« 1843 •-
Nasenwurzel zusammenwuchsen, zogen sich fester zusammen und sie
fragte kurz, trocken:
„Was willst Du?"
Liesen krampfte sich das Herz zusammen. Aber sie faßte sich,
denn sie dachte der vergangenen Monate des schwarzen Hungers,
des theuren Mannes und des geliebten Kindes, das sie an ihrer
Brust trug.
„Mutter, ich komme zu Dir in meinem Elend, um für mich,
für meinen Mann und mein Kind um Brot zu bitten. Mein Karl
ist ohne Arbeit, wir können uns nicht anders helfen, rette Du uns
vor dem Untergang. Du sollst uns nichts schenken, mein Mann ist
fleißig, auch ich kann
arbeiten. Du sollstjeden
Pfennig zurückerhalten
und wenn wir arbeiten
müßten, bis uns das
Blut unter den Nägeln
hervorquillt."
Die Greisin ant-
wortete kalt, ruhig,
bemessen:
„Nein! Euch gebe
ich keinen Pfennig.
Denkst Du denn, ich
weiß nicht, was und
wer Dein Mann ist?
Ein gottloser Aufwieg-
ler, der seine Hand aus-
streckt nach dem Be-
sitze Anderer, der kein
Christenthum hat, der
zur ewigen Höllenpein
verdammt ist gleich Dir
und diesem Kinde da,
das in Sünden auf-
wächst. Du bist von
meinein Herd gegangen,
weil Du taub warst für
Gottes Wort, weil Du
der eitlen verlogenen
Freiheit nachliefst, die
Euch Alle ins Ver-
derben bringt. Der
Finger Gottes zeigt sich
nun. Wer sich erhöht,
der soll erniedrigt wer-
den. Und nun liegt er
im Staube, der Auf-
rührer, der Antichrist;
hebe Dich weg von ihm
mit Deinem Kind und
komme zu mir! Bleibst
Du aber bei ihm, so
bist Du von diesem Augenblicke an mein Kind nicht mehr."
Blaß, starr, thränenlos hatte Liese zugehört; nun riß das letzte
Band, das sie an dieses Haus geknüpft hatte.
Lautlos wich sie zurück und schritt hinaus, der Höhe zu, auf
die die ersten Schatten des Abends herabsanken. Bergauf keuchte
sie, stürzte, erhob sich, flog über die Höhe, eilte herunter ins Thal,
heim, heim! Keine Rettung, keine Aussicht mehr, und leise rauschte
der Waldbach, den immer mehr die Eisdecke einschloß, der tiefe, kalte
Waldbach, der die Mühle trieb und seine verschwiegenen Wellen
hinabführte in den Strom und in das uferlose Meer.
Das lockte. Und sie hob die Hand zum Himmel und in ihren
Ohren sauste es: Du sollst Vater und Mutter ehren, aber kannst
Du die Mutter ehren, die Dich von sich stieß, weil Deine Welt
nicht ihre Welt ist, weil Du nicht im Himmel, sondern auf Erden
das Menschenglück suchst?
Verführerisch rauscht die Fluth. Von den hohen Thürmen der
Stadt verkündet Glockengeläute den Beginn der Christmette. Dort,
wo die vielen Lichter glänzen, wo die Glücklichen wohnen, die ihren
Kindern ein Bäumchen anzünden können, singen sie jetzt: Ehre sei
Gott in der Höhe!
Der Weihrauchduft fliegt in zarten Wolken zum Schiff der
Kirche empor. Lieblich klingt der Kinderchor, das Glöcklein des
Ministranten ertönt, das Allerheiiigste wird gezeigt und die Gläu-
bigen sinken andächtig
auf die Knie.
Der Glocken me-
tallene Stimmen rufen
auch Liese, doch nicht
zum Gebet. Ihr ganzes
Leben drängt sich in
die heiße Sehnsucht
zusammen nach dem
Manne ihres Herzens,
der verlassen daheim
sitzt und sehnsüchtig
ihrer harrt.
Vorwärts eilt sie,
das schlafende Kind fest
im Arme; jetzt steht
sie vor dem Haus, sie
öffnet die Thüre und
ein Heller, lichter Glanz
strahlt der Schwer-
geprüften entgegen.
Ein Tannenbaum
prangt auf dem Tisch,
das rasch erwachte
Aennchen klatscht ju-
belnd in die Hände
und Liese sinkt betäubt
ihrem Manne in die
Arme.
Nun kommt sie
wieder zu sich, und er
erzählt ihr, daß er jetzt
wieder Arbeit habe.
Die braven Kameraden
in England, welche ihn
in der größten Noth
nicht vergessen, haben
für ihn in Lancashire
gute und lohnende Be-
schäftigung gefunden,
sie haben ihm das
nothwendige Reisegeld
und außerdem einen Vorschuß geschickt, — und ein neues Leben,
ein neuer harter Kampf wird nun beginnen.
*{■ ^
*
Die Lichter am Christbaum sind heruntergebrannt, der letzte
Glockenton ist längst verhallt, und zwei frohe Menschen stehen, sich
innig umschlungen haltend, am Fenster.
Eine kalte, prächtige Sternennacht ist heraufgezogen, in ihren
Herzen aber leuchtet und glüht es und sie geloben sich, für des
arbeitenden Volkes Sache rastlos zu streiten, frei vom Zwange der
Glaubenssätze, im heiligen Bunde mit den Arbeitsbrüdern, für Er-
lösung, für Bildung, für Brot!
Nasenwurzel zusammenwuchsen, zogen sich fester zusammen und sie
fragte kurz, trocken:
„Was willst Du?"
Liesen krampfte sich das Herz zusammen. Aber sie faßte sich,
denn sie dachte der vergangenen Monate des schwarzen Hungers,
des theuren Mannes und des geliebten Kindes, das sie an ihrer
Brust trug.
„Mutter, ich komme zu Dir in meinem Elend, um für mich,
für meinen Mann und mein Kind um Brot zu bitten. Mein Karl
ist ohne Arbeit, wir können uns nicht anders helfen, rette Du uns
vor dem Untergang. Du sollst uns nichts schenken, mein Mann ist
fleißig, auch ich kann
arbeiten. Du sollstjeden
Pfennig zurückerhalten
und wenn wir arbeiten
müßten, bis uns das
Blut unter den Nägeln
hervorquillt."
Die Greisin ant-
wortete kalt, ruhig,
bemessen:
„Nein! Euch gebe
ich keinen Pfennig.
Denkst Du denn, ich
weiß nicht, was und
wer Dein Mann ist?
Ein gottloser Aufwieg-
ler, der seine Hand aus-
streckt nach dem Be-
sitze Anderer, der kein
Christenthum hat, der
zur ewigen Höllenpein
verdammt ist gleich Dir
und diesem Kinde da,
das in Sünden auf-
wächst. Du bist von
meinein Herd gegangen,
weil Du taub warst für
Gottes Wort, weil Du
der eitlen verlogenen
Freiheit nachliefst, die
Euch Alle ins Ver-
derben bringt. Der
Finger Gottes zeigt sich
nun. Wer sich erhöht,
der soll erniedrigt wer-
den. Und nun liegt er
im Staube, der Auf-
rührer, der Antichrist;
hebe Dich weg von ihm
mit Deinem Kind und
komme zu mir! Bleibst
Du aber bei ihm, so
bist Du von diesem Augenblicke an mein Kind nicht mehr."
Blaß, starr, thränenlos hatte Liese zugehört; nun riß das letzte
Band, das sie an dieses Haus geknüpft hatte.
Lautlos wich sie zurück und schritt hinaus, der Höhe zu, auf
die die ersten Schatten des Abends herabsanken. Bergauf keuchte
sie, stürzte, erhob sich, flog über die Höhe, eilte herunter ins Thal,
heim, heim! Keine Rettung, keine Aussicht mehr, und leise rauschte
der Waldbach, den immer mehr die Eisdecke einschloß, der tiefe, kalte
Waldbach, der die Mühle trieb und seine verschwiegenen Wellen
hinabführte in den Strom und in das uferlose Meer.
Das lockte. Und sie hob die Hand zum Himmel und in ihren
Ohren sauste es: Du sollst Vater und Mutter ehren, aber kannst
Du die Mutter ehren, die Dich von sich stieß, weil Deine Welt
nicht ihre Welt ist, weil Du nicht im Himmel, sondern auf Erden
das Menschenglück suchst?
Verführerisch rauscht die Fluth. Von den hohen Thürmen der
Stadt verkündet Glockengeläute den Beginn der Christmette. Dort,
wo die vielen Lichter glänzen, wo die Glücklichen wohnen, die ihren
Kindern ein Bäumchen anzünden können, singen sie jetzt: Ehre sei
Gott in der Höhe!
Der Weihrauchduft fliegt in zarten Wolken zum Schiff der
Kirche empor. Lieblich klingt der Kinderchor, das Glöcklein des
Ministranten ertönt, das Allerheiiigste wird gezeigt und die Gläu-
bigen sinken andächtig
auf die Knie.
Der Glocken me-
tallene Stimmen rufen
auch Liese, doch nicht
zum Gebet. Ihr ganzes
Leben drängt sich in
die heiße Sehnsucht
zusammen nach dem
Manne ihres Herzens,
der verlassen daheim
sitzt und sehnsüchtig
ihrer harrt.
Vorwärts eilt sie,
das schlafende Kind fest
im Arme; jetzt steht
sie vor dem Haus, sie
öffnet die Thüre und
ein Heller, lichter Glanz
strahlt der Schwer-
geprüften entgegen.
Ein Tannenbaum
prangt auf dem Tisch,
das rasch erwachte
Aennchen klatscht ju-
belnd in die Hände
und Liese sinkt betäubt
ihrem Manne in die
Arme.
Nun kommt sie
wieder zu sich, und er
erzählt ihr, daß er jetzt
wieder Arbeit habe.
Die braven Kameraden
in England, welche ihn
in der größten Noth
nicht vergessen, haben
für ihn in Lancashire
gute und lohnende Be-
schäftigung gefunden,
sie haben ihm das
nothwendige Reisegeld
und außerdem einen Vorschuß geschickt, — und ein neues Leben,
ein neuer harter Kampf wird nun beginnen.
*{■ ^
*
Die Lichter am Christbaum sind heruntergebrannt, der letzte
Glockenton ist längst verhallt, und zwei frohe Menschen stehen, sich
innig umschlungen haltend, am Fenster.
Eine kalte, prächtige Sternennacht ist heraufgezogen, in ihren
Herzen aber leuchtet und glüht es und sie geloben sich, für des
arbeitenden Volkes Sache rastlos zu streiten, frei vom Zwange der
Glaubenssätze, im heiligen Bunde mit den Arbeitsbrüdern, für Er-
lösung, für Bildung, für Brot!