1794 *
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Wer Anöern eine Gruße gräbt —
Humoreske von F. T.
§ war am Vorabend der Reichs-
tagswahl.
Das nationalliberal-kon-
servative Wahl-Komite von
Duselbach hielt eben seine
letzte Sitzung ab. Das Konnte
bestand aus dem Herrn Ritter-
gutsbesitzer Rollmops, dem
Herrn Bürgermeister, dem
Herrn Psarrer und dem Herrn
Lehrer. Den Vorsitz führte
Herr Rollmops, eine gewich-
tige Persönlichkeit sowohl was
seinen Einfluß im Orte, als
auch was das wirkliche Ge-
wicht seines gewaltigen Kör-
pers anlangte, denn er wog
netto — das heißt ohne sein
großes Portemonnaie und alle
die übrigen schönen Sachen,
die er an seinem Leibe trug
— seine dreihundert Pfund.
Leider erkannte aber bisher
die schnöde Welt die Größe des strebsamen Rittergutsbesitzers nicht
nach Gebühr an, denn wenn auch die Bauern im Dorfe nach dessen
Pfeife tanzten, so fehlte doch noch immer die Quittung des Staates
über seine unschätzbaren Verdienste um die öffentliche Wohlfahrt in
Gestalt eines — Ordens.
Der Herr Rittergutsbesitzer Rollmops seufzte, wenn er dieser
traurigen Thatsache gedachte; doch sofort gewann sein Selbstbewußtsein
wieder die Oberhand, durfte er doch bestimmt von dem siegreichen
Ausgang der diesmaligen Wahl die Erfüllung seines heißesten Wunsches
erwarten. Kam es doch diesmal vielleicht auf wenige Stimmen bei
der Entscheidung an, da sich in dem halb industriellen, halb ländlichen
Wahlkreise die Anhänger des Kartells und der sozialdemokratischen
Partei ziemlich die Wage hielten, und für seine Bauern konnte er
einstehen. Was er sagte, das thaten sie, und wen er ihnen vorschlug,
der wurde gewählt.
Dank seiner eifrigen Thätigkeit war es den bösen Sozialdemo-
kraten noch nicht gelungen, in Duselbach Proselyten zu machen
— nur ein einziges räudiges Schaf zählte er in seiner sanftmüthigen
„reichstreuen" Herde, den Schneider Oswald Müller — aber dessen
eine Stimme machte das Kraut glücklicherweise nicht fett. Und zu
den Komitemitgliedern gewendet sprach Rollmops:
„Die noch verbleibende Zeit zum Handeln ist kurz, sehr kurz,
aber ich glaube, es ist auch
bereits alles Erforderliche ge-
schehen. Morgen, bevor die
Wahl beginnt, werde ich mei-
nen Diener Jakob mit Stimm-
zetteln zu jedem Wühler schicken,
mit der Mahnung, diesen Zettel
unter "allen Umständen abzu-
geben, damit ja kein Jrrthum
vorkommt. Den Jakob werde
ich genau in diesem Sinne in-
struiren; wenn er früh auf-
bricht, kann er rechtzeitig durch-
kommen. Es fitib ja nur etwa
sechzig Wähler zu besuchen. Die
Stimmzettel habe ich ordnungs-
gemäß falzen lassen und vor-
läufig unserem Wirth in Auf-
bewahrung gegeben."
Damit empfahl sich der Herr Rittergutsbesitzer, und auch die
übrigen Komitemitglieder schritten dem Dorfe zu.
Eine Stunde mochte wohl vergangen sein, als der alte Jakob,
langsam und behaglich dicke Rauchwolken aus seiner kurzen Pfeife
saugend, die Gaststube der Schänke betrat. In derselben waren nur
noch zwei Gäste anwesend, der Schneider Müller, der erst spät von
einem Geschäftsgänge nach einem benachbarten Dorfe zurückgekehrt
war, und ein junger Mann, der ein sehr lustiges Wesen hatte, und
den Jakob zum ersten Male im Dorfe sah.
Der alte Jakob bestellte ein Glas Bier und ließ sich dann mit
wichtiger Miene an dem Tische, an welchem Müller und der Fremde
saßen, nieder, nachdem ihm der Wirth vorher die Stimmzettel ein-
gehändigt hatte.
„Na, Schneider", begann er ironisch, „Ihr macht ja schon heute
ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter? Ihr habt wohl so eine Art
Ahnung, daß die Geschichte morgen schief ausfällt, he?"
„Abwarten", erwiderte der Schneider ruhig.
„Ja, abwarten", höhnte Jakob. „Sieh' her, Schneider", fuhr
er nach einer kleinen Pause zutraulich fort, „hier sind die Stimm-
zettel und die werden alle abgegeben. Ich trage sie morgen früh
im Dorfe herum und Alle werden kommen, wie es mein Herr be-
stimmt hat."
Müller machte große Augen und nickte seinem Begleiter zu,
worauf dieser Schnaps und Bier bestellte mit der Erklärung, wenn
die Sache so stünde, so könne man schon heute eine Vorfeier des Wahl-
siegs halten.
Jakob war damit einverstanden, denn die frohe Aussicht auf
eine freie Zeche übte auf seinen natürlichen Durst eine gewaltige
Anziehungskraft.
Bei jeder neuen Lage, die Müller's Begleiter bestellte, wuchs die
Lustigkeit, so daß der alte Jakob schließlich auch die angestimmte
Marseillaise mitsang und in seiner Seligkeit gar nicht darauf achtete,
daß Müller eine zeitlang aus dem Lokal verschwand.
Gleich nach seiner Wiederkehr forderte der Schneider zum baldigen
Aufbruch auf.
Jakob nahm herzlichen Abschied von den Beiden, barg hierauf
sein Packet Stimmzettel in der Rocktasche und schritt ziemlich unsicher
dem Rollmops'schen Hofe zu.
* *
*
Die Wahl hatte ihren Anfang genommen. Erwartungsvoll saßen
der als Wahlvorsteher fungirende Rollnwps, sowie die zu Beisitzern
ernannten Herren, der Lehrer und ein alter Gutsbesitzer, hinter dem
Tische, worauf die Urne stand. Mit Interesse wurden die eingehenden
Zettel entgegengenommen — auf wen sie lauteten, wußte man, wenn
auch durch die Schlauheit der
Sozialdemokraten der bekannte
Coup, die Stimmzettel der eige-
nen Partei durch besondere
Färbung oder Stärke des Pa-
piers kenntlich zu machen, aus
dem Felde geschlagen worden
war.
Die Sozialdemokraten waren
nämlich noch in letzter Stunde
mit ganz gleichen Zetteln auf
dem Schauplatze erschienen —
eine Thatsache, welche die
Herren Konservativen sowohl
wie die Herren Nationallibe-
ralen nicht wenig ärgerte. Aber
ändern ließ sich nun einmal
an der ganzen Sache leider
nichts mehr!
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Wer Anöern eine Gruße gräbt —
Humoreske von F. T.
§ war am Vorabend der Reichs-
tagswahl.
Das nationalliberal-kon-
servative Wahl-Komite von
Duselbach hielt eben seine
letzte Sitzung ab. Das Konnte
bestand aus dem Herrn Ritter-
gutsbesitzer Rollmops, dem
Herrn Bürgermeister, dem
Herrn Psarrer und dem Herrn
Lehrer. Den Vorsitz führte
Herr Rollmops, eine gewich-
tige Persönlichkeit sowohl was
seinen Einfluß im Orte, als
auch was das wirkliche Ge-
wicht seines gewaltigen Kör-
pers anlangte, denn er wog
netto — das heißt ohne sein
großes Portemonnaie und alle
die übrigen schönen Sachen,
die er an seinem Leibe trug
— seine dreihundert Pfund.
Leider erkannte aber bisher
die schnöde Welt die Größe des strebsamen Rittergutsbesitzers nicht
nach Gebühr an, denn wenn auch die Bauern im Dorfe nach dessen
Pfeife tanzten, so fehlte doch noch immer die Quittung des Staates
über seine unschätzbaren Verdienste um die öffentliche Wohlfahrt in
Gestalt eines — Ordens.
Der Herr Rittergutsbesitzer Rollmops seufzte, wenn er dieser
traurigen Thatsache gedachte; doch sofort gewann sein Selbstbewußtsein
wieder die Oberhand, durfte er doch bestimmt von dem siegreichen
Ausgang der diesmaligen Wahl die Erfüllung seines heißesten Wunsches
erwarten. Kam es doch diesmal vielleicht auf wenige Stimmen bei
der Entscheidung an, da sich in dem halb industriellen, halb ländlichen
Wahlkreise die Anhänger des Kartells und der sozialdemokratischen
Partei ziemlich die Wage hielten, und für seine Bauern konnte er
einstehen. Was er sagte, das thaten sie, und wen er ihnen vorschlug,
der wurde gewählt.
Dank seiner eifrigen Thätigkeit war es den bösen Sozialdemo-
kraten noch nicht gelungen, in Duselbach Proselyten zu machen
— nur ein einziges räudiges Schaf zählte er in seiner sanftmüthigen
„reichstreuen" Herde, den Schneider Oswald Müller — aber dessen
eine Stimme machte das Kraut glücklicherweise nicht fett. Und zu
den Komitemitgliedern gewendet sprach Rollmops:
„Die noch verbleibende Zeit zum Handeln ist kurz, sehr kurz,
aber ich glaube, es ist auch
bereits alles Erforderliche ge-
schehen. Morgen, bevor die
Wahl beginnt, werde ich mei-
nen Diener Jakob mit Stimm-
zetteln zu jedem Wühler schicken,
mit der Mahnung, diesen Zettel
unter "allen Umständen abzu-
geben, damit ja kein Jrrthum
vorkommt. Den Jakob werde
ich genau in diesem Sinne in-
struiren; wenn er früh auf-
bricht, kann er rechtzeitig durch-
kommen. Es fitib ja nur etwa
sechzig Wähler zu besuchen. Die
Stimmzettel habe ich ordnungs-
gemäß falzen lassen und vor-
läufig unserem Wirth in Auf-
bewahrung gegeben."
Damit empfahl sich der Herr Rittergutsbesitzer, und auch die
übrigen Komitemitglieder schritten dem Dorfe zu.
Eine Stunde mochte wohl vergangen sein, als der alte Jakob,
langsam und behaglich dicke Rauchwolken aus seiner kurzen Pfeife
saugend, die Gaststube der Schänke betrat. In derselben waren nur
noch zwei Gäste anwesend, der Schneider Müller, der erst spät von
einem Geschäftsgänge nach einem benachbarten Dorfe zurückgekehrt
war, und ein junger Mann, der ein sehr lustiges Wesen hatte, und
den Jakob zum ersten Male im Dorfe sah.
Der alte Jakob bestellte ein Glas Bier und ließ sich dann mit
wichtiger Miene an dem Tische, an welchem Müller und der Fremde
saßen, nieder, nachdem ihm der Wirth vorher die Stimmzettel ein-
gehändigt hatte.
„Na, Schneider", begann er ironisch, „Ihr macht ja schon heute
ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter? Ihr habt wohl so eine Art
Ahnung, daß die Geschichte morgen schief ausfällt, he?"
„Abwarten", erwiderte der Schneider ruhig.
„Ja, abwarten", höhnte Jakob. „Sieh' her, Schneider", fuhr
er nach einer kleinen Pause zutraulich fort, „hier sind die Stimm-
zettel und die werden alle abgegeben. Ich trage sie morgen früh
im Dorfe herum und Alle werden kommen, wie es mein Herr be-
stimmt hat."
Müller machte große Augen und nickte seinem Begleiter zu,
worauf dieser Schnaps und Bier bestellte mit der Erklärung, wenn
die Sache so stünde, so könne man schon heute eine Vorfeier des Wahl-
siegs halten.
Jakob war damit einverstanden, denn die frohe Aussicht auf
eine freie Zeche übte auf seinen natürlichen Durst eine gewaltige
Anziehungskraft.
Bei jeder neuen Lage, die Müller's Begleiter bestellte, wuchs die
Lustigkeit, so daß der alte Jakob schließlich auch die angestimmte
Marseillaise mitsang und in seiner Seligkeit gar nicht darauf achtete,
daß Müller eine zeitlang aus dem Lokal verschwand.
Gleich nach seiner Wiederkehr forderte der Schneider zum baldigen
Aufbruch auf.
Jakob nahm herzlichen Abschied von den Beiden, barg hierauf
sein Packet Stimmzettel in der Rocktasche und schritt ziemlich unsicher
dem Rollmops'schen Hofe zu.
* *
*
Die Wahl hatte ihren Anfang genommen. Erwartungsvoll saßen
der als Wahlvorsteher fungirende Rollnwps, sowie die zu Beisitzern
ernannten Herren, der Lehrer und ein alter Gutsbesitzer, hinter dem
Tische, worauf die Urne stand. Mit Interesse wurden die eingehenden
Zettel entgegengenommen — auf wen sie lauteten, wußte man, wenn
auch durch die Schlauheit der
Sozialdemokraten der bekannte
Coup, die Stimmzettel der eige-
nen Partei durch besondere
Färbung oder Stärke des Pa-
piers kenntlich zu machen, aus
dem Felde geschlagen worden
war.
Die Sozialdemokraten waren
nämlich noch in letzter Stunde
mit ganz gleichen Zetteln auf
dem Schauplatze erschienen —
eine Thatsache, welche die
Herren Konservativen sowohl
wie die Herren Nationallibe-
ralen nicht wenig ärgerte. Aber
ändern ließ sich nun einmal
an der ganzen Sache leider
nichts mehr!