fester Haken. Malzhuber stieg aus ein Faß,
sah, wie der Himmel blaute und die Sonne
leuchtete auf Millionen durstiger Seelen, wandte
den Kopf, knüpfte den Strick fest und hing sich auf.

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