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. Beilage zum „Mahren Zjacob" Or. 219. .

■^»95- Weihnachten.

ls ich ein ahnungsloses Uind noch war
wie preßt' ich da die Wangen an die Scheiben,
Sah ich -ie ersten grauen Flocken treiben
Im Zug -er Luft — wie ward mir wunderbar!

Ich sah im Wachen und ich sah im Traum,

Besteckt mit brennenden, mit lichten Rerzen,

Den nadelduft'gen, grünen Tannenbaum —

Und ,,Weihnacht!" jauchzte es im kleinen Kerzen.

Ich sah im Geiste all den bunten Tan-,

Den an dem großen, langersehnten Morgen,

Halb aufgebaut und halb im Moos verborgen,

An meines Lhristbaums Fuß ich fiebernd fand;

Und in ein Traumnetz hat der Uerzen Schein
Das Uinderherz im Voraus eingesponnen;

Lin Lächeln auf den Lixxen, schlief ich ein
An- freute still mich, -aß ein Tag verronnen.

Der schöne Traum verwehte und zerrann
Und keine Macht der Welt kann ihn erneuen;

Ich hörte auf, mich wie ein Uind zu freuen
Und bitter war, was ich dafür gewann.

Ich war- verstrickt in der Gedanken Streit
Und wenn sich -och das Ljerz verstohlen sonnte
In einem warmen Strahl zur Weihnachtszeit,

So war es nur, weil ich bescheeren konnte.

Dies beste Mittel wider eignes Lei-
tsatz' ich erprobt in winterlichen Tagen;

Ich ließ -ie Uinder rathen, forschen, fragen
Und nur ein Uäthsel mehr war -er Bescheid.

Oft war der Uoxf, oft war das Herz mir schwer
Von Sorgen, -ie dem Tartarus entstammen,

Und dennoch trug ich wochenlang vorher
Fürs kleine Volk den bunten Tan- zusammen.

Nun ist auch das verklungen und verweht,

Nun ist auch dieses Schattenglück vorüber!

Nur etwas ernster noch bin ich und trüber,
wenn diesem Fest die Welt entgegengeht.

Ich muß — so will's ein zwingendes Gebot
Das Loos der Aermsten mitleidvoll ergründen,

Die ewig ringen mit -er fahlen Noth

Und keinen Lhristbaum ihren Uindern zünden.

wann wir- erlöst von -er verhaßten Frohn
Das arme Volk, das stumm sich müht auf Lrden?
wann wir- ein Lhristbaum ihm errichtet werden,

Das jetzt sich quält um einen Hungerlohn?

wann läßt man sie, die Ausgesxerrten, ein?

wann wir-, wenn hell die Weihnachtsglocken Hallen,

Auf Lrden Friede, tiefer Friede sein

Und allen Athmenden ein Wohlgefallen? n. z.

(Lin Weihnachts-Abcnö.

von J. Sirach.

er frisch gefallene Neuschnee hatte
Wege und Stege überschüttet, die
trockenen spitzen Zweige der Hecken
flimmerten in dem hellen Glanze der
Flocken, und die Höhen, deren Kuppen
sich in dem grauen Winterhimmel fast verloren, trugen das weiße
Riesenhemd, das bis zum Fuße herabwallte. Nur mühsam drängte

! der Waldbach, der am Ausgang des Gehölzes eine Mühle trieb, seine
ungeduldigen Wellen durch das sich immer fester zusammenschließende
Eisgerinnsel und floß griesgräinig zu Thale. Ein bitterkalter Wind
blies von Osten, fuhr polternd um die Schindeldächer des Dorfes und
rüttelte an den schlecht gefugten Fenstern.

Liese schritt fürbaß den Berg hinan, ihr Kind fest an sich drückend
und es mit ihrem Umschlagtuche einhüllend. Der Sturm peitschte ihr
Gesicht, daß die Augen thränten, benahm ihr beinahe den Athen:
und zwang sie, Schritt vor Schritt sich den Aufstieg zu erkämpfen.
Die Kälte war qualvoll, sie drang durch die Kleider, zerstach wie mit
glühenden Nadeln die Haut und lähmte den Lauf des Blutes. Das
kleine Aennchen, von der Mutter ängstlich beschützt, weinte still vor
sich hin.

Es war Mittagszeit, und doch glimmte die Sonne nur wie ein
erlöschender Kohlenklumpen, trüb, gelbroth am Firmament.

Aus der Höhe waren alle bösen Geister des Sturmes entfesselt,
frei und ungeschützt hob sich das Dach der Bergkuppe empor, ein
Spielball der Lüfte; kreischend fuhr ein Raubvogel dahin, dem der
Ost die Schwingen zauste, das Gestein bröckelte los und rollte dröhnend
> in die Tiefe. Hinüber und hinunter!

Dort unten sollte Liese Freunde, Verwandte, Hilfe aus tiefster
Noth und Bedrängniß finden. Stand nicht dort unten ihres Vaters
Haus? Und sie sah sich wieder im Kreise der Gespielinnen und
Geschwister, ein junges, übermüthiges, seeliges Geschöpf, das auf
den: Rasenplatz hinter dem Hause umhersprang, jauchzte und tanzte.
In Licht getaucht war die ganze Welt, der Flieder schmückte mit
seinen blauen Dolden den Hain, munter schmetterte der Bräutigams-
fink sein Hochzeitslied in die Lüfte, die Natur war in lichte wohlige
Farben getaucht, jeder Athemzug war eine Freude, jeder Blick in
das blühende Leben ringsum ein Glück.

Stand nicht dort unten ihres Vaters Haus? Der freilich, der
wetterharte, wortkarge Alte, der sie so lieb gehabt hatte, schlief längst
unter dem Rasen des Kirchhofs den ewigen Schlaf. Sie sah ihn,
wenn er vom Acker heimkam, im blauen Kittel, aus dem Holzpfeifchen
dampfend, müde von der harten Arbeit des Pflügens, und sie fühlte
noch, wie seine schwielige Hand ihr über die braunen Flechten strich.
 
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