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• 1758

^on mehr denn Einem hört man's häufig sagen
Im Ton der Zorge und Bekümmerniß:

Ls geht durch's Volk in unfern heut'gen Tagen
Lin fürchterlicher, unheilbarer Biß.

Ist es ein Wunder, wenn der Nuth erschlafft?
Denn alle Kunft und alles Zinnen scheitert
An diesem Zpalt, der täglich sich erweitert
And immer finstrer auseinanderklafst.

„was soll das werdend"

Rie wurde solche Lcheidung je gesehen.

Die sich vollzogen ohne Gegenwehr;

Man will sich theils absichtlich nicht verstehen
Und wo man’s möchte, kann man es nicht mehr.
Iwei große Heere schuf der Drang der Zeit;
Zie haben hinter sich verbrannt die Zchiffe
And im Bereich der ersten Grundbegriffe
Beginnt bereits der Geister schroffer Ztreit.

Ja ja, ihr braven, trefflichen Perrücken,

Die ihr umher verdutzt und rathlos geht,

Ihr irrt zwar immer noch in wicht'gen Ztücken,
Doch eine Ahnung habt ihr, wie es steht.

Ls harrt das Volk in steter Angeduld
Des frohen Tags, da sich sein Zchicksal wende.
Des frohen Tags, der feine Prüfung ende.

Zo steht’s im Volk — doch wessen ist die Zchuld?

4^ (Line Rächt in Trianon.

von A. Otto -walster.

Aie ganze Pracht einer vom würzigen lauen West sanft durch-
wehten Sommernacht lag auf den Fluren des reichen und mächtigen
Frankreich im Jahre 1788. Der scheidende Mond, welcher bis dahin
mit magischem Lichte die
Gegend erhellt hatte, zog
sich vor der iin Osten durch
einen gedämpften Licht-
streifen sich ankündigenden
Morgensonne in stiller Ent-
sagung zurück, den Myria-
den hellfunkelnder Sterne
einstweilen die Wacht an:

Himmelszelte überlassend.

Noch aber strahlten
hunderte von Kerzen in
dem königlichen Lustschlosse
Trianon und sandten helles
Licht durch die hohen Fen-
ster hinaus in die schattigen
Park-Alleen mit ihren künst-
lich geschorenen Hecken und
Bäumen, welche so kerzen-
gerade, so ordonnanzmäßig
zugestutzt und so stumm da-
stauden, wie die Schweizer-
garde.

Und bei den: Glanz
dieser Kerzen wiegten sich
I». Tanze, halb getragen
von den Tonwellen zweier
Kapellen, die schönsten, ele-
gantesten Damen, die stolze-
sten Kavaliere, die Blüthe
des französischen Adels und
die Prinzen des Auslandes,
welche hier sich für ihren
zukünftigen Herrscherberuf
auszubilden bemüht waren.

Hier und da fanden sich zärt-
liche Gruppen zusammen,
die gesuchtesten Komplimente
ausgcbeud, um heißersehnte
Versprechungen dafür ein-
zuhandelu. Aus einer dieser
Gruppen löste sich eine
Dame los; sie war die
schönste des Festes und be-
wunderud und begehrend
lagen auf ihrem stolzen
Nacken die Blicke der Herren.

Sie bleibt vor einem ein-
samen Gaste steheu, welcher,

das Haupt auf die
den Glanz, für all
nicht zn den Löwen

„Sie sind mißtrauisch, Graf!"

Hand gestützt, kein Auge zu haben scheint für all
die Schönheiten, die ihn umgeben. Er gehört wohl
des Festes; seine Kleidung ist weder kostbar, noch

wohlgepflegt, und er ist
häßlich, gar nicht salon-
mäßig ; keine Hoffnung für
ihn, und er weiß das alles
nur zu gut.

Trotzdem bleibt die
glänzende, stolze Frauen-
geftalt vor ihm stehen und
flüstert, ihn leise mit den:
kostbaren Fächer berührend:
„Wie, noch immer
mürrisch, noch immer zer-
fallen mit der Gesellschaft,
Graf?"

„Was habe ich denn
mit dieser Gesellschaft zu
schaffen, ich, der Häßliche,
der Umnanierliche, ich, der
von: Bettelguadenbrot des
Vaters Lebende!"

„Aber der große Geist,
der ganz Frankreich irr Be-
wegung bringt", erwidert die
Dame, indem sie neben ihm
Platz nimmt.

„Geist, Geist! Wer
giebt hier etwas auf Geist?
Ist Geist Gold, ist Geist
Schönheit? Nicht einmal
Macht ist er in der Gesell-
schaft, die über ganz Frank-
reich herrscht; im Gegen-
theil, Geist ist nur eine
Anweisung auf die Bastille,
die ich bereits kennen zu
lernen die Ehre hatte."

„Sie sind mißtrauisch,
Graf!"

„O, ich bin nicht miß-
trauisch. Aber in dieser Luft
ist mir nicht wohl. Ich bin
häßlich und hier herrscht
Schönheit. Der glänzende
Schmetterling wird mich
nicht zu einer Thorheit ver-
locken. Einst war ich ein
Thor und ich habe die
Strafe dafür empfangen
und getragen."
 
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