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1862

Der Gewaltmensch. «4«-

„Jetzt ein Gebulltmensch her!" hör' ich sie schreien,
„Ein Aebermensch von echtem Schrot und Korn,
Der von dem rochen Lwong unF kann befreien
Mit seinem heiligen Leutonenzorn,

Der unK erlöst au^ allen unfern Köthen,

Ein Kürassier, der wettert grimm und flucht!

Wa^ sich entgegenstemmt, mag er zertreten
Mit des bespornten Stiefels schwerer Wucht!

„Jetzt ein Gewaltmensch her! Wenn seine Lritte
Lur Kuh' gestampft das aufgewühlte Land,

Dann ist gerettet Gut und Ehr' und Sitte
And wap sonst Alle^ auf dem Spiele stand.

Mur so kann noch der Kothen sich erwehren
Lur Leit Kapitalist und Aktionär,

Die wollen doch in Kuh' ihr Geld verzehren,

DsF sie erworben sich so hart und schwer!"-

Er kommt, er kommt mit seinen Goliathötritten,
Mit seinen Stiefeln nagelschwer und grob;

And wo er überF Tand hinweggeschritten,

Ist's dürr, wie wenn der Samum drüber schnob.
Gepriesen, angesungen und bewundert
Von der Philister und der Knechte Schwarm,
Fordert herauf da^ zitternde Jahrhundert
Der allgewalt'ge Keich^- und Staats-Gendarm.

Lum Himmel hebt sich stolz der Mick dcF Kiesen —
Holt er den Mond für den Philiftertrosz?

Da weicht der Boden unter seinen Füszen
And dröhnend stürzt zu Baden der Koiosz.

Still hat ein rother Maulwurf untergraben
Den Boden und ward Arsach' solchen FaW;

Reicht brechen kann, wenn er nicht Acht will haben.
Der grüszte Staachnachtwächter seinen Hal§.

Blitzdraht-Meldungen.

Aus Chemnitz ist folgende Pesition an den Reichskanzler eingesandt
worden:

„Erhabene Exzellenz! Unter Hinweis auf die großen Verdienste,
welche sich unser Stammesgenosse Tyras, der erlauchte Reichshund,
um die nationale Sache erworben hat, sei uns gestattet, ebenfalls unser
staatserhaltcndes Scherflcin zum Wohle des Reiches beizutragen, und
allerunterthänigst zu bitten, es möge der Reichstag sofort aufgelöst
werden, wenn er nicht die Finanzreform, die Umsturzvorlage und
den Abgeordneten-Maulkorb apportirt. Gleichzeitig erlauben wir
uns den Vorschlag, die Hundesteuer zur Reichssteuer zu erheben

und durch ihre voraussichtlich glänzenden Ergebnisse die Staatsbürger
darüber zu trösten, daß das Reich auf den Hund gekommen ist.

Mit alleruuterthänigstem Wedeln
Ami. Azor. Karo. Nero. Sultan. Waldmann."

— Hochgestellte Persönlichkeiten versichern, daß in Anbetracht der miß-
lichen Lage internationale Verträge auf pünktliche Lieferung von Radieschen-
samen erster Qualität abgeschlossen seien, die das Durchkommen volks-
freundlicher Vorlagen auf jeden Fall sichern werden.

— Aus Posemuckel erhalten wir die angenehm überraschende Nach-
richt, daß man sich eifrig mit der Ausweisung der dortigen Polizei be-
schäftigt, da sie, wie die Posemuckler hinlänglich erfahren, die persönliche
Sicherheit auf das Aergste gefährdet.

DeF Boykotts Ende.

Die hochwohllöblichen Berichterstatter
Und Leitartikler schreiben lahm sich bald;

Lin wahrhaft stnnbetäubendes Geschnatter
Füllt Tag und Aacht den deutschen Blätterwald.
Lin Heer von widerstreitenden Gedanken
Befehdet sich in namenlosem Grimm;
DieLinenschrei'n: „Der Vrdnung Zäulen wanken!»
Die Andern rufen: „'s ist nicht halb so schlimm!"
Die Linen können nie und nie verzeihen
Den Friedensschluß durch schimpflichen Verrats,
Und ächten laut die reichen Brauereien
Für ihre feige, würdelose Chat,

Die Andern pred'gen lärmend auf den Gassen:
„Ls war für sie ein hartes, bittres „Nuß";
Nan hatte schmählich sie im Ltich gelassen
Und unvermeidlich war der Friedensschluß!"
Und schließlich fehlt es nicht an Aeunmalweisen,
Aach deren Ansicht Alles anders liegt
Und die den Nuth der Brauereien preisen.

Die den Boykott nun ritterlich besiegt.

Lie weisen nach — ja, Lchlauheit ist ein Legen
Und sie versagt bei manchen Leuten nie! —

Ls seien nicht die Brauer unterlegen,

Wohl aber die Lozialdemokratie;

Auf ihre Zähne habe sie genommen
Nit Prahlen eine viel zu harte Auß
Und höchst gelegen sei ihr drum gekommen
Gerade jetzt ein rascher Friedensschluß.

Wer hat nun Aecht? Liegt etwa in der Nitte
Die Wahrheit, die sich zögernd offenbart?
War es vielleicht nach alter deutscher Litte
Lin müßig Ztreiten um des Kaisers Bart?
Nir scheint, das wäre leicht und rasch ergründet
Und würde klar in wenig Ltunden sein,

Aur gehen schwerlich, die sich einst verbündet.
Auf einen solchen simplen Ausweg ein.

Lie brauchten nur die Bücher auszuklappen.
Damit es klar vor Aller Augen liegt;

Wer hat des Ltreites Kosten zu berappen?
Was kostet er? Wer ist mithin besiegt?
Wird seiner Länge nach und seiner Breite
Das unbekannte A der Lumme kund.

Die in dem mehr als überflüff'gen Ltreite
vergoldpapiert der Brauer-Rütlibund,

Des Bieres, das als Lffig fortgeflossen, —

Lo sagt sich wohl der kindlichste verstand.
Daß sie den Frieden deshalb nur geschloffen.
Weil sie zu matt zu fernerm Widerstand,

Und daß den Herrn, die trotzig angefangen
Und protzenmäßig der Gefahr gelacht.

Am Lnde doch die Puste ausgegangen,

Zo daß sie schließlich lieber Kusch gemacht.

Die Wahrheit im Nebel.

Der Tabak hat den Zweck, Wolken zu erzeugen»
welche die Dinge nebelhaft verhüllen. Diesen Zweck
erfüllt er gegenwärtig auch in der Reichsgesetz-
gebung. Von Miguel in Brand gesetzt, glüht und
dampft er int Hintergründe und legt einen solchen
Nebelschleier über die Situation, daß es schwer ist,
ju erkennen, um ivas eigentlich gekäntpft wird.

Dem Geschrei der Rückschrittler nach zti
urtheilen, müßte man meinen, der Staat und
die Gesellschaft seien von Anarchisten mit Gift,
Dolch und Dynamit überfallen worden, und es
sei die höchste Zeit, zu Hilfe zu eilen, daniit die
Ueberfallenen nicht verbluten. Statt dessen han-
delt es sich bei genauerer Information nur um
das Bluten des Tabaks rind das ganze Geschrei
hat nur den Zweck, dein Steuerzahler die Börse
abzufordern.

Die Tabakspfeife ist der Brennpunkt des gegen-
wärtigen Streites zwischen Regierung und Reichs-

tag; der Unrsturz ist nur aus Höflichkeit erfunden
worden, um den Angriff besser zu motiviren, weil
es sich doch nicht schickt, den Leuten so ohne Wei-
teres die Pfeife aus den: Munde zu reißen, damit
sie der Fiskus weiter rauche.

Die nebelhafte Unsicherheit in der Bezeichnung
der Dinge hat sich indessen über das ganze Ge-
biet der politischen Diskussion verbreitet.

Wenn man von „Schutz der nationalen Ar-
beit" redet, so meint man, daß die Krupp und
Stumm eigentlich doch zu lvenig verdienen und daß
sie ein paar Millionen mehr verdienen könnten,
wenn die Arbeiterschutzgesetze, sowie das Wahlrecht
und die noch vorhandenen Trümmer des Koali-
tionsrechtes beseitigt wären.

Tritt ein Konservativer für die staatliche Unter-
stützung der wirthschaftlich schwächeren Klassen ein,
so meint er, daß die armen Leute recht gut eine
Vertheuerning des Brotes zu Gunsten der Lati-
fundienbesitzer vertragen können.

Wenn man vom Schutze unserer Grenzen
gegen den äußeren Feind spricht, so will mau
danüt sagen, daß adeligen Jünglingen, welche sich
durch eigene Arbeit keinen Rock erschwingen können,
ein solcher aus Staatsmitteln gewährt werden
muß, ohne daß man dies eine Armenunterstützung
nennen darf.

Ein treffliches Wort ist auch dasjenige vom
„sozialen Frieden". Wer dieses Wort im Munde
führt, der spricht damit den Wunsch aus, daß
die wirthschaftlich Unterdrückten mundtodt gemacht
werden sollen, damit sic nicht im Stande sind,
ihre Beschwerden anzubriugcn und ihr Elend
öffentlich zu verkünden.

Die merkwürdigste Bezeichnung von allen ist
aber „der innere Feind". Wer ist der innere Feind?

Der innere Feind ist vor Allem die Wissen-
schaft, welche die Religion untergräbt und die
 
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