Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
1879 -

bIanS“äier9iin0er noc& e*ncn Blick rückwärts auf die Stadt, auf die blitz-
/ .^Echcn Landhäuser der Oberstadt, die in vornehmer Zurück-
r°8Mhe,t zu schlafen schienen.

auf enn U1mn a^er *n dichtem Gedränge, wie ein Haufe Volks, das sich
UnterftrtSf1 ^aun!c stößt und schiebt, lag das arbeitsame, rußige Viertel der
und ßu,--'’ U!n die Fabriken und Werkstätten lagerten sich in schmalen Zeilen
wie dos r" Zinshäuser, Backsteinkolosse von fünf Stockwerken, nüchtern
Verlas, '?"?dlbuch eines Baumwollhändlers. Ocde, häßlich, in trostloser
Hilfe i, *1 . ^nßen ste, wie Waisenkinder, denen Keiner Schuh und Trost,
in arcirfT £I? Bischen Liebe schenkt. An die hohen Kasernen, wo Hunderte
drückten n^' ’n ßsticher Aussichtslosigkeit zusammengewürfelt hausten,
scbief s- 'S ^cu verfallene Häuschen, mit Stroh gedeckt, das Dach wind-
lose in ^ ^ nur noch

sermeer'^berdemHäu-

schwebte^" webte und
Schlei^ ^5 ^be schwarze
Kwn hei?N ^n»er und

u»d Armut??-'*IOfi0feit
ftürrtp ch spinnen, um-

° sen lauj? und Jn-
u„L cC ?^°ß und Klein,
hielt ^?er die Hülle
verstri,,^ S*™ unlösbar
ab 'r 3« den Werken
nllim dert-n die Feuer,
der Blass^^'^U' ^sauchte
matten 8S0' Inster den
und ramu^'^n sprangen
nur, undeutlich

schasfenk^U'^e Arbeiter,
end. suchend, schwitz-
Spiudesn ^ schwirrten,

Garnsta,b ^ der

dichten Wme n,u'5erte

ons^n empor, die

... vUiyUW Ütt

Transmissions-Riemen
fuhren klatschend aut und
' rt stm
chel in

und wuschen

nieder ~'^"u auf und
an die' standen bis

nn die Knöchel inr Wasser
die Färber und wuschen
die gefärbten Garne. Hier
arbeiteten sie, bis aus den
Gürtel nackt, im Trocken-
zimmer, wo die stickige,
tropische Hitze brütete.

Dort aber, zwischen
der mechanischen Weberei
und der Handschuhsabrik
erblickte er die massigen
Sandsteinwände des Ge-
fängnisses. Man konnte
deutlich die Schildwache
sehen,die mit geschr
Gewehr aus der Umfas-

sungsmn""- '°

G-wchr ""EuNertem

sungsmaue 'h^ Umfas

stef. Do sJ. i tU: und her

M-ssethäter^^°"^'°

sangen ibn S0n ^ute früh, die Umstürzler. Weiter, weiter! Scho» um-
bte Soun» ft6 ^ snschmden Schatten des Waldes, auf dessen grünem Laub
aerschlunae ^Zahlen in goldigen Lichtern spielen. Hier ist's still, auf diesem
hiueinfük,?^^ s^walen Pfade, der in die zauberische Waldeinsamkeit mitten
Immer m f, °a wo der Specht nistet und der Häher sein Wesen treibt,
wände ab'^/S^"0^ W der Weg, rechts und links fallen steil die Bcrg-
^klsnasen' „ - stukrecht geht es hinab. Nur hie und da springen zackige
Schluchz us den kahlen Abhängen hervor. Unten in der Tiefe eine
kantigcu'P^^^ wit Granitblöcken, zersprengten Gesteinstrümmern, scharf-
dic einst hj^ das liegen gelassene Spielzeug der vulkanischen Gewalten,
Da fm-m * e*T,^* Ein leiser Schauer umweht den Staatsanwalt,
velnde, krabi>-a !?^blich aus dem Gebüsch der kribbclnde, wibbelnde, zap-
r- ^06 ©tfmpTSpv Spr SJUiiMpr hpr OhtfmtpnTpr hpr ITrmtliP'

die «JLe.

Schneider, der Wühler, der Aufwiegler, der Unruhe-
oie grosi- f ,~,er dom Strafgerichte entging. In der Linken schwingt er
Schncidcrsck ''""dpende, klappende, spiegelblanke, haarscharfe, frischgewctztc
sstiosenlim,,,^"^ die sich öffnet und schließt wie die gierigen Scheercn eines
Lid offen ;rf 'C^* 2n der Rechten trägt er ein blinkendes Bügeleisen, dessen
auf und *cr sprühende, glühende, funkelnde, sengende Bolz schwappt
>eoer, als wollte er flugs auf den Wanderer mit voller Wucht

losfahren. „Hi, hi", schrie grüßend das Schneiderlcin, „jetzt wollen wir
Dich mit aller Schärfe treffen, Dich, der gegen die Heiligkeit der Gesetze
der Menschlichkeit frevelt. Kein falsches Mitleid!" Dem Bedrohten ver-
sagten beinahe die Sinne. Da Hub sich neben ihm drall, derb, handfest,
der Schlosser, das Schurzfell um die Leuden, den Schraubstock vor sich,
mit Feile und Zange, bereit an ihm zu stemmen, zu bohren und zu löthen.
lieber dem buschigen Haupte schwang er dräuend den Zentrumsbohrer und
rief: „Leg'Dich her, Bürschlein, auf den Schraubstock, ich will die Klammer
befestigen mit Hammer rmd Gluth, auf daß die soziale und politische Or-
ganisation ja nicht zusammenbreche. Ist so schon gar wacklig geworden."

„Halt da, Brüder, der Mann gehört mir", tönte da die Stimme des
Rothfärbers. Droben auf dem Gipfel, der sich steil in die Wolken hob,
stand er da. Ein Quell rauschte in seine Färberwanne,
und ein Kübel guter, unauslöschlicher, dauerhafter
rother Farbe war auch zur Hand. Hinter ihm der
Schlosser, bei ihm der Schneider, vor ihm der Färber.
In Todesangst, Schweißtropfen auf dem zuckende»
Gesicht, entwich er nach oben und rückte sich selber
hinein in die Hände des Niesen, der die Hemdärnicl
hoch aufgestreift hatte und die Muskeln auf den sehnigen
Armen spielen ließ. Ein Griff, ein Ruck, ein Gurgeln, ein
Sprudeln, ein Plätschern, ein Schieben, ein Umziehen, daß die
Farbe auch in das letzte Fältchen des Gesichtes drang und die
bereits sehr hohe Stirn mit blutrothcnr Farbstoffe beizte. „Der
Staat ist in Gefahr, er muß gerettet werden", rief der Färber,
„darum färben wir die Staatsanwälte roth, roth, roth. Die
Farbe hält ewig." Schnaufend, stöhnend, schlotternd stand
der Gefangene; die Sonne trocknete schnell. In teuflischen
Sprüngen umkreisten ihn die drei und sangen nach der Jung-
sernkranzmelodie: „Schöner rother, schöner rother Staats-
anwalt, juchhe!" Dann verschwanden sie im auf-
steigenden Nebel.

Was sollte er beginnen? Dem Fluche der
Lächerlichkeit mar er verfallen, er konnte sich nicht
mehr auf der Straße sehen lassen, er durfte nicht
plädiren. Gefärbt, angestrichen wie ein Jahr-
markts-Indianer, ein Rother wider Willen. Die
Leute zeigen mit Finger
auf ihn, sie tuscheln sich
Spottredcn in die Ohren,
sie zischeln, sie lächeln,
sie lachen, sie bedauern
ihn, während die Schaden-
freude aus jedem Worte
hcrausgellt. Er muß fort,
aus seiner Laufbahn ist
er herausgcworfen, er ist
verloren.

„Schöner rother, schö-
ner rother Staatsanwalt,
juchhe!"

In dem spicgelklarcn
Wasser des Wildbachs sieht
er sich, entstellt, bluthroth,
dunkelroth wie die Fahne,
die die Sozialdemokraten
bei der letzten Wahl auf
dem Blitzableiter des Rathhausthurmes aufgehißt haben in dunkler Nacht.
Weinend warf er sich nieder auf den moosigen, feuchten Grund.

„Aber, um Gotteswillen, Männchen, so wache doch auf, Du erkältest
Dich ja auf den Tod", so rief die zärtliche Gattin und rüttelte ihn hefsig
an den Schultern. Er lag noch auf der Erde, die Thränen rollten lang-
sam über die Wangen. Er faßt mit den Händen ins Gesicht, die Finger
werden feucht und glänzen in dunklem Roth. Er fährt in die Höhe,
schreckgepeitscht: „Der Färber war's, der Schneider und der Schlosser sind
der Beihilfe schuldig. Es ist Alles aus."

„Was ist Dir, Fritz?" fragt entsetzt die Gattin. Er schaut um sich,
er ist in seinem Garten. Er hat ihn gar nicht verlassen. Nach dem Essen
ist er eingenickt, hat lebhaft geträumt und ist im Schlafe von dem Garten-
stuhl auf ein Beet gerutscht. Aber roth war er, roth gefärbt von der
Stirn bis zunr Hemdkragen. Der Herr Staatsanwalt war in das Erd-
beerbeet gefallen, wo Hunderte schwellender, großer, duftiger Früchte reiften.
Er hat seitdem nie wieder im Garten geschlafen. Acht Tage später hatte
er den grünen Gcierorden am weißen Bande mit der Inschrift: Gerechtig-
keit ist die Grundlage der Königreiche. Wie hätte es auch anders kommen
dürfen in dieser besten aller möglichen Welten?

--
 
Annotationen