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« 1787


Wen Gretel liebte, den hatte natürlich Käthchen gern. Und wenn die
Bnchfinken im Garten nicht verschwiegen gewesen wären, sie hätten
wohl von manch leisem Seufzer erzählt, wenn Käthchen einsam in der
Laube saß und sah, wie am Gartenzaun ihre Schwester mit Sepp
sponsirte. Gott Amor ist ein loser Geselle, und er hatte wohl den
Pfeil schwägerlicher Neigung, den er als verständiger Kuppler bei diesem
Liebeshandel auf Käthchens jungfräulichen Busen abgeschnellt hatte, ein
wenig zu scharf geschliffen. Der hatte sich nun festgekrallt mit seinen
Widerhaken, und in Käthchens übermüthiges Gelächter kicherte ein
bischen doch auch verhaltener Liebesschmerz hinein. Trug aber ihr
Leid, das ja nur ein Streifschuß, kein Schuß ins Schwarze gewesen
war, mit Würde und Behagen und theilte sich mit Gretel in die schöne
Aufgabe, dem schwerfälligen Sepp ein wenig von ihrer Lebhaftigkeit
mitzutheilen und ihn zu zwingen, seine unbeholfene Gutlaunigkeit, die
einem gediegenen Goldklum-
pen glich, in die leichte, sprin-
gende, klingende, rollende
Münze einer beweglichen
Freudigkeit umzuprägen.

Ging Gretel dem Sepp um
den Bart, so umschmeichelte
ihn Käthchen mit verdoppelter
Zierlichkeit, neckte ihn Käth-
chen, so lockte ihn Gretel zu
um so kühnerem Wortgefecht
heraus. So entspann sich ein
Wettkampf der Liebenswür-
digkeit, der Sepp bezauberte
und ihn antrieb, auf das
Wesen der Schwestern gelehrig
einzugehen und Gleiches mit
Gleichem zu vergelten. Gretel
hätte kein Weib sein müssen,
wenn nicht dieser Streit zwi-
schen Anmuth und Würde den
kleinen Teufel, den man Eifer-
sucht heißt, ein ganz klein
wenig geweckt und aus den
Tiefen, wo er haust, herauf-
beschworen hätte. Sepp, dem
der Umgang mit zwei so lieb-
reizenden Frauen den Blick
geschärft hatte, wußte gar
bald, woran er war. Da er
aber wohl erkannte, was für
ein fressendes Uebel die Eifer-
sucht ist, so gedachte er sein
Liebchen davon zu heilen.

Weil nun die beiden Schwe-
stern bis auf die Schleife im
Haar sich glichen, so spielte er den blöden Tölpel, der die Gretel mit dem
Käthchen, das Käthchen mit der Gretel fortwährend verwechselte, die
Schwägerin als holde Braut in die Arme schloß und herzhaft küßte,
was das böse Käthchen sich ruhig gefallen ließ, ohne den süßen Jrr-
thum aufzuhellen, während er der verwunderten Braut mit der Freund-
lichkeit eines wohlgesinnten Schwagers die vor Zorn zitternde Hand
drückte. Nachdem so Gretel umsonst das Mäulchen gespitzt hatte und
nun mit bebender Lippe und blitzendem Auge von dem Verräther
Rechenschaft forderte, that er zu Tode erschrocken, bat der nichts weniger
als erzürnten Käthe seine Aufdringlichkeit ab und holte bei dem rasch
versöhnten Liebchen das Versäumte mit Zins und Zinseszins nach.
Gretchen, die nicht ahnte, daß auch ihrem Sepp die Männertücke ver-
stohlen im Nacken saß, verzieh, weil sie nicht glauben mochte, daß ihr
Musikus, in allen Züchten und Ehren, ein Schelm war. Wenn es sie auch
recht verdroß, daß Sepp mehr als einmal die Schwägerin haschte, wenn
sie im Garten scherzten und sich jagten, so schwieg sie doch klüglich und
nahm sich vor, sobald sie nur erst Sepps Frau geworden wäre, durch
diplomatische Weiberklugheit ernsthaften Schaden zu verhüten.

Manchmal trieb er's freilich recht arg, besonders wenn der Abend
hereinbrach und Sepp mit eiserner Ruhe behauptete, in der Dunkelheit
seien sie gar nicht auseinander zu kennen, und bald Gretel, bald Käthchen
herzte und küßte. Bei der Aehnlichkeit in stockfinsterer Nacht gäbe es
keine Unterscheidungszeichen, und er sei doch nicht dafür verantwortlich,
daß die zwei schönsten Mädchen der Welt sich aufs Haar glichen, er
sei vielmehr zu bedauern, da ihn die Gewissensbisse nach jeder Ver-
wechslung quälten, und er gar nicht genug thun könne, um den Schaden
wieder gut zu machen. Als er dies an jenem Abend, an dem unsere
Geschichte anhebt, ernsthaft auseinandersetzte und Käthchen statt Gretel
um die Taille faßte, war Gretels Entschluß gefaßt. Acht Tage daraus,
am Hiinmelfahrtstage, sollte die Hochzeit sein.

Die Hochzeitsgäste schmausten, als am Thor der leichte Korbwagen
vorfuhr, der das junge Paar in die Stadt führen sollte. Die Glück-
lichen enteilten, begleitet von
Käthchen, das sie bis zum Ge-
fährt brachte und dann rasch
ins Haus zurückfloh, wo sie
erst ein wenig weinte, um sich
dann in alter Lustigkeit die
Wehmuth vom Herzen zu la-
chen. In den schönen Früh-
lingstag hinein fuhr das junge
Paar. Neben Sepp, der selber
das Gespann lenkte, saß zärt-
lich angeschmiegt das junge
Weib. Bald bogen sie ein in
die Straße, die auf beiden
Seiten vom Wald umsäumt,
sich in sanfter Krümmung hin-
zieht. Am Straßenrain blüh-
ten Kirsch- und Apfelbäume,
ein Meer von weißen und
rosa Blüthen, das vom West
bewegt, wallte. Der Blüthen-
schnee rieselte herab und blitzte
in den schwarzen Zöpfen der
jungen Frau, er stiebte auf
Sepps Löwenmähne und
schlüpfte in seinen wallenden
Bart.

An der Lichtung, da wo
ein krystallklarer Quell mun-
ter plätscherte, hielt Sepp an,
band den Rappen an einen
Apfelbaum, und im Schatten
schlanker Buchen lagerte er
sich mit seinem jungen Weibe.
Trefflich mundete der Imbiß
und goldig funkelte der Wein
im Glase. Bunte Falter spielten um ihr Haupt, eine Drossel tirilirte,
die Grillen zirpten und leise rauschten die Blätter. Silberne Wölkchen
jagten sich am Himmel, die Maienglöckchen dufteten, und aus der
Ferne klang das melodische Geläute der Glocken. Ein himmlischer
Friede ging durch die Natur, das Erdrund athmete Liebe; und in
seligem Vergessen fanden sich die Lippen der Liebenden.

Aus dem süßen Traum erwachten sie und lachten sich beide
freudig an. Dann schlang Sepp seinen Arm um Gretel und beich-
tete ihr, daß er von Anfang an mit dem Späherblick der Liebe die
Schwestern unterschieden habe, seinen Schatz aber durch das Ver-
wechslungsspiel von der bösen Eifersucht habe heilen wollen. Zuerst
begehrte Gretel trotzig auf. Als sie jedoch in ihres Mannes Augen
schaute, da sah sie den Schatz von Liebe und Treue, den sein gutes
Herz für sie barg.

„Aber, mein Sepp, wie hast Du uns im Dunklen unterscheiden
können." Da lächelte Sepp und sprach: „Weißt Du nicht. Liebste, daß
Käthchen unterm linken Ohr ein Wärzchen hat, das sie als Muttermal
mit auf die Welt brachte? Das merkte man doch beim Küssen."

Trefflich mundete der Imbiß und goldig funkelte der Wein im Glase.

c ^ y_•

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