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Aepp, der Baßgeiger.
von k)ans Wagenruth.
llenfahrt.
weißen oder rothen Weines, wie es einem gesetzten Mann zukommt,
der sich in der Fremde recht und schlecht durchschlägt, weit ab von
der erfrischenden Herzstärkung der Münchener Heimath. Denn Sepp
war ein guter Kerl und ein Oberbayer, war ledig und hatte auch
sonst noch Niemand Uebles zugefügt.
Den holden Frauenzimmerchen ging er aus dem Wege, sinte-
mal sie ihm als gar zerbrechliche, zarte Dinger erschienen, mit
denen er als übermenschlicher Riese nicht umspringen zu können
vermeinte.
Zu seiner Baßgeige hatte er das einzige nachweisbare Liebes-
verhältniß, sie war ihm ans Herz gewachsen, und er hegte und pflegte
sie wie eine Liebste. All die seidenen Fürtüchlein, so er von seiner
seligen Frau Mutter ererbt und wohlverwahrt hatte, eins nach dem
anderen, das bunte, das weiße und das rothe, das die Selige besonders
hochgehalten, weil es ihr Herr Vater ihr auf dem Oktoberfest verehrt
hatte, kamen an die Reihe, um die Baßgeige abzustäuben, zu putzen,
zu glätten, daß sie alle Tage ausschaute wie eine Braut am Hoch-
zeitsmorgen.
Für die Hingebung des wackeren Mannes war sie auch dankbar.
Mit feinem Verständniß ging sie auf den leisesten Druck seiner Hand
ein, klang und sang in ergreifenden Baßnoten, wie sein Strich gebot,
und dröhnte klagend, wie ein gefällter Eichbaum, der die Krone zum
Sturze neigt, wenn Sepp sie in den schwarzpolirten Kasten legte und
den Schloßhaken befestigte.
Manchmal, wenn der Baßgeiger in seinem Stübchen, das viel
zu eng und zu schmal für die beiden Kolosse war, auf und ab schritt,
die Decke fast mit dem Haupte streifend, warf er einen zärtlichen
Seitenblick auf die Freundin, die wie eine Todte in ihrem Sarge lag.
Und er bückte sich, kniete nieder, öffnete den Kasten und fuhr sanft
mit den hornüberzogenen Fingerspitzen über die Saiten, die in tiefen
Tönen ihn freudig grüßten.
Das ging so fort, friedlich, harmlos, ein bischen nüchtern und
trocken zwar, aber doch anmuthig genug, Jahre lang.
Aber die Schicksalsloose waren schon gezogen, und das Ver-
hängniß des armen Musikus sollte sich schon in den nächsten Tagen
vollenden.
Wieder einmal hielt Sepp in Sturm und Drang der Aufführung
sicher und gut die Baßgeige an sich gedrückt und zählte, leise die
Lippen bewegend, seine Dreiviertel-Takte fünf, sechs, acht Minuten,
den Bogen zum Striche bereit.
Wie er so dastand im langen, gut abgebürsteten, schwarzen
Rock, ein Fels im Meer, unerschütterlich, während rings um ihn
die Arme sich regten, die Backen sich ausbliesen und der Dirigent
an seinem Pult hin- und herfuhr, wie von der Tarantel gestochen,
gewährte er das schöne, stille Bild der in sich gesammelten Ruhe
und Stärke.
Da sah er, wie zwei schwarze, funkelnde Augen ihn anschauten,
forschend, fragend, lockend. Das war eine Täuschung? Und doch
nicht: das feurige, schlanke, zierliche Geschöpf dort unten im Zuschauer-
raum betrachtete ihn und nur ihn, lächelte ihm zu, daß ihre schnee-
weißen Zähnchen blinkten, und lächelte wieder.
Himmel, war sie geschmackvoll gekleidet; es war eine Fremde, die
heute zum ersten Mal in das Kurkonzert gekommen war. Sepp
überlief es heiß und kalt.
Was wollte sie von ihm?
Die Baßgeige wurde ganz unwirsch über seine Nachlässigkeit, und
der Kapellmeister warf ihm einen bitterbösen Blick zu; Sepp hatte
zum ersten Male nicht richtig eingesetzt.
Träumerisch ging er heim, das Essen mundete ihm nicht, der
Wein schmeckte wie Galle, es litt ihn nicht zu Hause, er sah immer
nur die schönen dunklen Augen, Schlaf fand er nicht.
Sepp war verliebt.
un hob der Ka-
pellmeister den
Taktstock, kräf-
tig, gehalten,
kurz. Und voll
innerer Würde,
getragen, maje-
stätisch setzte die
Baßgeige ein.
In die schrillen
Klänge der Kla-
rinetten, das
sanfte Tönen
der Flöte, mit-
ten hinein in
die milden Stimmen der quinquilirenden Geigen, griff
ruhig und gebietend, den Kampf der Instrumente
entscheidend, das mächtigste Tonwerkzeug. Bratsche und Cello ver-
stummten erschrocken, das Staccato der Baßgeige rauschte triumphirend
über die Tonwellen des Orchesters.
Siegessicher stand Sepp, der Baßgeiger, mit der muskulösen
Linken das Instrument haltend, und führte den Fiedelbogen, den
riesigen urweltlichen Ahnen der zwerghaften Violinbogen, über die
starken, straff gespannten Saiten. Ein leises Lächeln huschte über
das rosige Antlitz des Baßgeigers, das aus rothem Bartgestrüpp
hervorschimmerte, eine Locke des buschigen Haupthaars fiel ihm in
die Stirn; der lange, breitschultrige Mann stand fest und gerade in
seinen rindsledernen Stiefeln.
Wie beim Zentauren Roß und Reiter, so waren hier Spieler
und Instrument innig verwachsen, aus Einem Stück. Wortkarg und
ernsthaft, kraftvoll und treu waren Sepp wie sein Instrument. Ueber
der niedrigen Stirn mit den derben Ausladungen nahe den Schläfen
schwebte ein leichter Hauch verborgener, halb unbewußter Wehmuth,
wie der feine, durchsichtige Nebelschleier, wenn er vom See aufsteigend
die starren Berggipfel umzieht.
Doch dessen ward Sepp nicht inne, daß er ein Stück Melancholiker
war, sondern er ging still seines Weges, zahlte mit dem Glockenschlag
Zehn jeden Ersten den fälligen Miethzins und trank sein Krüglein
I. Die Hö
Aepp, der Baßgeiger.
von k)ans Wagenruth.
llenfahrt.
weißen oder rothen Weines, wie es einem gesetzten Mann zukommt,
der sich in der Fremde recht und schlecht durchschlägt, weit ab von
der erfrischenden Herzstärkung der Münchener Heimath. Denn Sepp
war ein guter Kerl und ein Oberbayer, war ledig und hatte auch
sonst noch Niemand Uebles zugefügt.
Den holden Frauenzimmerchen ging er aus dem Wege, sinte-
mal sie ihm als gar zerbrechliche, zarte Dinger erschienen, mit
denen er als übermenschlicher Riese nicht umspringen zu können
vermeinte.
Zu seiner Baßgeige hatte er das einzige nachweisbare Liebes-
verhältniß, sie war ihm ans Herz gewachsen, und er hegte und pflegte
sie wie eine Liebste. All die seidenen Fürtüchlein, so er von seiner
seligen Frau Mutter ererbt und wohlverwahrt hatte, eins nach dem
anderen, das bunte, das weiße und das rothe, das die Selige besonders
hochgehalten, weil es ihr Herr Vater ihr auf dem Oktoberfest verehrt
hatte, kamen an die Reihe, um die Baßgeige abzustäuben, zu putzen,
zu glätten, daß sie alle Tage ausschaute wie eine Braut am Hoch-
zeitsmorgen.
Für die Hingebung des wackeren Mannes war sie auch dankbar.
Mit feinem Verständniß ging sie auf den leisesten Druck seiner Hand
ein, klang und sang in ergreifenden Baßnoten, wie sein Strich gebot,
und dröhnte klagend, wie ein gefällter Eichbaum, der die Krone zum
Sturze neigt, wenn Sepp sie in den schwarzpolirten Kasten legte und
den Schloßhaken befestigte.
Manchmal, wenn der Baßgeiger in seinem Stübchen, das viel
zu eng und zu schmal für die beiden Kolosse war, auf und ab schritt,
die Decke fast mit dem Haupte streifend, warf er einen zärtlichen
Seitenblick auf die Freundin, die wie eine Todte in ihrem Sarge lag.
Und er bückte sich, kniete nieder, öffnete den Kasten und fuhr sanft
mit den hornüberzogenen Fingerspitzen über die Saiten, die in tiefen
Tönen ihn freudig grüßten.
Das ging so fort, friedlich, harmlos, ein bischen nüchtern und
trocken zwar, aber doch anmuthig genug, Jahre lang.
Aber die Schicksalsloose waren schon gezogen, und das Ver-
hängniß des armen Musikus sollte sich schon in den nächsten Tagen
vollenden.
Wieder einmal hielt Sepp in Sturm und Drang der Aufführung
sicher und gut die Baßgeige an sich gedrückt und zählte, leise die
Lippen bewegend, seine Dreiviertel-Takte fünf, sechs, acht Minuten,
den Bogen zum Striche bereit.
Wie er so dastand im langen, gut abgebürsteten, schwarzen
Rock, ein Fels im Meer, unerschütterlich, während rings um ihn
die Arme sich regten, die Backen sich ausbliesen und der Dirigent
an seinem Pult hin- und herfuhr, wie von der Tarantel gestochen,
gewährte er das schöne, stille Bild der in sich gesammelten Ruhe
und Stärke.
Da sah er, wie zwei schwarze, funkelnde Augen ihn anschauten,
forschend, fragend, lockend. Das war eine Täuschung? Und doch
nicht: das feurige, schlanke, zierliche Geschöpf dort unten im Zuschauer-
raum betrachtete ihn und nur ihn, lächelte ihm zu, daß ihre schnee-
weißen Zähnchen blinkten, und lächelte wieder.
Himmel, war sie geschmackvoll gekleidet; es war eine Fremde, die
heute zum ersten Mal in das Kurkonzert gekommen war. Sepp
überlief es heiß und kalt.
Was wollte sie von ihm?
Die Baßgeige wurde ganz unwirsch über seine Nachlässigkeit, und
der Kapellmeister warf ihm einen bitterbösen Blick zu; Sepp hatte
zum ersten Male nicht richtig eingesetzt.
Träumerisch ging er heim, das Essen mundete ihm nicht, der
Wein schmeckte wie Galle, es litt ihn nicht zu Hause, er sah immer
nur die schönen dunklen Augen, Schlaf fand er nicht.
Sepp war verliebt.
un hob der Ka-
pellmeister den
Taktstock, kräf-
tig, gehalten,
kurz. Und voll
innerer Würde,
getragen, maje-
stätisch setzte die
Baßgeige ein.
In die schrillen
Klänge der Kla-
rinetten, das
sanfte Tönen
der Flöte, mit-
ten hinein in
die milden Stimmen der quinquilirenden Geigen, griff
ruhig und gebietend, den Kampf der Instrumente
entscheidend, das mächtigste Tonwerkzeug. Bratsche und Cello ver-
stummten erschrocken, das Staccato der Baßgeige rauschte triumphirend
über die Tonwellen des Orchesters.
Siegessicher stand Sepp, der Baßgeiger, mit der muskulösen
Linken das Instrument haltend, und führte den Fiedelbogen, den
riesigen urweltlichen Ahnen der zwerghaften Violinbogen, über die
starken, straff gespannten Saiten. Ein leises Lächeln huschte über
das rosige Antlitz des Baßgeigers, das aus rothem Bartgestrüpp
hervorschimmerte, eine Locke des buschigen Haupthaars fiel ihm in
die Stirn; der lange, breitschultrige Mann stand fest und gerade in
seinen rindsledernen Stiefeln.
Wie beim Zentauren Roß und Reiter, so waren hier Spieler
und Instrument innig verwachsen, aus Einem Stück. Wortkarg und
ernsthaft, kraftvoll und treu waren Sepp wie sein Instrument. Ueber
der niedrigen Stirn mit den derben Ausladungen nahe den Schläfen
schwebte ein leichter Hauch verborgener, halb unbewußter Wehmuth,
wie der feine, durchsichtige Nebelschleier, wenn er vom See aufsteigend
die starren Berggipfel umzieht.
Doch dessen ward Sepp nicht inne, daß er ein Stück Melancholiker
war, sondern er ging still seines Weges, zahlte mit dem Glockenschlag
Zehn jeden Ersten den fälligen Miethzins und trank sein Krüglein
I. Die Hö