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* 1738

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P inneberg-Llnrshorn. +<«-

■jßm Lorbeer, den daF Vogtland sich gebrochen,
Al^ schönen Sieges wohlverdienten Drei^
Folgt nun der Holsten Land nach wenig Wochen
Mit einem frischen, dichtbelaubten Kei^

FF wankt der Mohr von der Entscheidung^statte,
Die ihn am Boden auFgestrecKt gesehn —

Die Schuldigkeit alF Volksvertreter hätte
Fr niemals doch gethan; der Mohr kann gehn!

Der arme Mohr! Ihm ward daF Bad gesegnet.
Auf seinen Kücken haben Duff und Streich
So massenhaft und dicht herabgeregnet
Der arme Mohr ist selber butterweich!

Fs ward für ihn Erkleckliches geleistet
Im Fälschen, Lügen, Schwindeln und Verdreh»,
Doch hat das Volk des Artheils sich erdreistet:

„Wir brauchen keinen Mohr! Der Mohr kann gehn!"

Fs Harste krampfhaft für ihn mancher Barde
And segnete das Kriegs Volk für die Schlacht;

Fs war zudem die rarste Mobelgarde,

Die auf die Beine man für ihn gebracht.

Die edlen Junker fluchten barsch und grimmig.

Von allen Kanzeln stieg ein brünstig Flehn;

Das Volk jedoch erklärte tausendstimmig:

„Der Mohr ist lächerlich! Der Mohr kann gehn!"

Fr machte freilich eine trotzge Miene

And hielt dein Lorn des Volkes lächelnd Stand,

Bis er zuletzt in seiner Margarine
Fin langes Haar von Balkenstärke fand.

Schwarz vor den Augen ward's dem Butterkönig,
And eh's recht losging, war's um ihn geschehn;

Von Dorf zu Dorf erklang es unkentünig:

„Der Margarine-Mohr! Der Mohr kann gehn!"

Fs flohn die Mannen uralt angesessen,

Fs floh wie Spreu im Wind die heilge Schaar,

Die sich bemüht, die Juden aufzufressen,

Fs floh des Fortschritts edles Brüderpaar.

Fs brach die letzte nationale Kotte
Wie dürres Keisig in des Sturmes Wehn,

And dieser Sturm Klingt pfeifend aus im Spotte:
„Der Mohr ist abgethan! Der Mohr kann gehn!"

Berlin, im Juni 1894.

Lieber Jacob!

Hier in Berlin kannste immer wat erleben, un
wenn Du Deine Oogen un Ohren offen hast,

denn kannste Dir
aus jedet Dings eene
Nutzanwendung
ziehn. So zum Bei-
spiel, ick mache jestern
Abend meinen Spa-
zierjang. Ick jehe
nich ferne mang
Unter die Linden,
indem ick da nich
wceß, mit wat for
Volk man da zu-
sammcnkommt, ick suche merschdendeels bet Ar-
beeterviertel uff. Also ick komme ooch durch die
Perleberjerstraße. Ick sehe da sowat, wat se hier
eenen Usflauf nennen. Ick denn nu sack, sack
ran, denn wenn ick ooch nich jerade neujierig bin,
denn mag ick doch ferne sehen, wenn irjendwo,
irjendwie, irjendwat los is. Un da sehe ick denn,
det so'n ältlicher Herr in 'ne patente Kledasche an
den Zaun von die Artilleriekaserne steht urt mit
die eene Hand un een darin befindlichet Taschen-
tuch mischt er sich det Blut ab, wat aus seinen
Jesichtsvorsprung fließt, un in die andere Hand
hat er eenen Zylinder, der aber die Faxon von
eene Ziehharmonika anjenommen hat.

„Wat is los mit den ollen Herrn", frage ick,
„hat er eenen unversehentlichen Blutsturz jekriegt?"

„Jh wo", sagen die Leite, die um ihn 'rum-
stehen — det waren alles Arbeeter, denn andere
Leite wohnen in die Jejend nich —, der Mann
hat blos seine wohlverdienten Senge jekriegt. Er
is jejen eene Fabrikarbeeterin handjreiflich jewor-
den, indem er jejloobt hat, für sein Jeld könnte
er sich Allens erlooben, un da is er an die Ver-
kehrte jekoinmen, denn wenn et ooch een armet
Mächen war, so muß sie doch Haare uff die Zähne
jehabt haben, denn sie hat ihm mit ihre leere
Kaffeekanne, die von Zinn jewesen is, eenen Schlag

in't Profil jejeben, der nich von Pappe jewesen
is, un denn is sie megjeloosen un er blutet nu.

„Ja, ja, wie det so is", sage ick, „hier in die
Perleberjerstraße kann Eener mit Jlanz seine
Wichse kriejen" un denn jehe ick ineinen schies-
bcenigten Jang weiter.

Als ick an die Fennbricke komnre, nruß ick
wieder meinen Jang beschleunijen, indem sich da
wieder ziemlich ville Menschen uff eenen Punkt
krystallisirt haben. Ick denn nu wieder hin un
mitten mang. Ick sehe, det een Schutzmann eenen
Jungen von so'n Jahrener zwölfe beim Kragen
hat un sein Jesichte is roth un sein Schnurrbart
zittert man so, wenn er den Jungen sagt, er soll
usfstehen, denn er muß ihn nach die Wache bringen.
Un der Junge will absolutenrang nich. Er schmeißt
sich immer wieder uff die Erde un strampelt mit
die Hände un die Füße.

„Wat hat er jemacht", frage ick, „hat er Eenen
wat jenommen oder jar jestohlen?"

„Jh Jott bewahre", sagt een Mann, der neben
mir steht, „er hat eenen Mord befangen?"

„Wo is't menschenmöglich?" sage ick, „so jung
un denn sowat?"

„Ja", meent denn der Andere wieder, „der
Junge hat von die Bricke aus mit eenen Steen
nach die Wildenten jeschmissen, die ufs der Spree
waren, un der Bengel hat eene jerade jejen den
Kopp jetroffen un die is janz ramdusig jeworden
un is an't Land jeschwommcn, un een Maurer,
der jerade Oojenzeije jewesen is, hat det Dhier
mit eene Hand jeangelt un ihr jleich den Hals
abjeschnittcn un is mit nach Hause jejangen. Un
der Schutzmann da hat det jesehen un den Maurer
mit die Ente hat er loofen lassen, aber den Jungen
hat er sich jejriffen un nu soll er mit nach die
Wache."

Un een Herr in so'ne Art halbe Ziviljäger-
uniform steht ooch bei mir un hört die Jeschichte
mit zu. Er kriegt eene Zichjarre raus un will
sie den Schutzmann jeden un sagt so recht je-
miethlich:

„Hier Herr Wachtmeester, stecken Sie sich eene
in't Jesichte, damit man sieht, wat vorne is,

> un denn lassen Sie man den armen Jungen
! loofen."

„Herrr!" fährt der Schutzmann den Herrn an,
„Sehen Sie nich, det ick im Dienste bin? Ick werde
Ihnen wejen Bestechung un Beamtenbeleidijung
anzeijen un Sie sind inein Zeije", meent er ;u mir.

„Damit wer'n Se wohl keen Jlick haben",
sage ick, denn ick habe jarnich nach hinjehört. Un
denn ziehe ick den ollen Herrn an den Rockschlippen
aus die Menschenmenge heraus un der Schutz-
mann hat ooch jenug mit zu thun, det er den
Jungen festhält. Ick sage denn zu den ollen
Herrn: „Machen wir man, det wir wegkommen,
denn sonst kriejen Se eene Anklage un können
vor Brausewettern, vor die „Schreckenskammer"
kommen."

„Den Deuwel ooch", sagt er un fängt ordent-
lich an zu rennen. Als er denn aber sah, det keene
Jefahr mehr vorhanden war, sagte er: „Wissen
Sie", sagte er, „so'n Junge dhut mir leed. Un
wenn er blos eenen Verweis wejen jroben Un-
fugs kriegt, sein Blatt is nich mehr sauber un er
hat vielleicht Zeitlebens dran zu leiden. Wat so'n
Junge for'n Jlick hat! Ick schieße manchmal drei-
mal nach so'ne Ente un treffe immer vorbei, un
er schnreißt sie mit'n Steen dodt."

Na, wir stehen nu jerade un wollen uns von
eenander verabschieden, da kömmt een Mann an
uns ran, den wir schon lange mit seine Extra-
blätter jehört hatten. „Allerneuestes!" schreit er
immer un zwischendurch ooch mal wat von„Mord-
that!" „Sollte det schon die Nachricht von die Enten-
jeschichte sind?" sagt mein Mann in die halbe
Jägerkleidung in spaßijem Tone. „Na", meent er,
„ick will doch eenen Nickel 'ran wenden." Un er
kooft so'n Blatt un wir kieken beede rin un lesen
denn, det Eener uff Crispi'n jeschossen, aber ihn
nich jetroffen hat. „Die Nachricht is keenen Jroschen
werth", sage ick. „Nee", sagt er, „da jeb' ick Ihnen
.Beifall, da lob' ick mir den Jungen mit die Ente."
Un denn fing er. Ick jing denn ooch bald nach
Hause zurick.

Wat is det doch for'n Elend, Jacob, mit det
Unjlick in Karmin! Zweihundertdreißig Berglcite
 
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