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sich. Schluchzend hängt ein bezechter Hauptmann an der patriotischen
Brust eines Straßenräubers, die Weiber kreischen, die Männer schlagen
mit der Faust auf den Tisch, der Schnapsdunst umnebelt Alle, und
das Vaterland kann gerettet werden.

Der koinmandirende Offizier hat dafür gesorgt, daß an diesem
Abend Patrouille und Zapfenstreich nicht an Teiteles' Haus vorüber-
ziehen. Der Sturm bricht los. Tobend, zischend, pfeifend wälzt sich
der Haufen, geführt von Muckenschnabel, zum Judenbaron. Steine
fliegen, Eisenstangen donnern gegen die Thür, die Scheiben splittern.
Fackeln erleuchten mit düsterem Roth den Hexensabbats). Nun giebt
die Thür nach, einer, zwei, ein Dutzend Kerle springen in den Haus-
flur, einige klettern am Balkon empor.

„Hep! Hep!" ertönte die Losung. „Vor dem Gaugrasen sein'Ehr'!
Uf die Judeh —!"

Der erste Stock wird im Flug genommen, was nicht niet- und
nagelfest ist, wird zerschlagen und geraubt. Kisten und Kasten, Gläser
und Spiegel fliegen auf die Gasse. Muckenschnabel, einen Knüppel
schwingend, sucht den Judenbaron. Der aber ist beim ersten Lärm
geflüchtet und vom Minister von Schüttelkopf in Sicherheit gebracht
worden.

„Hep! Hep! Vor dem Gaugrafen sein' Ehr'! Uf die Judeh — !"

und die wilde Jagd geht weiter. Noch ein, noch zwei Judenhäuser!
Und Muckenschnabel hält reiche Ernte.

Trümmer, Scherben, Kleiderfetzen, halbgeleerte Flaschen, ein
wahres Chaos, bleibt zurück. Die Revolution war eine siegreiche.

Am anderen Morgen erklärt das Regierungsblatt, daß das loyale
Volk von Hechselfingen den Tod des Fähnrichs von Heuler habe rächen
wollen und gegen die Judenemanzipation demonstrirt habe. Volkes
Stimme sei Gottes Stimme und die Regierung würde sich in loyalster
Weise dem Wunsch des Volkes fügen. Der Baron von Teiteles sei
des Landes verwiesen und Jockel der Vierundvierzigste amnestire alle
Revolutionäre.

Muckenschnabel war fein heraus, er führte fortan als Rentier
ein nur ab und zu durch kleine Zuchthausstrafen unterbrochenes
ruhiges Dasein. Er hatte den Staat gerettet, Teiteles war aus
Hechselfingen entwichen, und Muckenschnabel war der erste, der das
von Jockel dem Vierundvierzigsten zur Erinnerung an den schicksals-
schweren Abend gestiftete Ordenskreuz erhielt. Es war das allgemeine
Verdienstzeichen am gelben Bande und trug die Inschrift:

Hep! Hep!

Vor dem Gaugrafen sein' Ehr'!

Uf die Judeh -!

Die letzte Mark.

Line westfälische Lteuer-Vallade.

lDcr wandert so spät nach Iserlohn?

Ls ist der Vater nrit seinem Sohn;

Der Sohn hält einen Beutel im Arm,

Er hält ihn sicher, er hält ihn warm.

,,Min Junge, batt hest de, batt kiekst de so stier?"
„© vatter, ick saih ^ den Gerichtsvollzieh'r,

Den Gerichtsvollzieh'r in blaue,n Rock!" —

„Min Junge, do springet en Ziegenbock"

„Mein liebes Rind, o sei gegrüßt!

Ich weiß, dein Beutel eine Mark umschließt,

Die wollt ihr verschlemmen in Iserlohn —

Doch habt ihr die Steuern bezahlet schon?"

,,<D Vatter, o Vatter, hörst de nit,

Dai Aierl wäit^ Alles, de Mark sind we quitt."
„Du -reimest,» min Junge, et es de wind,

Dai singet im Baume. Nu kumm geschwind!"

„willst mit mir gehen, du feiner Rnab'?

Ich nehme die glänzende Mark dir ab.

Ls ist auch bester, du schenkest sie inir,

Als daß ihr verkneixt sie in Schnaps oder Bier."

„© Vatter, suist du den Uierl nit stöhn,

Do kümmt he! Jesses, bu fall us dat gohn!"

„Min Junge, ick gloiweI du büst wahn:S
Du suihst ne weide vör'n Gerichtsboten an."

„Nun reiz'mich nichtlänger, mein Sohn, ich bin stark —
Und Miguel braucht Geld, drum her mit der Mark!"
„© Vatter, o Vatter, Hai kritt« mi am Hals,

Dai Mark, Hai hett se! Verluren es All's!"

Dem Vater grauset's, er faßt seinen Sohn —

Doch sieh, da winket das wirthshaus schon.

Sie öffnen den Beutel — o Grausen und Schreck!
Die liebe, die glänzende Mark war weg!

i sehe. 2 weiß. 3 träumest. 4 glaube. 5 irre. 6 kriegt.
-«*.-

Agrarisches.

A. : Wie kommt es, daß die Agrarier immer
nur den großen Bauern und nicht den kleinen
helfen wollen?

B. : O, den kleinen Bauern helfen sie auch.

A. : Inwiefern?

B. : Sie helfen sie ruiniren.

Von der Wiener Börse.

Fleckeles: WeißtDn's schonvonDreckeles?

Schm eckeles: Der, was hat so oft gemacht
Opposiziaun gegen die Regierung? Nu, was is
mit ihm?

Fleckeles: Er is geworden Offiziöser und
schreibt jetzt für die Regierung.

Schmeckeles: Also windischgrätzig is er
geworden?

Fleckeles: Haste gesehen!

Juristisches.

Beamtenbeleidigungen können nur dann mit
der wünschenswerthen Strenge 'bestraft werden,
wenn der Beleidigte gleichzeitig der Richter
ist. Um dieses außerordentlich gerechte Verhältniß
überall herzustellen, sollte künftig ein Redakteur,
welcher einen Nachtwächter beleidigt hat, vor ein
Kollegiuin von Nachtwächtern zur Abur-
theilung verwiesen werden, und wer sich gar
erlaubt, die Beamten der offiziösen Presse zu be-
leidigen, den sollte man in einen Suinpf schleu-
dern, damit das Kollegium der Reptilien ihn
richten kann. _M._

berechtigter Neid.

Dir Lrist und Drausriurkler sind
Iwri äußerst schneidige Juristen —

Der schlug auf Neger in ribrr los,

Und jener auf die Journalisten.

Der Leist ward schleunigst abgrseßk,

Nanu nie mehr Neger-Weiber prügeln,

Der Br ausew etter blribk im Arnk,

Er staun dir Presse ferner „zügeln".

Aus Parteikreisen geht uns das nachstehende
Signalement und das Porträt des Ernst v. Ungern-
Sternberg zu. Wir bringen cs nachstehend zum
Abdruck.

Signalement zum Porträt

des „Lütticher Bomben-Barons"

Lrnst v. Ungern-Sternberg,

geboren am 27. Febr. 1867 in Nesstintchnoye (Rußland).

Alter: ca. 27 Jahre.

Größe: etwas über mittel, sehr kräftig.

Haare: blond.

Teint: blaß, gelblich.

Varl: voll, trug bei seiner Abreise von Lükkich
keinen mehr.

Schnurrbart: röthlich-blond und lang.

Kinn: unter der Unterlippe brrilr, tiefe Furche;
Grübchen im Kinn.

Lippen: aufgeworfen — („ionrstmäulig")—, welche
er etwas öffnet und stark vordrückt, auch wenn er
nicht spricht.

Augen: starr und dunkel.

Führt falsche Namen, wo er sich wohnhaft macht.
Giebt sich für einen Maurer und Mechaniker aus und
trägt dann weite, geriefte Hosen und eine sehr kurze blaue
Blouse, die er mit einem zerknitterten, braun karrirten
Veston bedeckt.

Trägt ferner einen einfarbig grauen Stosfhnk;
kleidet sich meist dunkel und elegant.

v. Ungern-Sternberg führt einen „legalen", mehr-
fach visirten russtschrn Paß, spricht ein gutes Deutsch,
Polnisch, Russisch; Französisch rc. dagegen mit Accent, will
auch in Algier gewesen und von der Fremdenlegion dort

I über Vran entflohen sein. Er will in Basel, Skraßburg,
Leipzig, Berlin, Halle a. d.S. studirt haben, auch in
Stuttgart „bekannt sein". — Aus Petersburg er-
wiesenermaßen angeordnet, erhielt er allmonatlich 400 Fes.
vom „Credit General Liegrois" auf Ordre des „Credit
Lyonnais" ausbezahlt, außerdem postamtlich nachge-
wirsrne Geldsendungen aus Amsterdam, Paris, London,
Spanien rc., und drei Tage nach der Verhaftung seines
Komplizen Aichard Müller in Lüttich 2700 Frs. aus
Deutschland nach Maastricht gesandt.

Die Parteigenossen mögen hiermit gewarnt sein
und bei Vorkommen dem U.-St. den wohlverdienten
Tritt geben.

Baron v. Ungern-Sternberg

(genannt Richter).

Der Urheber -er letzten Dynamit-Attentate.

Verantwortlich sllr die Redaktion Georg Baßlcr in Stuttgart. — Druck und Verlag von I. H. W. Dietz in Stuttgart.
 
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