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1779


gegen. Als die dritte Morgenstunde gekommen war, hob sich der Hanfe
drinnen im Saale. Ans den Ställen wurden die Gäule herbeigeführt,
denen die Hufe mit Stroh und Tuchfetzen umwickelt wareu, schnell
schwangen sich die Reisigen auf, die Zugbrücke fuhr nieder und tit
raschem Trabe eilte die Schaar dem Walde zu, an dessen südlicher Ecke
der Kreuzweg vorüberführt. Dort nrüssen die Fuhrwerke unb Lastwagen
der Kaufleute vorüberkommen, die von der Magdeburger Messe nach
Berlin Heimreisen. Schon lange hatten Schlagododro's Späher auö-
gekundschaftet, daß in dieser Nacht ein großer Zug Berliner Kaufleute
heranziehe, deren Wagen mit den köstlichsten Marktgütern beladen seien,
mit Mailändischen Seidenstoffen und Brüsseler Spitzen, mit indischen
Nägelein und Nürnberger Silberschmiedearbeiten, den auserlesenen Er-
zeugnissen fremder Kunst und Kultur. Das Geleit aber bestünde aus
einer Handvoll unzuverlässiger Stadtkuechte, die wohl beim ersten Austurin
die Pike ins Korn würfen und die reiche Beute den kühnen Glücksrittern
sammt der sicheren Aussicht auf das Lösegeld überließen, das die zitternde
Sippe der städtischen Geschlechter wohl zahlen müsse, wenn ihre Versippten
in dunklen, von Ratten be-
völkerten Verließen Schla-
gododro's säßen.

Hinter dein natürlichen
Verhau einer etwas erhöh-
ten Fichtenpflaiizung hiel-
ten die Ritter vom Strauch
und warteten. Schon
schiinmerte am Horizont
das erste goldene Roth
des Morgens, als die
schweren Wagen langsani
sich näherten, vier, sechs,
zehn, zwanzig, ein reicher
Fang. Rur fünf schlott-
rige Berittene, die ängst-
lich in die Büsche lugten,
deckten den Zug. Ein
Psiff, ein Schrei, ein
Schlag und die Mannen
Schlagododro's, als Letz-
ter Judas, der Giftzahn,
der höhnisch vor sich hin-
lächelte, fuhren über die
Krämer, daß die Funken
stoben, daß die Stadt-
knechte in heller Angst
auf der Straße, die sie
gekommen, zurückeilten.

Schon klangen die Aerte, die Leinenplane gaben nach und die köstlichen
Ballen lagen blos; sinster, mit gebundenen Händen standen die gefangenen
Kaufherren. Da jagt auf ungesatteltem Pferd der Burgwart heran und
ruft: „Verrath! Verrath! Eine gewappnete Schaar von Städtern ist
früh in die Burg gebrocheu, dieweil Ihr am Wege lagertet; sie ist in
den Händen der Bürger von Berlin." Kaum hat der Wärtel geendet,
da stürmen von allen Seiten die Städter heran mit Schwert und
Hellebarde, mit Beil und Spieß, umzingeln die Gefolgsleute Schlagododro's
und befreien die Kaufherren. Ein heftiges kurzes Gefecht, Mann gegen
Mann, Stoß gegen Stoß, Hieb gegen Hieb. Zersprengt, blutend, in
wilder Flucht rettet sich der Rest der Heckenreiter, unter ihnen Schlagododro,
in die unwegsame Sumpfgegend, wohin die Anderen ihnen nicht zu
folgen wagen. Mit geknicktem Reiherbusch und eingebeulter Sturm-
haube, ein gebrochener Mann, trabt Schlagododro inmitten seiner Ge-
treuen. Reben ihm schreitet der würdige Schloßkaplan, der Nachts,
wenn es ans Verreiten geht, die Kutte mit dem Wamnrs, den Rosen-
kranz mit den: Morgenstern vertauscht. Als der Graf aus der Lichtung,
von der das Schloß zum letztenmal sichtbar wird, sich wendet, sieht er,
wie die Flammen aus dem Thurme züngeln, wie das Feuer von Zinne zu
Zinne springt und den Barl in seine verzehrende Lohe wie iir ein blutiges
Tuch einschlägt. Der Herrensitz wird denr Erdboden gleichgemacht.

Endlich im Dickicht, nahe dem Fluß, der seirre Wellen trübselig
dahinwälzt, machen die Flüchtigen Halt. Es ist ein kreisrunder, freier

Platz. Ein mächtiger, seltsam gestalteter Fels von Menschenharrd behauen,
oben mit einer Platte gedeckt, so daß das Gairze das Aussehen eines Altars
gewinnt, bildet die Mitte. Es ist ein heidnischer Opferstein, ein Dolmen,
wo vor hundert Jahren noch der slavische Eingeborene heiinlich den Göttern
opferte, nur uiüvillig sich §unt Dienst des Kreuzes beqnemend.

Roch kämpfte die Morgendämmerung mit den Nachtnebeln itnb
dicht lagerten die Duustschichten über dem Flusse. Da erhob sich der
Desiderius, eingedenk seiner Pflicht, stieg auf die Steiufläche des Dolmen
und sprach:

„Geliebte Brüder im Stegreif!

Unsagbares Leid hat uns betroffen und gebeugt ist unser Haupt,
der Landstraße Stolz, der Hörigen Schrecken, Schlagododro. Roh griff
die schmähliche Gewalt elender Pfennigfuchser, die mit Galgen und
Rad, mit Ueberfall und Einäscherung uns in unserem gesegneten Berufe
stören, in die zarten Verhältnisse unseres Daseins ein. Aber laßt sie
uns doch Straßenräuber und Raubritter schelten, die wir doch die
Edelsten und Besten sind des Reiches. Ans unseren Gebeinen wird

einst ein Rächer erstehen,
der mit Zins und Zinses-
zins es den Nachfahren
jener Berliner heimzahlen
wird, daß sie unser.fried-
liches Leben gestört haben.
Kommen wird einst der
Herr von Plötz, der es
zeigt, daß wir nicht ge-
strauchdicbt, sondern nur
ein Chausseegeld erhoben
haben, kommen wird die
Zeit der Lebensinittelzölle,
der Liebesgabe, der Zucker-
prämie, des Friedrich-
hains.

„Ich sehe in die Zu-
kunft und will Euch die
Wege weisen, die Ihr
wandeln müßt. Laßt uns
einen Orden stiften, der
uns fest zusammenhält,
heute und in allen Zeiten."

Also sprach der fromme
Pater Desiderius und die
wackeren Gesellen spran-
gen auf, schwangen ihre
Waffen und schrieen:
„Heil! Heil! Heil!"
daß der Wald tönte und dann Hojvtoho, den alten Jägerruf. Graf
Schlagododro, der Stolz der Ritterschaft, war einverstanden und sie
gründeten in der Waldeinsamkeit den neuen Orden.

„Ha!" rief Schlagododro und sein edles Auge erglänzte in feuchtem
Schimmer, „welche Aussicht thut sich vor mir auf! Im Bettelkleid
sehe ich Dich, Giftzahn, Dich, Schnapphahn, und Euch, meine Lieblinge,
Fettig und Bilsenkraut, leisen Schritts durch die Masse eilen. Da
greift Ihr plötzlich unter den Kittel und zieht ihn hervor, die geistige
Waffe im Dienste der Ordnung, ihn, den Gummischlauch."

„Halt!" rief Desiderius, „Euer Gnaden verfallen in einen schweren
Anachronismus, Sie werden ganz ungeschichtlich und blamiren sich vor
der Oeffentlichkeit. Roch ist der Kantschukbaum unbekannt und Brasilien,
seine Heimath, muß erst noch entdeckt werden."

„Was kümmern mich solche Kleinigkeiten", entgegnete Schlagododro.
„Eine Oeffentlichkeit eristirt gar nicht. Heraus, Kameraden, mit dein
Schlauch und schlaget, prügelt, hauet, trommelt, paukt und klopfet.
Seid mir gegrüßt, geliebte Achtgroschenjungen!"

Strahlend ging nun die Sonne auf und schüttete eine Fluth rosigen
Lichtes auf die stolze Gruppe des neuen Gummischlauch-Ordens.

Judas aber, der Giftzahn, klimperte mit den dreißig Dukaten in:
Sack, die er vou dem Berliner Rath erhalten hatte, weil er seines
Herrn Anschlag rechtzeitig verrathen und rief jauchzend: „Hoch der
Gummischlauch!"
 
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