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1827 • ■

thanen und ließ Tausende auf dem Schaffet hinschlachten — dies war
mein Vergnügen, meine Zerstreuung — Blut mußte ich sehen, nach
diesem dürstete ich. Da stand das Volk gegen mich auf und ich siel
unter den Streichen der wüthenden Menge. Mau stürzte meine Bild-
säule und schrieb daran:

„Nieder mit den Tyrannen!"

Nun erst erblickte der Wanderer den blutigen Gürtel, den der
Sprecher anstatt des goldenen Reises sich um das Haupt schlang.

Schaudernd wandte er sich ab.

Die Wissende aber rief streng:

„Niemand frevelt ungestraft!"

„Sieh mich an", antwortete stolz der Dritte auf die Frage des
Wanderers, „sieh mich an, auch ich bin ein Fürst — ein Geld- und
Handelsfürst; ich war reicher und mächtiger als diese Herrscher, denn
ich besorgte ihre Geldgeschäfte und hatte sie ganz in meiner Hand. Ich
besaß viele, viele Häuser und Waarenspeicher, meine stattlichen Schiffe,
eine ganze Flotte, durchkreuzten alle Meere, meine Truhen füllten Gold
und Silber. Jeder meiner Wünsche ward erfüllt, denn ich konnte mir
alles kaufen. Künstler
und Baumeister warteten
auf meine Befehle, die
schönsten Frauen eiferten
um meine Gunst, ein
Troß von Dienern umgab
mich, meine Tafel war
voll der leckersten Gerichte
und meine Becher über-
schäumten von den edelsten
Weinen. Und während
ich mich ganz dem Ver-
gnügen hingab und alle
Freuden des Lebens ge-
noß, wuchs mein Hab und
Gut ins Unendliche, denn
tausend und abertausend
fleißige Hände mußten sich
rühren, zu Land und zu
Wasser, bei Tag und
Nacht, um Schätze für
mich zu erwerben und
meine Geldkisten zu füllen.

Sieh hier-"

Er öffnete eine eisenbeschlagene Kiste, die neben ihm stand, und
starrte gierig hinein. Der Wanderer erblickte gleißendes Gold, aber
während er hinsah, verwandelte sich das blitzende Metall in eine rothe,
flüssige Masse — in Blut, das sich zu bewegen begann, höher und
höher stieg, überquoll uud in breiten Strömen über den Boden hinfloß.

Ekel und Entsetzen packte den Wanderer und eilig schritt er weiter
an der Hand der Führerin.

„Ich war der reichste Mann im Lande", berichtete ein Vierter.
„Unzählige Güter, Fabriken, Berg- uud Hüttenwerke nannte ich mein
eigen und ein gewaltiges Heer von Männern, Frauen und Kindern,
die für mich arbeiten uud meiuen Befehlen gehorchen mußten. Meine
Schätze mehrten sich ins Unermeßliche; ich selbst wußte uicht, wieviel
ich besaß — aber der Anblick, der Besitz, war mir das höchste Ver-
gnügen —"

Auch er öffnete eine gewaltige Truhe, in welcher sich das Gold in
siedendes Blut verwandelte und wie ein Springquell hervorbrach.

Die anderen Gestalten winkten dein Wanderer, ihre Geschichte zu
hören, er aber rief abwehrend, von tödtlichem Abscheu erfüllt:

„O schweigt, Ihr grausamen Gespenster, ich kenne Euch alle, denn
auch mein Blut habt Ihr genommen. Welch' ein Abgrund von Schuld
und Frevel, von Blutdurst und Habgier enthüllt Ihr mir."

Doch was war das? Die Ströme Blutes flössen zu menschlicheu
Gestalten zusammen. Wie aus dem Boden gewachsen stiegen gewaltige
Schaaren elender Leiber empor, in Lumpen gehüllt, ausgemergelt, das
Hungermal auf den abgezehrten, gramerfüllten Gesichtern; gekrümmte

Weiber, blasse, hohläugige Kinder, die die Noth ins frühe Grab jagte,
verzweifelte Männer, die im Elend verkommen, wogten durcheinander.
Und alle hatten klirrende Ketten an Händen und Füßen; unendlicher
Jammer, namenloses Weh sprach aus ihren Zügen und mit heißer
Sehnsucht suchten die glanzlosen Augen nach Rettung, nach Erlösung.

Das waren die Hörigen, die Sklaven und Gefangenen, die das
Gold geschaffen, mit Leib und Leben, mit Mark und Blut, mit Hirn
und Herzen.

Mit umflorten Augen blickte der Wanderer auf sie. Er kannte sie
nur zu gilt: es waren ja seine Brüder uud Schwestern, seine Leidens-
und Schicksalsgenossen.

Ein gebeugter Greis mit silbergrauem Haar und Bart, eine
Dornenkrone auf dem schweißtriefenden Haupt, mit Ketten belastet, trat
auf den Wanderer zu.

„Ich war ein armer, heimathloser Mann. Von frühester Jugend
an plagte ich mich hart um jeden Bissen trockenen Brotes. Ich stritt
für das gute Recht meiner Brüder, denn ich wollte, daß alle Menschen
frei sein und sich lieben sollten. Aber dafür wurde ich verfolgt und

geächtet, und mußte Lei-
den und Entbehrungen
ertragen ohne Zahl. Als
Bettler ward ich alt, mir
inangelten Speise und
Trank, ich hatte keine
Heimath, kein Lager; vor
Hunger und Entkräftung
sank ich hin —"

„O, genug, Bruder,
schweig", rief schmerzlich
der Wauderer. „Ich kenne
Dich — Deine Geschichte
ist ja auch die meine." —•
Die Führerin war
überall und nun winkte
sie mit der Rechten in
die Weite hinaus.

Da erhellte sich die
Gegend. Der Himmel
erglühte in lachendem
Morgenroth. Fluchende
Lichtwellen durchbrachen
mit Macht die Dämme-
rung und ergossen sich über den Plan. Ein Singen und Klingen ging
durch die Lüste, wie Sphärenmusik.

Eine Gestalt kam herangeschwebt, ein schöner, jugendkräftiger Jüng-
ling, umflossen von blendendem Glanz, das milde Antlitz umwallt von
langen Locken. In der Hand schwang er einen goldenen Palmenzweig.
Und unter ihm sprossen farbenprächtige Blumen hervor, erwachte die
weite Flur zu neuem Leben, zu segensvollem Werden.

Die lichtscheuen, beschwingten Wesen der Lüfte flatterten erschreckt
von dannen, auf Nimmerwiedersehen. Von Todesangst gepackt, stürzten
die reichen und gekrönten Gestalten zu Boden und verschwanden, als
hätte sie die Erde verschlungen. Klirrend zersprangen die Ketten an
den Gliedern der Gefesselten und fielen herab. Ein Jubelruf wie aus
einem Munde brach aus der Menge hervor; befreit von aller Mühsal
und Pein fielen sie aus die Knie und streckten die Hände dankerfüllt
dem freundlich lächelnden Jüngling entgegen.

Geblendet und verwirrt stand der Wanderer da. Endlich rief er
deni Jüngling zu:

„Wer bist Du?"

„Der Welterlöser und Menschenbefreier", erwiderte dieser sanft und
schwebte an ihn heran. „Endlich ist meine Zeit gekomnren, aber für
Dich komme ich zu spät. Schlaf' in Frieden, die lebenden Brüder
ehren Dich!" —

Tiefe Nacht legte sich wieder auf die Augen des Wanderers. Er
schlief, um nimmer zu erwachen.

Ueber ihm aber fuhr der Wind sausend durch die Bäume.

Ein gebeugter Greis .... trat auf den Wandrer zu.
 
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