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1786 -

CvN'

Sepp, der

nelner.

von L)ans wageinuth.

II. Dir Vimmrlfahrt.

u

das grüne Geäst der blühenden Linden schüttete die
Sonne als Scheidegruß eine Fülle feurigen goldenen
Lichtes. Das fluthete durch die Zweige, färbte die
wuchtigen Stämme und spielte auf dem Wiesengras.
Ein letztes Büschel Sonnenschein flatterte durch die hagförmigen Blätter,
und dann kam mit Einem Schlage die Nacht. Die kam daher wie
ein jugendstarkes, frisches Weib, das im Brautgemach ihres Leibes
Schöne enthüllt. Tausend Nachtigallen sangen, die blaue
Himmelsdecke glich einem blitzenden Harnisch, die Ge-
stirne funkelten und der süße Blüthenduft wirbelte wie
ein Rauchopfer empor.

Auf der Rasenbank an der uralten Linde, einen
Pseilschuß vom Wirthshause, wo Sepp sein Glück ge-
funden, saß der Baßgeiger, rechter und linker Hand
flankirt von zwei Schönen. Daß es Schwestern waren,
verrieth der Schnitt der seinen Gesichter. Aber die Aehn-
lichkeit verblüffte. Dieselbe Größe, dieselben schlanken
und geschmeidigen Glieder, die kräftige Büste bei beiden
gleich lieblich gerundet und fest, bei beiden der schmale, zier-
liche Fuß. Und um die Täuschung vollkommen zu machen,
trugen die Schwestern das wellige, schwarze Haar in
kräftigen Zöpfen wie einen Fürstenreif ums Haupt ge-
schlungen; jeder kräuselten sich seidenweiche Löckchen auf
die weiße Stirne. Ihrer Stimmen Gleichklang verführte
sogar die Eltern, die eine für die andere zu versehen.

Sepp war vor Jahresfrist ins nahe Städtchen ein-
gemandert, ein gebrochener Mann. Denn er war nicht
einer von jenen leichten Hechten, die es sich in jedem
Fischteich wohl sein lassen und sich heute hier und morgen
dort einen Bissen erschnappen, sondern ein ernsthafter
Kerl, der seinen Liebeshandel mit der Fremden in aller
Gründlichkeit betrieben Hatto und eine Herzenssache wohl
mit dem Leben bezahlte. Als seine Baßgeige ihn damals

vor einen: schmählichen Ende bewahrte, hatte er sich zu-
geschworen, nie einem Wesen, das einen Unterrock und
lange Haare trüge, zu trauen, sondern in würdevoller
Schwermuth der Frau Musika allein zu dienen. Denn
diese hatte ihn nie betrogen und schmeichelte mit wohl-
lautendenrTrost die schwarzenHumore des arinenSepp.

Bis er ins Wirthshaus „zum Stern" im nahen
Weindorf hinausgepilgert war, als gesetzter Mann,
ein Thränchen jungen Mostes zu verkosten und die
Welt mit der Gelassenheit eines Weisen, der nichts
mehr zu hoffen und zu verlieren hat, beim Glase
Sauser zu betrachten. Da sah er sie, die seinen Sinn
mit einem Schlage wandelte und in dem kranken
Herzen einen neuen Frühling blühen ließ, Gretel,
des wohlständigen Sternwirths ältere Tochter. Die
Gretel, heiter wie ein Maientag, und ihre Schwester,
Küthchen, ihr leibhaftig Ebenbild, wirtheten im Haus
und Hof, als ihres Vaters, eines stattlichen Witt-
manns, treue Helferinnen.

Wer da einmal als Gast beim Becher saß, der
blieb lange hocken und kehrte bald wieder. Denn der
Schwestern Lachen scheuchte selbst dem sauertöpfischen
Griesgram die Wolken von der Stirn, und ihr an-
muthiges Wesen, ihre feinen Sitten, ihr nimmermüder
Fleiß glänzten weit schöner in der Runde als der
blanke Stern am Wirthshausschilde ihres Vaters.

So schmolz denn auch von Seppens Herz die
Eisrinde, und durch den Firnschnee seiner Melancholie
sprießte wieder das sonnige Pflänzchen zarter Nei-
gung. Und Gretel wußte diese Blume zu hegen und
zu pflegen, denn auch sie hatte den stattlichen, ruhigen und braven
Musikus lieb gewonnen. Er schaute ja ehrlich drein, sprach gut
und warmherzig, trank sein Krüglein ohne Hast bis auf den letzten
Tropfen aus und aß bedächtig seinen Teller leer, mit der Andacht
eines Menschen, der weiß, was es kostet, sich durch ehrliche Arbeit
das liebe Brot zu verdienen. — Der Verspruch kam, der Vater sagte
ja und eine gar liebe, lustige Brautzeit Hub an sür Sepp und Gretel.
 
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