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« 1795

Einer nach dem andern erschienen im Laufe des Tages die
Wähler im Wahllokal, ganz zuletzt der Schneider Müller, der von
einigen der in der Stube sitzenden Nationalliberalen mit ironischen
Zurufen und Bemerkungen empfangen wurde.

„Na, Müller", rief einer der Männer, „'s wird bald sechs Uhr
schlagen, kannst gleich hier bleiben, um die Nachricht Eures Sieges
zu empfangen."

„Euer Kandidat ist doch gewiß einstimmig gewählt worden",
wiederholte ein Zweiter zum so und so vielten Male den bekannten
Wahlwitz.

„Abwarten", sagte der Schneider, und nahm ruhig an einem der
Tische Platz.

Jetzt schlug es sechs Uhr vom Kirchthurme, — alle Anwesenden
zählten andächtig nach, — mit gespanntester Aufmerksamkeit begann
die Auszählung der Stimmen.

Herr Rollmops rieb sich vergnügt die Hände — es waren vier-
undsechzig Stimmen abgegeben worden, sämmtliche Wähler hatten
gewählt, in der Urne lagen
also zuversichtlich dreiund-
sechzig Kartellzettel und ein
sozialdemokratischer.

Welch herrlicher Erfolg
war erzielt!

Man zählte rasch und
nun begann unter allge-
meinem Stillschweigen die
Verlesung.

Erster Zettel: Bebel —

Alles horchte auf.

„Aha, der Zettel des
Schneiders hat obenauf ge-
legen", dachte man all-
gemein.

ZweiterZettel: Bebel —

Der Herr Ritterguts-
besitzer fuhr entsetzt empor.

Befand sich noch ein Sozialdemokrat im Dorfe, ohne daß man
es wußte?

Dritter Zettel — alle Anwesenden lauschten mit angehaltenem
Athem: Bebel —

Himmel und Hölle! Rollmops blickte erstarrt um sich, er
konnte kaum noch die Namen hörbar herausbringen.

Vierter Zettel: Bebel —

Die Aufregung wurde allgemein — Alles stand auf — wer in
aller Welt waren nur die Attentäter?

Aber die Thatsache stand fest, Bebel, Bebel und wieder Bebel,
so und nicht anders kam es aus der Urne hervor. Die Stimme
des Wahlvorstehers zitterte förmlich, wenn sie den verhaßten Namen
aussprechen mußte.

Endlich war der letzte Zettel gelesen — dreiundsechzig für Bebel,
einer für Bennigsen!

Erschöpft, außer sich sank Herr Rollmops in seinen Stuhl zurück
und trocknete sich mit dem seidenen Taschentuche den in großen
Tropfen von seiner Denkerstirn perlenden Schweiß.

Alle seine stolzen Hoffnungen waren zertrümmert — der Orden
in nebelhafte Weite gerückt — sein Ruf war vernichtet, er war
unwiderruflich blamirt.

Wie konnte das geschehen?

Er kannte doch seine Leute so gut und die Sozialdemokraten
hatten nicht einmal eine Versammlung abhalten können; — verstört
blickte er um sich.

Aber er mußte sich fassen, — alle Anwesenden schauten nach ihm,
auch der Schneider Müller nickte ihm mit freundlichem Lächeln zu; —
man erwartete, daß er spreche und doch schnürte ihm die Wuth fast
den Hals zu.

„Meine Herren", stotterte er endlich, „Sie Alle werden mit mir
dieses traurige Resultat, durch welches unser Ort für alle Zeiten
blamirt ist, aufs Tiefste beklagen. Die Sache kann gar nicht mit
rechten Dingen zugehen. Trotzdem" —

Er konnte nicht weiter sprechen. Die Stimme versagte ihm.

Da trat plötzlich einer der Wähler, der Barbier des Dorfes, auf
ihn zu.

„Aber, Herr Rollmops", sagte dieser, „wie können Sie ein anderes
Resultat ernvarten, wenn Sie den Bauern die Stimmzettel für Bebel
mit der Aufforderung, ja keinen Anderen zu wählen, selbst ins Haus
schicken?"

„Wer? Ich?" schrie der Rittergutsbesitzer kochend vor Wuth.
„Mensch, sind Sie verrückt?"

„Mit Nichten", versetzte der Barbier. „Fragen Sie nur die
Anderen hier —"

Einige andere Wähler traten herzu und bestätigten die unerklär-
liche Thatsache.

Rollmops stand vor
einem Räthsel.

„Jakob", schnaubte er
zornig seinen Diener an,
„das ist wieder einmal ein
dummer Streich von Dir.
Was für Zettel hast Du
Esel denn unter den Bauern
im Dorfe ausgetragen?"

„Die mir der Wirth
übergeben hat — ganz nach
dem Befehl des gnädigen
Herrn", stotterte der alte
Jakob, der gar nicht wußte,
wie ihm geschah.

„Es ist zum Rasend-
werden", klagte der unglück-
liche Wahlvorsteher. „Was
nun thun?"

Ja, was nun machen?
Nichts konnte man thun —
die Botschaft mußte wohl
oder übel nach der Bezirks-
hauptstadt gemeldet werden
und Rollmops mußte seinen
Namen, was er mit zitternder, unsicherer Hand that, unter das Wahl-
protokoll setzen.

Die Sache kam aber noch viel schlimmer, als der Ritterguts-
besitzer in seinen schlimmsten Träumen erwartet hatte.

Der sozialdemokratische Kandidat wurde nämlich mit einer Majorität
von wenigen Stimmen gewählt, ein Resultat, das nicht erzielt worden
wäre, wären seine Bauern nicht die Opfer jenes verhängnißvollen
Jrrthums geworden.

O, wie jammerte Rollmops, wie schimpften und raisonnirten die
„Patrioten".

Der Rittergutsbesitzer wagte gar nicht mehr auszugehen, er schämte
sich vor allen Leuten. Das hals ihm aber nichts, seinem Schicksale
konnte er sich dadurch nicht entziehen. Der Orden war seinem leeren
Knopfloch ferner als je und ist es auch geblieben. Möchte es allen
Rollmöpsen in der Welt — und deren giebt es viele — geradeso
ergehen.

Und die Stimmzettel für Bebel, werden unsere Leser fragen, wie
kamen die in die Hände der Wähler?

Wir können darauf keine Antwort geben, wohl aber der Schneider
Müller und dessen lustiger Begleiter, die am Tage vor der Wahl mit
Jakob den Wahlsieg vorweg feierten.
 
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