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Line alte, aber wahre Geschichte aus dem christlichen Germanien.

Von Kairo Wagemutß.

rgendwo in Deutschland, zwischen Berg und
Thal, durchströmt von lieblichen Waldbächen,
reich an Rebengeländen und dunklem Tannen-
gehölz, lag vor vielen, vielen Jahren die
Gaugrafschast Hechselfingen. Der deutsche
Michel schlief damals noch einen bleischwdren
Schlaf, die Märzlust hatte ihn noch nicht wachgeblasen, die kleinen
und großen Potentaten regierten ihre Länder mit wenig Witz und
viel Steuern, und das dumpfe, unterirdische Grollen der nahenden
Umwälzung hörten blos die Sonntagskinder.

Die Hechselsinger aber waren und sind noch heute auserwählte
Leutchen, die das Gras wachsen und die Flöhe husten hören. Wenn
irgendwo irgend eine neue Einrichtung ins Werk
gesetzt wird, dann müssen die Hechselsinger sie auch
haben, koste es, was es wolle. Probiren geht über
Studiren, heißt es bei ihnen, und so greifen sie
nach den wunderniedlichen Siebensachen, wie sie
jenseits der vaterländischen Grenzpfähle alle Tage
auf den Markt kommen, mit großer Begeisterung
und führen sie bei sich ein. Sind auch gesinnungs-
feste Weinbeißer, die den innerlichen Gebrauch von
Wasser auf das Tiefste verabscheuen, und schrieen
damals schon, wenn der Nachtwächter an der
Stammwirthschaft vorübergegangen war, ihr Vivo
tu repudtchae! daß es eine Helle Freude war.

Da nun die Nachbarn eine Verfassung hatten,
wollten sie auch so ein Dings haben, und da ihr
Herr und Gebieter, der brave Gaugraf Jockel der
Vierundvierzigste, gar so ein gutes Herz hatte,
schenkte er ihnen an einein heißen Sommertage solch
eine neumodische Erfindung von äußerst zarter Kon-
stitution, -ie man in Watte legen mußte, da sie
bei dem leisesten Windhauche zu zittern und beben
anfing. Die Hechselsinger aber waren stolz auf
das Geschenk. Denn in ganz Deutschland waren
sie die Einzigen, denen so etwas beschert worden
war, und sie spielten als gute Kinder ein Viertel-
jahrhundert mit der papiernen Bescherung, lärmten
ein Weniges, hielten in der Hechselsinger Kammer
gewaltige Reden und wurden überall als Kerls
betrachtet, denen man wohl was Rechtes zutrauen
dürfte. Das Volk aber, das im Schweiße seines

Angesichts schafft, lag noch traumbefangen und ballte im Schlafe ab
und an einmal die schwielenharte Faust. Doch das Jahr 1848 war
damals noch fern. . . .

Als die ersten fünfundzwanzig Jahre vorübergegangen waren,
da beschloß der Gaugraf, mit seinen getreuen Ständen und den
getreuen Bürgern das Verfassungsjubiläum feierlich zu begehen. Die
Amtsblätter und die anderen Zeitungen brachten schwungvolle Fest-
artikel; auf dem Schlosse, das in einem schönen Park gelegen war,
den die Steuerzahler, die ihn unterhielten, nur bei festlichen Gelegen-
heiten betreten durften, wehte die gräfliche Fahne mit dem herrschaft-
lichen Wappen. Das Wappen war uralt. Denn das Geschlecht der
Hechselfingischen Gaugrafen ging bis in die Zeiten zurück, wo die
tapferen Ritter auf der Landstraße einherfuhren und den Kaufleuten
die Wagen aufhieben. Ein springender Kater im gelben Felde, der
ein zappelndes Müuslein in der Schnauze trug, war das Wappenbild.
Die ganze Hechselfingische Armee, an die zweihundert Geineine, hundert
Offiziere, ein Tambourmajor und fünf Generäle, war auf den Beinen,
in Paradeuniform und den Roßschweis auf dem Tschako.

Auf dem Marktplatze spielte eine Musikbande, der Bürgermeister
hielt eine lange Rede und der Kanzleischreiber Seppl schrie Hurrah!
Damit aber die sortschrittsfreundliche Gesinnung seiner Erlaucht,
Jockels des Vierundvierzigsten, aller Welt kund und zu wissen gethan
werde, hatte er auf den Vorschlag seines Ministerraths, an dessen Spitze
der Freiherr von Schüttelkops stand, eine allgemeine Amnestie erlassen.
Fünf Waldsrevler, eine alte Zigeunerin, die gewahrsagt hatte, und
Muckenschnabel waren sreigekommen. Nur ein wandernder Schneider-
geselle, der auf der Herberge republikanische Spottreden geführt hatte,
blieb verdientermaßen hinter Schloß und Riegel sitzen. Muckenschnabel
aber war ein alter Zuchthäusler, der seine Rechte nie wissen ließ, was
die Linke stahl, ein ausgezeichneter Praktikus in allen Fragen, wo es sich
um Dietriche, Brecheisen und Nachschlüssel handelte. Er war ein Ehren-
mann, der für einen Schnaps und ein Trinkgeld die heikelsten Aufgaben
löste, und sicher am würdigsten der Entlassung aus Haft und Banden.

er schnauzbärtige Sergeant brummelte in den Bart: „Muß ich schon wieder prüsentiren

vor dem Jiidchen!"



 
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