« 1760
„Aber sieh hier", fuhr der Alte fort, „das verhärmte und ent-
kräftete Weib mit den: weinenden Knaben, beide geführt vom Profossen!
So wie das Weib sieht Frankreich selbst aus."
Der Graf trat den Nahenden
entgegen und rief:
„Wer bist Du, armes Weib,
was ist mit Dir?"
Die Gefangene richtete den
gebeugten Nacken in die Höhe,
strich das schwarze, langwallende
Haar aus dein bleichen Gesichte,
und den Frager anstarrend, rief
sic erregt:
„Was mit mir ist? Du fragst?
Bist Du nicht auch von jener
Gesellschaft, die aus dem Blut und
Schweiß des armen Volkes Gold
und Perlen pressen? So wisse denn,
ich scheue mich nicht, Dir die Wahr-
heit ins Gesicht zu schleudern. Wie
jene dort auf dem Felde habe ich
gefrohndet, geschwitzt und gehungert
und habe cs ohne Murren gethau,
weil der Pater sagte, es fei gött-
liche Ordnung. Doch das war noch
nicht genug; man fand, daß ich
schön fei, man forderte mich in den
Schloßdicnst des Marquis v.L., und
da mußte ich mehr, unendlich mehr
opfern. Als Ersatz bekam ich den
Kleinen hier und einen Bettel-
pfennig, der schnell genug meinen
Fingern entrann. Der Hunger
machte mich heute kühn genug, in
den Park zu dringen und da traf
ich ihn im zärtlichen Geplauder
mit der schönen Gräfin B. Ich
siel vor dein Marquis auf die
Kuiee, ich sichte ihn um Mitleid
an für mich, für mein Kind, fein
Kind, unser Kind, ich umfaßte
seine Kniee. Da stieß er mich mit
dem Fuße zurück und in meinen
Händen blieb eine kostbare Knie-
schnalle. „Raub!" schrie die schöne
Dame und er ließ mich durch
die herbeieilenden Wachen fammt
unseriu Kinde sortführen. Nun
schleppen sie mich fort, mit den
Leib zu mißhandeln, welcher fei-
nen Begierden gedient. Fluch, tausendfachen Fluch auf dieses verruchte
Geschlecht, diese Volksschiuder, diese Menschenfresser.aber die
Rache wird sie ereilen, süße, heilige Rache!"
„Hier, armes Weib", rief der Graf erschüttert, „nehmt dieses
Goldstück, es ist das einzige, welches ich besitze. Und Ihr, Profoß,
i laßt das Weib frei, ich verantworte es, ich bin Graf Mirabeau."
„AlleAchtung vor Euch, Graf",
entgegnete der Profoß, „aber ich habe
Befehl und kann nur der Gewalt
weichen."
„So weicht der Gewalt", er-
klärte der Graf und zog seinen
Degen.
„Ich kann mich nicht mit
Euch messen und weiche — nicht
ungern, glaubt mir, Graf Mira-
beau; auch wir, die unfreiwilligen
Werkzeuge der Gewalt, hoffen auf
Euch."
„O schön, schön!" rief der
Begleiter des Grafen. „Ihr habt
Euch wiedergefunden und seid Eurem
Volke zurückgegeben. Und wie diese
Sonne werdet Ihr Licht bringen
über das dunkle Thal von Leiden
und Schrecken, welches Frank-
reich, welches die Erde heißt, und
daun werde auch ich zur Ruhe
kommen."
„Ja, wer seid Ihr aber eigeut-
lich selbst?"
„O, Ihr kennt mich schon
lange. Ich bin Ahasver, der
ewige Jude."
„Was fingt Ihr mir da vor?
Der ewige Jude ist doch nur eine
Sage?"
„Ich bin der Geist der ge-
knechteten, entrechteten, von Ty-
rannen aller Art in ihrer Ent-
wicklung gehemmten Menschheit,
und ich trete an Jeden heran, der
Geist, Kraft und Muth genug be-
sitzt, um den die Menschheit knech-
tenden Mächten entgegenzutreten.
Auch Du wirst das Werk nicht
zu Eitde, wohl aber das Volk einen
Schritt weiter führen nach dem
Ziel, da es Herr seiner Geschicke
wird. Und dann komme auch ich
zur Ruhe, ich, Ahasver, der ewige
Jude!"
Die Gestalt des Alten ver-
schwand wie im Morgennebel zerflossen. Mirabeau aber schritt der
Morgensonne entgegen, um einen neuen Grenzstein setzen zu helfen
zwischen alter und netter Zeit, zwischen Recht und Gewalt.
,Jch bin der Geist der geknechteten Menschheit.
Zur Nichtisstellung.
Der „Süddeutsche Posüllion" behauptet in
seiner Nummer 15 des laufenden Jahrgangs in
einen: „In eigener Sache" überschriebenen Artikel,
daß der „Wahre Jacob" in seiner Mai-Nummer
„ein ganzseitiges Bild (Arbeitende Knaben in
den Schweselgruben Siziliens) gebracht, das schon
einige Monate vorher durch verschiedene illustrirte
Blätter Deutschlands die Runde machte". —
Wir haben dem entgegenzuhalten, daß das be-
treffende Bild für den „Wahren Jacob" ge-
zeichnet, geschnitten (was übrigens jeder Buch-
drucker-Lehrling sofort herausgefunden hätte) und
Monate vorher für die Mai-Nummer bestinnnt
wordctt ist. — Wenn auch andere deutsche illustrirte
Blätter sich mit dent Gegenstand beschäftigt haben,
so können wir das nur mit Freuden begrüßen.
Im Verlage von I. b). w. Oietz
Lifsagaraz>'s
KksHkljte der Kommune von 1S7t.
Illustrirte Ausgabe.
Mit einem Nachtrag:
Die Vorgeschichte und die inneren Triebkräfte
der Uonrinune, von Stanislaus Mendelson.
preis drosch. M. 2.80, gebd. M. 3.SO. Auch in \4< tzeften
k 20 Pfennig zu beziehen.
Neben gut ausgeführten Illustrationen und Porträts ist
dieser neuen Ausgabe noch ein Nachtrag aus der Feder eines
mit jenen Ereignissen durchaus vertrauten Schriftstellers bei-
gegeben worden, welcher werthvolle Aufschlüsse über die eigent-
lichen inneren Ursachen des Entstehens und Untergangs der
Kommune giebt, und, indem er dieselbe in einer ganz neuen
Beleuchtung zeigt, den Leser in den Stand setzt, sich ein rich-
tiges Ürtheil über jene große Bewegung zu bilden.
in Stuttgart ist soeben erschienen:
W. Liebknechts
8olkS'§rcmdwöktkköuch.
Siebente Auflage.
Neu bearbeitet, berichtigt und vermehrt.
624 Zeiten Vktavformat.
preis in hübschem Leinenband SR. 3.20. Auch in f3 festen
ä 20 Pfennig zu beziehen.
DaS Volks-Fremdwörterbuch ist einer vollständigen Um-
arbeitung unterzogen und um ein Drittel vermehrt worden,
so daß es jetzt allen Anforderungen, die man an ein
gnlrs Volks-Frrrndwörkrebueh |u stellen brrechkigl
ist, entspricht.
Der Preis des auch im Format vergrößerten, gut aus-
gestatteten Buches ist ein ungewöhnlich billiger.
Verantwortlich für die Redaktion Georg Baßler in Stuttgart. — Druck und Verlag von I. H. W. Dietz in Stuttgart.
„Aber sieh hier", fuhr der Alte fort, „das verhärmte und ent-
kräftete Weib mit den: weinenden Knaben, beide geführt vom Profossen!
So wie das Weib sieht Frankreich selbst aus."
Der Graf trat den Nahenden
entgegen und rief:
„Wer bist Du, armes Weib,
was ist mit Dir?"
Die Gefangene richtete den
gebeugten Nacken in die Höhe,
strich das schwarze, langwallende
Haar aus dein bleichen Gesichte,
und den Frager anstarrend, rief
sic erregt:
„Was mit mir ist? Du fragst?
Bist Du nicht auch von jener
Gesellschaft, die aus dem Blut und
Schweiß des armen Volkes Gold
und Perlen pressen? So wisse denn,
ich scheue mich nicht, Dir die Wahr-
heit ins Gesicht zu schleudern. Wie
jene dort auf dem Felde habe ich
gefrohndet, geschwitzt und gehungert
und habe cs ohne Murren gethau,
weil der Pater sagte, es fei gött-
liche Ordnung. Doch das war noch
nicht genug; man fand, daß ich
schön fei, man forderte mich in den
Schloßdicnst des Marquis v.L., und
da mußte ich mehr, unendlich mehr
opfern. Als Ersatz bekam ich den
Kleinen hier und einen Bettel-
pfennig, der schnell genug meinen
Fingern entrann. Der Hunger
machte mich heute kühn genug, in
den Park zu dringen und da traf
ich ihn im zärtlichen Geplauder
mit der schönen Gräfin B. Ich
siel vor dein Marquis auf die
Kuiee, ich sichte ihn um Mitleid
an für mich, für mein Kind, fein
Kind, unser Kind, ich umfaßte
seine Kniee. Da stieß er mich mit
dem Fuße zurück und in meinen
Händen blieb eine kostbare Knie-
schnalle. „Raub!" schrie die schöne
Dame und er ließ mich durch
die herbeieilenden Wachen fammt
unseriu Kinde sortführen. Nun
schleppen sie mich fort, mit den
Leib zu mißhandeln, welcher fei-
nen Begierden gedient. Fluch, tausendfachen Fluch auf dieses verruchte
Geschlecht, diese Volksschiuder, diese Menschenfresser.aber die
Rache wird sie ereilen, süße, heilige Rache!"
„Hier, armes Weib", rief der Graf erschüttert, „nehmt dieses
Goldstück, es ist das einzige, welches ich besitze. Und Ihr, Profoß,
i laßt das Weib frei, ich verantworte es, ich bin Graf Mirabeau."
„AlleAchtung vor Euch, Graf",
entgegnete der Profoß, „aber ich habe
Befehl und kann nur der Gewalt
weichen."
„So weicht der Gewalt", er-
klärte der Graf und zog seinen
Degen.
„Ich kann mich nicht mit
Euch messen und weiche — nicht
ungern, glaubt mir, Graf Mira-
beau; auch wir, die unfreiwilligen
Werkzeuge der Gewalt, hoffen auf
Euch."
„O schön, schön!" rief der
Begleiter des Grafen. „Ihr habt
Euch wiedergefunden und seid Eurem
Volke zurückgegeben. Und wie diese
Sonne werdet Ihr Licht bringen
über das dunkle Thal von Leiden
und Schrecken, welches Frank-
reich, welches die Erde heißt, und
daun werde auch ich zur Ruhe
kommen."
„Ja, wer seid Ihr aber eigeut-
lich selbst?"
„O, Ihr kennt mich schon
lange. Ich bin Ahasver, der
ewige Jude."
„Was fingt Ihr mir da vor?
Der ewige Jude ist doch nur eine
Sage?"
„Ich bin der Geist der ge-
knechteten, entrechteten, von Ty-
rannen aller Art in ihrer Ent-
wicklung gehemmten Menschheit,
und ich trete an Jeden heran, der
Geist, Kraft und Muth genug be-
sitzt, um den die Menschheit knech-
tenden Mächten entgegenzutreten.
Auch Du wirst das Werk nicht
zu Eitde, wohl aber das Volk einen
Schritt weiter führen nach dem
Ziel, da es Herr seiner Geschicke
wird. Und dann komme auch ich
zur Ruhe, ich, Ahasver, der ewige
Jude!"
Die Gestalt des Alten ver-
schwand wie im Morgennebel zerflossen. Mirabeau aber schritt der
Morgensonne entgegen, um einen neuen Grenzstein setzen zu helfen
zwischen alter und netter Zeit, zwischen Recht und Gewalt.
,Jch bin der Geist der geknechteten Menschheit.
Zur Nichtisstellung.
Der „Süddeutsche Posüllion" behauptet in
seiner Nummer 15 des laufenden Jahrgangs in
einen: „In eigener Sache" überschriebenen Artikel,
daß der „Wahre Jacob" in seiner Mai-Nummer
„ein ganzseitiges Bild (Arbeitende Knaben in
den Schweselgruben Siziliens) gebracht, das schon
einige Monate vorher durch verschiedene illustrirte
Blätter Deutschlands die Runde machte". —
Wir haben dem entgegenzuhalten, daß das be-
treffende Bild für den „Wahren Jacob" ge-
zeichnet, geschnitten (was übrigens jeder Buch-
drucker-Lehrling sofort herausgefunden hätte) und
Monate vorher für die Mai-Nummer bestinnnt
wordctt ist. — Wenn auch andere deutsche illustrirte
Blätter sich mit dent Gegenstand beschäftigt haben,
so können wir das nur mit Freuden begrüßen.
Im Verlage von I. b). w. Oietz
Lifsagaraz>'s
KksHkljte der Kommune von 1S7t.
Illustrirte Ausgabe.
Mit einem Nachtrag:
Die Vorgeschichte und die inneren Triebkräfte
der Uonrinune, von Stanislaus Mendelson.
preis drosch. M. 2.80, gebd. M. 3.SO. Auch in \4< tzeften
k 20 Pfennig zu beziehen.
Neben gut ausgeführten Illustrationen und Porträts ist
dieser neuen Ausgabe noch ein Nachtrag aus der Feder eines
mit jenen Ereignissen durchaus vertrauten Schriftstellers bei-
gegeben worden, welcher werthvolle Aufschlüsse über die eigent-
lichen inneren Ursachen des Entstehens und Untergangs der
Kommune giebt, und, indem er dieselbe in einer ganz neuen
Beleuchtung zeigt, den Leser in den Stand setzt, sich ein rich-
tiges Ürtheil über jene große Bewegung zu bilden.
in Stuttgart ist soeben erschienen:
W. Liebknechts
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preis in hübschem Leinenband SR. 3.20. Auch in f3 festen
ä 20 Pfennig zu beziehen.
DaS Volks-Fremdwörterbuch ist einer vollständigen Um-
arbeitung unterzogen und um ein Drittel vermehrt worden,
so daß es jetzt allen Anforderungen, die man an ein
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ist, entspricht.
Der Preis des auch im Format vergrößerten, gut aus-
gestatteten Buches ist ein ungewöhnlich billiger.
Verantwortlich für die Redaktion Georg Baßler in Stuttgart. — Druck und Verlag von I. H. W. Dietz in Stuttgart.