Ü842
wenn sie ihn lachend begrüßte. Die Matter aber lebte noch und der
einzige Bruder. Denen freilich war sie fremd, sehr fremd geworden.
Der Schnee wirbelte in dichtein Gestöber und die Augen wurden ihr
naß. Ob es nur die Flocken waren? Eine verschlossene finstere Frau
war die Mutter gewesen, eine fleißige Kirchgängerin, die strenge Zucht
übte und den Kindern die zum Spiel bereiten Hände zum Beten zu-
sammenfaltete und sie hieß, die Augen niederzuschlagen, die doch gar
zu gern keck und wagelustig ins Weite schauten. Nach peinlichen
Regeln war Alles bei ihr geordnet, und den gleichmäßigen Schritt
ihrer Heiligkeit störte nie
der muntere Takt sorg-
losen Frohsinns.
Den Bruder, der
nachgiebiger und stumpfer
war als sie, und der
berufen war, nach des
Vaters Tode die kleine,
aber tüchtige Hoswirth-
schaft zu führen, litt es
daheim in der unfreund-
lichen finsteren Enge des
Haushalts, wo die Mutter
als Herrin schaltete,fleißig
vom dämmernden Mor-
gen bis in die sinkende
Nacht, stolz und aufrecht
trotz ihrer sünfundsechzig
Jahre, das weiße dichte
Haar glatt gescheitelt,
pünktlich am Herde und
im Betstuhl, scharf und
knapp in ihren Worten,
gebieterisch und einsam.
Die Liese aber hatte
es hinausgetrieben, kühl
hatte die Mutter sie gehen
lassen, sie, die so gar
nicht nach ihr artete. In
der nahen Stadt hatte .
sie Arbeit gesunden, das
flinke, anstellige Mädchen
schaffte als Nähterin, bis
sie eines Tages ihren
Karl kennen lernte. Bald
lernten sie sich auch lieben,
und der wackere Häuer,
der auf der größten
Kohlengrube des Reviers
beschäftigt war, führte sie
als sein Weib heim.
Es waren glückliche
Zeiten gewesen, Karl war
ein tüchtiger Bergmann,
die Grube konnte damals
kaum die Aufträge be-
wältigen, der Lohn stand hoch und das junge Paar, zu dem sich
nach Jahresfrist das kleine, freudig begrüßte Aennchen gesellte, lebte
erträglich dahin und genoß sein stilles Glück.
Da kam der geschäftliche Rückschlag, die Grubenherren beuteten
die Lage für sich aus, bedrückten die Bergleute, verkürzten die Löhne
und reizten die Armen so lange, bis ihnen nur ein Mittel noch blieb,
der Ausstand. Ohne starke Gewerkschaft, mit unzulänglichen Mitteln,
sahen sich die Kohlengräber in einen Kampf hineingetrieben, der
unglücklich für sie enden mußte. Karl, der Vertrauensmann der
Grubenleute, stritt tapfer für seine Genossen, er, so gut wie sie Alle,
litt, darbte, hungerte. Umsonst, sie mußten unterliegen und mit
rücksichtsloser Gewaltsamkeit traf die Wortführer der Bergleute die
Rache der Grubenherren.
Karl erhielt seinen Abkehrschein, und er wußte, daß dies im
Grubenbezirk das Todesurtheil war. Liese erblickte den Geliebten vor
„Bleibst Du bei ihm, so bist Du mein Kind nicht mehr.
sich, wie er, ach! zum wie vielten Male, heimkam vom vergeblichen
Arbeitsuchen.
Die Herren im Komptoir hatten irgend ein verteufeltes geheimes
Zeichen in den Abkehrschein hineingeschrieben, das ihn brandmarkte.
Da hieß es: „Die Belegschaft ist vollzählig. Alles ist besetzt." Oder
einer der Bureauherren schritt höhnisch lächelnd ans Telephon und
fragte bei Karls früheren Werken an, worauf es hieß: „Für Sie
haben wir keine Arbeit", und man ließ ihn gehen. Zuerst litten sie
zwar Noth, aber so lange noch ein Stück des Hausraths für den
Trödler übrig war, konn-
ten sie doch das ärgste
Elend abwehren. Bald
aber war es in der Woh-
nung kahl und leer, das
kleine Aennchen schrie
nach Brot, kein Krämer
borgte mehr, und die
Eltern duldeten Folter-
qualen.
Mit einem Stückchen
geschenkten Brotes raffte
Liese sich endlich auf, den
schweren Gang zu ihrer
Mutter zu thun und sie
um Hilfe zu bitten. In
der kalten Stube saß
derweil Karl verzweifelt
und brütete.
Hinab den Berg trotz
Sturm und Schnee, sie
mußte gewiß Erhörung
finden. Läuten nicht in
wenigen Stunden die
Kirchenglocken den hei-
ligen Abend ein!
Nun war sie am
Gehöft. Ihr Herz pochte
bis zum Hals und wie
zum Schutze preßte sie
ihr Aennchen, das leise
klagte, fest an die wogende
Brust. Die Gitterthür, so
ungeölt wie stets, knarrte
in den Angeln, auf der
Hofstatt sprang ihr laut
bellend und mit lustigen
Sprüngen der altbekannte
Spitz entgegen; vor ihr
lag das Wohnhaus mit
seiner breiten Thür und
seinem First aus gebräun-
ten Eichenbalken, aus
dem der massig ge-
schnitzte Pferdekopf, das
uralte Hauszeichen, her-
vorsprang. Auf dem mit rothen Ziegeln gedeckten Dache war immer
noch die alte Lücke links unter dem Schornstein, da wo sie als junges
Ding mit ihrem Bruder waghalsig einst geklettert und etliche Ziegel
übermüthig losgerissen hatte.
Durch den Hausflur, wo rechts und links in Holzverschlägen die
Rinder standen, trat sie raschen Schrittes in die Wohnstube, wo im
Herde gewaltige Buchenkloben schwälten. Da stand sie auch schon
vor ihrer Mutter.
Die Alte war eben aus dem Nachmittagsgottesdienst gekommen.
Noch trug sie die Haube mit den langen Bändern, das schwarze, bis
an den Hals geschlossene Kleid, in der Rechten hielt sie noch das
Gesangbuch. Steif richtete sie sich auf und maß mit ihren scharfen,
durchdringenden Augen, die das runzelige Gesicht wundersam er-
hellten, die Ankömmlinge. Ein Blick und sie hatte die Tochter
erkannt, die dichten, kühn geschwungenen Brauen, die über der
wenn sie ihn lachend begrüßte. Die Matter aber lebte noch und der
einzige Bruder. Denen freilich war sie fremd, sehr fremd geworden.
Der Schnee wirbelte in dichtein Gestöber und die Augen wurden ihr
naß. Ob es nur die Flocken waren? Eine verschlossene finstere Frau
war die Mutter gewesen, eine fleißige Kirchgängerin, die strenge Zucht
übte und den Kindern die zum Spiel bereiten Hände zum Beten zu-
sammenfaltete und sie hieß, die Augen niederzuschlagen, die doch gar
zu gern keck und wagelustig ins Weite schauten. Nach peinlichen
Regeln war Alles bei ihr geordnet, und den gleichmäßigen Schritt
ihrer Heiligkeit störte nie
der muntere Takt sorg-
losen Frohsinns.
Den Bruder, der
nachgiebiger und stumpfer
war als sie, und der
berufen war, nach des
Vaters Tode die kleine,
aber tüchtige Hoswirth-
schaft zu führen, litt es
daheim in der unfreund-
lichen finsteren Enge des
Haushalts, wo die Mutter
als Herrin schaltete,fleißig
vom dämmernden Mor-
gen bis in die sinkende
Nacht, stolz und aufrecht
trotz ihrer sünfundsechzig
Jahre, das weiße dichte
Haar glatt gescheitelt,
pünktlich am Herde und
im Betstuhl, scharf und
knapp in ihren Worten,
gebieterisch und einsam.
Die Liese aber hatte
es hinausgetrieben, kühl
hatte die Mutter sie gehen
lassen, sie, die so gar
nicht nach ihr artete. In
der nahen Stadt hatte .
sie Arbeit gesunden, das
flinke, anstellige Mädchen
schaffte als Nähterin, bis
sie eines Tages ihren
Karl kennen lernte. Bald
lernten sie sich auch lieben,
und der wackere Häuer,
der auf der größten
Kohlengrube des Reviers
beschäftigt war, führte sie
als sein Weib heim.
Es waren glückliche
Zeiten gewesen, Karl war
ein tüchtiger Bergmann,
die Grube konnte damals
kaum die Aufträge be-
wältigen, der Lohn stand hoch und das junge Paar, zu dem sich
nach Jahresfrist das kleine, freudig begrüßte Aennchen gesellte, lebte
erträglich dahin und genoß sein stilles Glück.
Da kam der geschäftliche Rückschlag, die Grubenherren beuteten
die Lage für sich aus, bedrückten die Bergleute, verkürzten die Löhne
und reizten die Armen so lange, bis ihnen nur ein Mittel noch blieb,
der Ausstand. Ohne starke Gewerkschaft, mit unzulänglichen Mitteln,
sahen sich die Kohlengräber in einen Kampf hineingetrieben, der
unglücklich für sie enden mußte. Karl, der Vertrauensmann der
Grubenleute, stritt tapfer für seine Genossen, er, so gut wie sie Alle,
litt, darbte, hungerte. Umsonst, sie mußten unterliegen und mit
rücksichtsloser Gewaltsamkeit traf die Wortführer der Bergleute die
Rache der Grubenherren.
Karl erhielt seinen Abkehrschein, und er wußte, daß dies im
Grubenbezirk das Todesurtheil war. Liese erblickte den Geliebten vor
„Bleibst Du bei ihm, so bist Du mein Kind nicht mehr.
sich, wie er, ach! zum wie vielten Male, heimkam vom vergeblichen
Arbeitsuchen.
Die Herren im Komptoir hatten irgend ein verteufeltes geheimes
Zeichen in den Abkehrschein hineingeschrieben, das ihn brandmarkte.
Da hieß es: „Die Belegschaft ist vollzählig. Alles ist besetzt." Oder
einer der Bureauherren schritt höhnisch lächelnd ans Telephon und
fragte bei Karls früheren Werken an, worauf es hieß: „Für Sie
haben wir keine Arbeit", und man ließ ihn gehen. Zuerst litten sie
zwar Noth, aber so lange noch ein Stück des Hausraths für den
Trödler übrig war, konn-
ten sie doch das ärgste
Elend abwehren. Bald
aber war es in der Woh-
nung kahl und leer, das
kleine Aennchen schrie
nach Brot, kein Krämer
borgte mehr, und die
Eltern duldeten Folter-
qualen.
Mit einem Stückchen
geschenkten Brotes raffte
Liese sich endlich auf, den
schweren Gang zu ihrer
Mutter zu thun und sie
um Hilfe zu bitten. In
der kalten Stube saß
derweil Karl verzweifelt
und brütete.
Hinab den Berg trotz
Sturm und Schnee, sie
mußte gewiß Erhörung
finden. Läuten nicht in
wenigen Stunden die
Kirchenglocken den hei-
ligen Abend ein!
Nun war sie am
Gehöft. Ihr Herz pochte
bis zum Hals und wie
zum Schutze preßte sie
ihr Aennchen, das leise
klagte, fest an die wogende
Brust. Die Gitterthür, so
ungeölt wie stets, knarrte
in den Angeln, auf der
Hofstatt sprang ihr laut
bellend und mit lustigen
Sprüngen der altbekannte
Spitz entgegen; vor ihr
lag das Wohnhaus mit
seiner breiten Thür und
seinem First aus gebräun-
ten Eichenbalken, aus
dem der massig ge-
schnitzte Pferdekopf, das
uralte Hauszeichen, her-
vorsprang. Auf dem mit rothen Ziegeln gedeckten Dache war immer
noch die alte Lücke links unter dem Schornstein, da wo sie als junges
Ding mit ihrem Bruder waghalsig einst geklettert und etliche Ziegel
übermüthig losgerissen hatte.
Durch den Hausflur, wo rechts und links in Holzverschlägen die
Rinder standen, trat sie raschen Schrittes in die Wohnstube, wo im
Herde gewaltige Buchenkloben schwälten. Da stand sie auch schon
vor ihrer Mutter.
Die Alte war eben aus dem Nachmittagsgottesdienst gekommen.
Noch trug sie die Haube mit den langen Bändern, das schwarze, bis
an den Hals geschlossene Kleid, in der Rechten hielt sie noch das
Gesangbuch. Steif richtete sie sich auf und maß mit ihren scharfen,
durchdringenden Augen, die das runzelige Gesicht wundersam er-
hellten, die Ankömmlinge. Ein Blick und sie hatte die Tochter
erkannt, die dichten, kühn geschwungenen Brauen, die über der