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1815

Wassermasse, donnernd, platschend, den Gischt aufjagend. Ueber den
Rückenwirbel des Steinkolosses aber flatterte eii: feines, strahliges,
silbernes Gewebe, ein Netz von tausend sprühenden Fäden. Am Rumpfe
rieselten zierliche, lange Bänder in bunten Farben, schwangen sich durch
die von Sonnenstäubchen zitternde Sitft und fielen dann in Millionen
Tropfen in die Tiefe.

Kühl strich die Luft vom Fall und bewegte die Nadeln der Tannen.
Gierig sog der Wanderer den frischen, erquickenden Hauch und rastete
an der Wiese, die sich links von dem Wassersturz an der Höhe empor-
zieht. Dort schaffte im glühenden Sonnenbrand ein Alter. Die Sense
klang, er dengelte mit sicherer Hand, und schon fuhr der bliukende
Stahl wieder durch das hohe, saftige Gras der Halde. Noch hielt sich
der Mäher grade und trug das Haupt frei zwischen den Schultern.
Schneeweiß war das Haar, und unter buschigen Brauen blitzten dunkle,
scharfe Augen. Nun setzte er sich zu kurzer Rast nieder, langte aus
dem Schnappsack ein Stück Roggen-
brot und vesperte. Freundlich grüßte
er den Wanderer und tauschte mit
ihm manch gutes Wort.

Und das Folgende ist die Ge-
schichte des Alten.

Er war jetzt achtzig Jahre
und stand in Arbeit beim lustigen
Sonnenwirth zu Tribach, der am
zweitbesten lügen konnte im ganzen
Schwarzwald. Denn nur Einer
that's dem zuvor, der Ochsenwirth
in Guttenbronn. Und war der
Sonnenwirth mit Recht berühmt
nicht blos durch sein Jägerlatein,
sondern auch durch treffliche Atzung
und einen Tropfen, der gut war
und dessen Güte er selber täglich
probte von: frühen Morgen bis in
die sinkende Nacht. Hatte er doch
fünfundzwanzig mächtige Fässer im
Keller liegen, eine Gattung trink-
barer als die andere. Bei Dem
also diente der Alte und besorgteste
Arbeit auf Feld und Wiese.

Vor sechsundvierzig Jahren
war der Alte ein stattlicher Mann
von vierunddreißig Jahren, und in
dem stillen Schwarzwaldthal war
sein Häuschen der Sammelpunkt
aller Derer, die das Joch der
Reaktion, die Steuern und Lasten,
die Schreiberwirthschaft und das
Herrenregiment nicht länger seufzend
erdulden, sondern abschütteln wollten. Er zog von Hütte zu Hütte,
von Dorf zu Dorf, trug die Botschaft der Freiheit von Munde zu
Munde, ging zu den kleinen Bauern, die der Grundherr bis aufs
Blut auspreßte, und zu den darbenden Heimarbeitern, die für Hunger-
löhne dem Verleger mit Weib und Kind frohndeten. Kein Weg war
ihm zu lang, kein Berg zu hoch, überall war er zu treffen. Alle
trauten sie ihm, dem wackeren Hans, dem rührigen, fleißigen, uner-
müdlichen Freiheitsfreund.

Als die Märztage kamen, und die Gedrückten aufathmeten, da
ging der Same auf, den der treue Säemann in jahrelangem Mühen
gesäet. Mit natürlicher, schlichter Beredsamkeit, die vom Herzen kan:
und zum Herzen ging, feuerte er die Bauern, die Arbeiter zum muthigen
Ausharren an. Er hielt Versammlungen, er organisirte, er agitirte,
er bewaffnete.

Und als die Brüder riefen, da zog er hinab mit einer Schaar
tüchtiger, entschlossener Gesellen, den Truppen der Revolutionsarmee

zu. Wacker schlugen sie sich im badischen Aufstand, manch Einen von
ihnen riß der Preußen tückische Kugel in den Sand.

Als der Inbegriff der Niedertracht, der Blutgier und Volköfeind-
schaft erschien dem Tribacher Rebellen der Henker von Wien, und sein
glühender Haß galt dem fürstlichen Schlächter, der die Märtyrer der
Freiheit so schändlich vernichtet hatte. Sein Fluch galt ihm, sein täg-
licher Gedanke war Rache, und seine Kameraden hießen ihn mit einem
Spitznamen darum den „Windischgrätz".

Im ganzen badischen Lande wurde der Aufstand unterdrückt. Auch
Rastatt siel und ergab sich auf Gnade und Ungnade den vor der
Festung stehenden preußischen Truppen. Nach der Kapitulation wurden
die Gefangenen in die feuchten Kasematten der Festung geworfen. Auch
der Tribacher siel in die Hände des Feindes, und er lernte, nachdem
er monatelang in den Kasematten gelegen hatte und ihm endlich der
Prozeß gemacht wurde, im Zuchthaus Wolle spinnen, viele, viele Jahre
lang. Ketten trug er, aber sie brachen nicht seinen Trotz und
seine Liebe zur Freiheit.

Als die Thore sich ihm wieder öffneten, schritt er stolz und
aufrecht heraus, der Heimath zu, den Wanderstab iit der Hand,
das ärmliche Bündel auf dem Rücken.

Dort herrschte die Zwingherrschaft von Gensdarm und Kutte,
verschüchtert schlichen die Bravsten einher, Viele waren verschollen
und in der Ferne verdorben, gestorben.

Mühsam fand er Arbeit in den Bergen seiner Heimath; sein

Weib war derweil im Elend ge-
storben, sein einziges Kind folgte
der Mutter ins Grab. Allein,
einsam stand er in der Welt, und
er verzagte nicht. In die Kümmernih
und in das Dunkel seines Daseins
leuchtete das frohe Licht der Frei-
heit, für die er streiten mußte wie
vorher. Er wirkte im Stillen, und
eine kleine Gemeinde schloß sich um
ihn, Freunde, Mitkämpfer. Der
Sozialismus hatte ihn mit siegender
Gewalt ergriffen, und er trug die
rettende Lehre durch die Weiler und
Dörfer des Schwarzwalds, ein
Stiller, ein Ungekannter, der seinen
Aufnamen Windischgrätz nicht los
ward. Er duldete ihn doppelt gern,
weil dies Wort die lebendige Er-
innerung blutiger Greuel und die
beste Mahnung war, die Opfer zu
rächen.

Da das hohe Greisenalter kam,
traten jüngere Freunde an seine
Stelle, doch treu hielt er zu den
Genossen und that seine Pflicht so gut wie der Jüngste. Als er neun-
undsiebenzig Jahre alt geworden war, hätten sie den alten Empörer
gerne in das Versorgnngshaus gethan. Dieser aber erklärte kurz und
bündig, so lange er noch eine Hand rühren könne, werde er nicht
hineingehen. Denn die Armenpflege schließe ihn aus vom Wahlrecht.
Der Sonnenwirth von Tribach pflichtet dieser Ansicht des Alten bei.
So hat denn 1893 „Windischgrätz" seinen sozialdemokratischen Wahl-
zettel zur Urne gebracht. Heute schafft der Achtzigjährige noch, und gut
mundet ihm sein Schoppen Markgräfler.

Der Wanderer drückte dem Alten fest die Hand.

In rauschenden Kaskaden stürzte der Fall über die Blöcke, die
Tannen zitterten vom Windhauch, die Schlucht glänzte im Sonnen-
licht. Droben auf der Halde aber führte der Alte die Sense, und
ein Schwaden nach dem andern sank. Das Heu duftete, der Buchfink
schmetterte sein Lied.

Braver „Windischgrätz"!

Ketten trug er, aber sie brachen nicht seinen Trotz.


Verantwortlich für die Redaktion Keorg Baßler in Stuttgart. — Druck und Verlag von I. H. W. Dietz in Stuttgart.
 
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