1806 —-
Ein spöttischer Zug umzog Francesko's Mund. „Gut", sagte er,
„gehen Sie heute Abend ins Albergo Matteo, die ziveite Seitenstraße links
vom Corso Garibaldi, dort in: Klubzimmer versammeln sich die Leute,
die Sie suchen; dieselben geben sich für Artisten aus, um nicht aufzufallen,
weil auch die „Artisten" ein internationales Völkchen sind. Führen Sie
sich dort geschickt ein, dann können Sie Ihr Heil versuchen."
Der Spitzel dankte, notirte die Adresse und ging. „Jetzt Hab' ich
Dich", lachte Franeesko hinter ihm her.
* *
Es war gegen neun Uhr Abends, als unser Spitzel das Domizil der
angeblichen Anarchisten aufsuchte. Er hatte sich in einen schlechten Anzug
gehüllt, wie er ihu früher in Berlin bei den Arbeitslosen-Versammlungen
getragen. Ungenirt betrat er das bezeichnete Lokal und bestellte einen
Schoppen Wein. Es waren nur wenige Personen anwesend, die aber
elegante Kleidung trugen, so daß der verkleidete Spitzel unangenehm
auffiel.
„Was ist denn das für eine
Jammergestalt?" fragte der Her-
kules eines Zirkus den Komiker
des Alhambra-Theaters. Denn
man befand sich nicht anscheinend,
sondern wirklich im Verkehrslokal
der „Artisten", d. h. der Seil-
tänzer , Bauchredner, Zauber-
künstler re.
„Still", sagte der Komiker,
„den Kerl hat der Kollege Fran-
ccsko an uns adressirt, damit
wir ihn gründlich abführen. Es
ist ein Spion, der irgendwoher
aus dem Auslande koinmt und
irgendwelche schmutzige Zwecke
verfolgt."
„Also giebt es ein Gau-
diunr", lachte der Herkules, und
rief dem Fremden mit Donner-
stimme zu:
„Hollah! Wer ist man?
Was will man hier?"
„Ich bin Hermann Groß aus Berlin und will Eure Bekannt-
schaft machen", sagte der Schwarze zuversichtlich.
„Hohe Ehre!" spottete der Herkules, „unterwegs haben wohl
die Motten Deine Garderobe gefressen, daß Du es wagst, in diesem
Aufzuge zu anständigen Leuten zu kommen?"
Der Spitzel murmelte verblüfft eine Entschuldigung. Das Lokal
füllte sich jetzt mehr. Der Herkules rief einem soeben eintretcnden
schmächtigen Manne zu:
„Mister Brown, hier ist ein neuer Schlangenmensch, der Ihnen
Konkurrenz machen will!"
Brown, der „Schlangemnensch", trat eilig näher und musterte
den Fremden, dann lachte er verächtlich.
„Diese Mißgeburt!" rief er, „drehen Sie einmal das Rückgrat!"
Dabei faßte er den Fremden an den Schultern und suchte ihn zu drehen,
was diesem einen Schmerzensschrei erpreßte.
„Aber, meine Herren, ich bin ja gar kein Schlangemnensch", rief
der Spitzel bestürzt.
„Dann bist Du wohl ein Herkules und willst es mit mir aufnehmen",
lachte der Kraftmensch, nahm Boxerstellung an und gab dem Erschrockenen
einen wohlgezielten Puff zwischen die Rippen.
„Freunde", rief der Komiker in das allgemeine Lachen, welches diesen:
Coup folgte, „Ihr werdet doch diesen Menschen nicht für einen Kollegen
halten!"
Dem Spitzel ward es ganz schwül, aber er entsann sich, daß er
gehört hatte, die hier versammelten Anarchisten verfolgten die Taktik,
sich als Artisten auszugeben. Er hoffte die Sache auszuklären, indem
er sagte:
„Mir gegenüber bedarf's keiner Verstellung; ich bin einer Eurer
eifrigsten Genossen, selbstverständlich kein Artist, sondern der Anarchist
Groß aus Berlin."
Alle staunten, dann wurden Rufe laut: „Hinaus mit ihm!"
Ein Dutzend kräftige Fäuste packten und schüttelten den Schwarzen.
Jetzt dämmerte es dem Spitzel, daß er sich über die Anwesenden
geirrt hatte, daß er an die falsche Adresse gekommen mar.
„Laßt nüch reden!" rief er. „Ihr seid also friedliche Staatsbürger
— Ihr habt nichts init dein fluchwürdigen Anarchisnurs gemein — Ihr
haltet zu Ordnung und Gesetz — gut, auch ich thue es; so wißt, ich bin
nicht der Anarchist Groß, sondern der geheime Agent Rntschebartel, der
die Anarchisten verfolgt, um sie zu vernichten."
„Also ein Polizeispitzel", konstatirte Francesko's Kollege, dem diese
We>:dung nicht unerwartet kam. „Also zum Zwecke des Spionirens
haben Sie sich verkleidet unter falschem
Rainen bei uns eingeschlichen, um uns zu
behorchen? Und da wollen Sie noch be-
haupten, daß Sie keine Prügel verdienen?"
„Er verdient Prügel!" donnerte der
Herkules.
Und wirklich sausten jetzt die Hiebe
hageldicht auf den Spitzel nieder, der die
Thür zu gewinnen suchte, wobei er jäminer-
lich nach Polizei schrie.
Inzwischen saßen Franeesko und Groß
in einer Osteria, gegenüber dem Lokal der
Artisten, um das Debüt des Spitzels ab-
zuwarten. Sie hörten jetzt sein Geschrei
und sahen, wie er auf die Straße beför-
dert wurde.
„Das ist er; nehmen wir ihn in Em-
pfang", sagte Franeesko.
Sie traten näher, gleich-
zeitig aber erschien ein Mann mit
langem Rock, hohen: Zylinderhut
und einem Stock in der Hand —
ein Polizeibeamter, der die Rufe
des Geprügelten vernommen
hatte. Der Spitzel erhob sich.
„Wie sieht denn Der aus?"
— der Bart
des Mannes war zwar noch
schwarz, aber seine Haare waren
roth und spärlich, denn die
schwarze Perrücke war in der
Hitze des Gefechtes verschwunden.
Auf dein oberen Theile der Stirn
zeigte sich eine Narbe, welche
vorher durch die Perrücke verborgen gewesen war. Franeesko musterte
den Entlarvten genau, dann rief er:
„Meine Ahnung hat nüch nicht getäuscht; cs ist der Hausknecht
Lambert, der Dieb von der Via Torino."
Der Spitzel wurde todtci:bleich und wollte entschlüpfen, aber der
Sicherheitsmann hielt ihn fest und führte ihn nach einen: Wachlokal,
wohin Groß, Franeesko und einige Artisten auf das Ersuchen des Beamten
folgten.
Die geheimnißvolle Persöillichkeit des Spitzels wurde nun bald genug
gänzlich enthüllt. Er war nach seinem Diebstahl in Mailand nach
Berlin gegangen, hatte seinen Raub vergeudet und sich dann als Geheim-
polizist anwerben lassen. Die Mailänder Asfaire war jedoch seine letzte
Heldenthat, er hat sich in: eigenen Netze gefangen und spinnt jetzt nicht
n:ehr Jntrigue und Verrath, sondern Wolle — im Zuchthause.
Ein spöttischer Zug umzog Francesko's Mund. „Gut", sagte er,
„gehen Sie heute Abend ins Albergo Matteo, die ziveite Seitenstraße links
vom Corso Garibaldi, dort in: Klubzimmer versammeln sich die Leute,
die Sie suchen; dieselben geben sich für Artisten aus, um nicht aufzufallen,
weil auch die „Artisten" ein internationales Völkchen sind. Führen Sie
sich dort geschickt ein, dann können Sie Ihr Heil versuchen."
Der Spitzel dankte, notirte die Adresse und ging. „Jetzt Hab' ich
Dich", lachte Franeesko hinter ihm her.
* *
Es war gegen neun Uhr Abends, als unser Spitzel das Domizil der
angeblichen Anarchisten aufsuchte. Er hatte sich in einen schlechten Anzug
gehüllt, wie er ihu früher in Berlin bei den Arbeitslosen-Versammlungen
getragen. Ungenirt betrat er das bezeichnete Lokal und bestellte einen
Schoppen Wein. Es waren nur wenige Personen anwesend, die aber
elegante Kleidung trugen, so daß der verkleidete Spitzel unangenehm
auffiel.
„Was ist denn das für eine
Jammergestalt?" fragte der Her-
kules eines Zirkus den Komiker
des Alhambra-Theaters. Denn
man befand sich nicht anscheinend,
sondern wirklich im Verkehrslokal
der „Artisten", d. h. der Seil-
tänzer , Bauchredner, Zauber-
künstler re.
„Still", sagte der Komiker,
„den Kerl hat der Kollege Fran-
ccsko an uns adressirt, damit
wir ihn gründlich abführen. Es
ist ein Spion, der irgendwoher
aus dem Auslande koinmt und
irgendwelche schmutzige Zwecke
verfolgt."
„Also giebt es ein Gau-
diunr", lachte der Herkules, und
rief dem Fremden mit Donner-
stimme zu:
„Hollah! Wer ist man?
Was will man hier?"
„Ich bin Hermann Groß aus Berlin und will Eure Bekannt-
schaft machen", sagte der Schwarze zuversichtlich.
„Hohe Ehre!" spottete der Herkules, „unterwegs haben wohl
die Motten Deine Garderobe gefressen, daß Du es wagst, in diesem
Aufzuge zu anständigen Leuten zu kommen?"
Der Spitzel murmelte verblüfft eine Entschuldigung. Das Lokal
füllte sich jetzt mehr. Der Herkules rief einem soeben eintretcnden
schmächtigen Manne zu:
„Mister Brown, hier ist ein neuer Schlangenmensch, der Ihnen
Konkurrenz machen will!"
Brown, der „Schlangemnensch", trat eilig näher und musterte
den Fremden, dann lachte er verächtlich.
„Diese Mißgeburt!" rief er, „drehen Sie einmal das Rückgrat!"
Dabei faßte er den Fremden an den Schultern und suchte ihn zu drehen,
was diesem einen Schmerzensschrei erpreßte.
„Aber, meine Herren, ich bin ja gar kein Schlangemnensch", rief
der Spitzel bestürzt.
„Dann bist Du wohl ein Herkules und willst es mit mir aufnehmen",
lachte der Kraftmensch, nahm Boxerstellung an und gab dem Erschrockenen
einen wohlgezielten Puff zwischen die Rippen.
„Freunde", rief der Komiker in das allgemeine Lachen, welches diesen:
Coup folgte, „Ihr werdet doch diesen Menschen nicht für einen Kollegen
halten!"
Dem Spitzel ward es ganz schwül, aber er entsann sich, daß er
gehört hatte, die hier versammelten Anarchisten verfolgten die Taktik,
sich als Artisten auszugeben. Er hoffte die Sache auszuklären, indem
er sagte:
„Mir gegenüber bedarf's keiner Verstellung; ich bin einer Eurer
eifrigsten Genossen, selbstverständlich kein Artist, sondern der Anarchist
Groß aus Berlin."
Alle staunten, dann wurden Rufe laut: „Hinaus mit ihm!"
Ein Dutzend kräftige Fäuste packten und schüttelten den Schwarzen.
Jetzt dämmerte es dem Spitzel, daß er sich über die Anwesenden
geirrt hatte, daß er an die falsche Adresse gekommen mar.
„Laßt nüch reden!" rief er. „Ihr seid also friedliche Staatsbürger
— Ihr habt nichts init dein fluchwürdigen Anarchisnurs gemein — Ihr
haltet zu Ordnung und Gesetz — gut, auch ich thue es; so wißt, ich bin
nicht der Anarchist Groß, sondern der geheime Agent Rntschebartel, der
die Anarchisten verfolgt, um sie zu vernichten."
„Also ein Polizeispitzel", konstatirte Francesko's Kollege, dem diese
We>:dung nicht unerwartet kam. „Also zum Zwecke des Spionirens
haben Sie sich verkleidet unter falschem
Rainen bei uns eingeschlichen, um uns zu
behorchen? Und da wollen Sie noch be-
haupten, daß Sie keine Prügel verdienen?"
„Er verdient Prügel!" donnerte der
Herkules.
Und wirklich sausten jetzt die Hiebe
hageldicht auf den Spitzel nieder, der die
Thür zu gewinnen suchte, wobei er jäminer-
lich nach Polizei schrie.
Inzwischen saßen Franeesko und Groß
in einer Osteria, gegenüber dem Lokal der
Artisten, um das Debüt des Spitzels ab-
zuwarten. Sie hörten jetzt sein Geschrei
und sahen, wie er auf die Straße beför-
dert wurde.
„Das ist er; nehmen wir ihn in Em-
pfang", sagte Franeesko.
Sie traten näher, gleich-
zeitig aber erschien ein Mann mit
langem Rock, hohen: Zylinderhut
und einem Stock in der Hand —
ein Polizeibeamter, der die Rufe
des Geprügelten vernommen
hatte. Der Spitzel erhob sich.
„Wie sieht denn Der aus?"
— der Bart
des Mannes war zwar noch
schwarz, aber seine Haare waren
roth und spärlich, denn die
schwarze Perrücke war in der
Hitze des Gefechtes verschwunden.
Auf dein oberen Theile der Stirn
zeigte sich eine Narbe, welche
vorher durch die Perrücke verborgen gewesen war. Franeesko musterte
den Entlarvten genau, dann rief er:
„Meine Ahnung hat nüch nicht getäuscht; cs ist der Hausknecht
Lambert, der Dieb von der Via Torino."
Der Spitzel wurde todtci:bleich und wollte entschlüpfen, aber der
Sicherheitsmann hielt ihn fest und führte ihn nach einen: Wachlokal,
wohin Groß, Franeesko und einige Artisten auf das Ersuchen des Beamten
folgten.
Die geheimnißvolle Persöillichkeit des Spitzels wurde nun bald genug
gänzlich enthüllt. Er war nach seinem Diebstahl in Mailand nach
Berlin gegangen, hatte seinen Raub vergeudet und sich dann als Geheim-
polizist anwerben lassen. Die Mailänder Asfaire war jedoch seine letzte
Heldenthat, er hat sich in: eigenen Netze gefangen und spinnt jetzt nicht
n:ehr Jntrigue und Verrath, sondern Wolle — im Zuchthause.