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* 1803 »

„Diese „Hoffnung' dürfte sich wohl erfüllen", erwiderte Groß.

„Gut, dann werde ich seine Bekanntschaft machen, um ihm auf den
Zahn zu fühlen."

„Und Sie trauen sich zu, einen Polizeispion überlisten zu können?"
fragte Groß zweifelnd.

Francesko lachte. „Nichts leichter als das! Die scharfsinnigen und
hochintelligenten Detiktivs existiren nur in den Kriminalromanen. In
Wirklichkeit finden Leute von so hoher Intelligenz und Thatkraft rühm-
lichere Aufgaben und geben sich zu solchem Handwerk nicht her; unsere
Alltagsspitzel sind dumm und frech, sie haben höchstens aus ihrem dunklen
Vorleben eine gewisse Spitzbubenschlauheit mitgebracht, die nicht weit
reicht, und sie sind um so ungefährlicher, da sie sich für überaus klug
halten."

Hermann Groß mußte dieser Theorie auf Grund eigener Erfahrungen

beistimmen; die Freunde verabredeten noch Einiges und trennten sich in

vergnügter Stimmung. * *

*

Der folgende Tag war ein Sonntag. Das Leben und Treiben am
Domplatz und in
der Gallerte Vit-
torio Emanuele,
diesen großen Ver-
kehrszentren der
Einheimischen und
Fremden, war
enorm.

„Wird uns un-
ser Spitzel hier
wohl finden?"
fragte Groß sei-
nen Freund, wäh-
rend Beide, Zi-
garren rauchend,
vor dein Cafö
Biffi saßen, wel-
ches den Mittel-
punkt der Gallerie
bildet.

„Seien Sie un-
besorgt, die Frem-
den pflegt man
hierzu suchen", be-
merkte Francesko.

„Nichtig, da ist
er schon!" rief
Groß nach einer
Weile.

Der erwartete
Spitzel stand ge-
genüber an einem Schaufenster, anscheinend in die Betrachtung von
Marmor-Statuetten versunken, dann umkreiste er in weitem Bogen die
Tischreihen, welche vor den Cafelokalitäten aufgestellt waren. Endlich
tauchte er ganz in der Nähe auf, verschwand aber sofort wieder im
Menschengewimmel.

„Jetzt hat er uns gesehen", sagte Groß. Beide Freunde unterhielten
sich eifrig und tauschten Zeitungsblätter aus, deren Inhalt sie anscheinend
diskutirten.

„Und fetzt gehen Sie", sagte Francesko, „dann wird er sich nähern,
um mich über Sie auszuforschen."

Groß erhob sich, Beide verabschiedeten sich nur flüchtig, wie Leute,
die sich eben erst kennen gelernt haben, und Francesko vertiefte sich in
eine Zeitung.

„E permesso ?“ fragte alsbald der Spitzel, der sich anschickte, den
leer gewordenen Stuhl zu besetzen.

„Nehmen Sie nur ruhig Platz", sagte Francesko.

„Ah, Sie sind Deutscher", erwiderte Jener, der heute keine Veran-
lassung hatte, seine Kenntniß des Deutschen zu verleugnen, sondern im
Gegentheil Anknüpfungspunkte zu einem Gespräch suchte.

„Ich bin kein Deutscher, wohl aber sind Sie einer", antwortete Fran-
cesko ruhig.

„Diese Mißgeburt," rief er, „drehen Sie einmal das Rückgrat."

Der Fremde horchte verblüfft auf. „Woher wissen Sie das?" entfuhr
ihm die Frage.

„Nun, so viel Menschenkemrtniß können Sie mir, einem italienischen
Polizeibeamten, schon Zutrauen", äußerte Francesko gemüthlich.

„Sie sind Polizeibcaniter?" fragte der Schwarze etwas beunruhigt.

„Ja — allerdings nur in politischen Missionen", bemerkte Francesko,
der Schauspieler, der seine gegenwärtige Rolle mit Geschick erfaßte; „und"
— fuhr er schlau lächelnd fort — „ich würde Ihnen das nicht ohne Weiteres
sagen, wenn ich in Ihnen nicht einen Kollegen vermuthete."

„Aber, nrein Herr", stotterte der Andere, „Sie überraschen mich —"

„Schon gut, wir kennen unsere Leute", erklärte Francesko. „Ich
kann Ihnen vielleicht behilflich sein, wenn ich erfahre, was Sie bei uns
wollen. Sie kommen aus Berlin?"

„Allerdings", erwiderte der Schwarze zögernd. Er wurde miß-
trauisch und es schien ihm, als habe er sich überrumpeln lassen. Mit
forschenden Blicken streifte er das glattrasirte Antlitz Franeesko's, aber er
faild in dessen Züge,: nur den Ausdruck kühler, vornehmer Ruhe. Fran-
cesko hatte inzwischen den Fremden ebenfalls unauffällig gemustert und

seinem geübten
Blicke entging es
nicht, daß das
schwarzwollige
Haar desselben
nichts weiter als
eine Perrücke war.
„Also ein Gau-
ner", dachte er,
„schallen wir, wer
sich unter dieser
Perrücke ver-
birgt." Laut be-
ilierkte er gleich-
müthig:

„Sie verfolgen
eine bestilnmte
Spur?"

„Das nun ge-
rade nicht", sagte
der Schwarze et-
waszurückhaltend.
„Sie werden ja
wissen, es handelt
sich jetzt hauptsäch-
lich darum, Ma-
terial zu inter-
nationalein Vor-
gehen gegen die
Anarchisten zu
sammeln."

„Ganz recht - haben Sie auch Anarchisten in Berlin?" erwiderte
Franzesko.

Der Andere lächelte pfiffig. „Um die Anarchisten scheeren wir uns
wenig, die sind bei uns nicht der Rede werth. Aber die verwünschten
Sozialdemokraten niachen uns zu schassen, und es märe ein Verdienst,
wenn nian ihnen iilternationale Beziehungen zu den Anarchisten Nach-
weisen und sie damit packen könnte."

„So, so", sagte Francesko, ohne weitere Fragen zu stellen.

Der Schwarze schwieg eine Weile, dann fragte er beiläufig:

„Kannten Sie den Herrn, der soeben hier an Ihrem Tische saß?"

Francesko schien sich einen Augenblick zu besinnen. „Ah so — das
war ein harmloser Fremder, der sich über hiesige Theaterverhältnisse und
Sehenswürdigkeiten erkundigte."

„Sie irren — es ist ein bekannter Berliner Sozialdemokrat", rief
der Spitzel triumphirend.

Der Schauspieler lächelte ungläubig. „Wenn das Ihre Fährte ist,
werden Sie wohl auf km Holzwege sein; der Mann bat mich nur um
einen Rath, in welches Theater er heute Abend gehen solle."

„Verstellung!" rief der Spitzel. „Sagen Sie mir, wo hier die
Anarchisten ihre Zusammenkünfte abhalten, dann werde ich den Mann
schon treffen."
 
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