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— 1882

Jin Fasching.

6 Faschingszeit, o schöne Leit,

_ Wie stimmst du heiter unsre Seelen!

Die Marren lassen weit und dreir
An Tust und Kurzweil es nicht fehlen.

Und wie die Hexe Politik

Ihr ernstes Antlitz legt in Falten,

Sie kann sich doch — o Mißgeschick! —
Die Marrheit nicht vom Teike halten.

Da mag Graf Vrauitz ernst sich müh»

Mit sozialistischen Problemen,

And König Stumm in Lorne^glühn
Die Lnstuchr zur Vistole nehmen.

Mit anonymen Briefen mag

Der Koller Amsturz-Stimmung machen —

Der Mühe Lohn ist ohne Frag'

Ein närrisch-frohes Faschingölachen.

Wie putzig erst, wenn Schwarze sich
Für des Kulturkampfs Anbill rachen
And Anlauf nehmen, fürchterlich.

Der Wissenschaft den Dalö zu brechen!

Wie komisch, wenn der Henkerstrick,

Der für die Gothen auserkoren.

Sich plötzlich schlingt um das Genick
Der liberalen Professoren.

Es springt ein froher Hoffnungsguell
Für alle Spitzel, alle Streber,

Ein kurzer Schritt zu Schiller's „Lell"

Mur ist es noch von Hauprmann'ö „Weber".

And wenn den „Sozialistenmarsch"

Kein Sängerchor darf intaniren.

Dann kann der grimme Schutzmann barsch
Den „Sang an Aegir" konfisziren.

Die allgemeine Heiterkeit

Erfrischt, was grämlich sonst und triste,

Lum Tachen zieht das Antlitz breit
Der Bismarck, die Gaketenkistc.

Er schielt nach Hohenlohe hin.

Dem Gückschritts-Hort, dem altersschwachen.

And spricht mit selbstzufriednem Sinn:

„Mein, schlechter könnt' ich's auch nicht machen."

So tobt sich in der Faschingsnacht
Die Marrheit aus in tollen Scherzen,

Besonders aber Einer lacht
Darüber laut aus vollem Herzen —

Das ist der rothe Sozialist!

Wie auch die Feinde seiner harren.

Er weisz, dasz er der Stärkre ist.

And hält sie allesammt zum Marren. m. k.

Die gute alte Zeit.

Ireut euch, sie wird wieder kommen
Unsre gute, alte Zeit,

Lind die Guten und die Frommen
Längst doch schon in Thätigkeit!

Aus des Mittelalters Borne
Schöpfen sie sich neue Araft
Und vor ihrem heil'gen Zorne
Flieht die falsche Wissenschaft.

Bringt es euch nicht hohe Wonne,
Wenn demnächst im Schulbuch steht.
Daß sich unsre alte Lonne
Mieder um die Lrde dreht?

Wer darein setzt einen Zweifel,

Zst von Höllenmacht bethört.

Und man weiß, daß er zum Teufel
Nächtlich auf den Blocksberg fährt.

Millionen böser Geister
Spuken bald in Wald und Flur,

Hexen viel und Zaubermeister
Winden sich auf der Tortur,

Und manch Frommer hofft zu schauen.
Wie im weiten deutschen Land
Man die Männer und die Frauen
Schleppt zum Scheiterhaufenbrand.

Mit den Amuletten wieder
Machen wir uns kugelfest
Und es kommen Geißelbrüder,

Wenn im Lande rast die Pest.

In des Paradieses Garten
Lohnt sich unser Lrdenleid —

Ach, wir könnens kaum erwarten.

Bis sie kommt, solch schöne Zeit!

Frau Heintze.

„Wo ist die Frau?" fragt man stets, wenn
eine überraschende, logisch nicht erklärbare Dumm-
heit in der Welt geschieht.

„Wo ist die Frau?" fragte man, als die
biederen Zentrumsführer bei der Kommisstous-
berathuug des llmsturzgesetzes urplötzlich um-
fielen und sogar ihre geliebten Jesuiten ini Stiche
ließen.

Da mußte eine Frau im Spiele sein; denn
man weiß ja: auch die Klerikalen sind den Frauen
hold — die Mitthcilungen in Corvin's „Pfaffen-
spicgel" und unzählige Sitten-Kriminalprozesse
aus unseren Tagen beweisen das.

Der Name der Frau, die hier eine Rolle
spielt, wurde nur zu bald verrathen — es ist die
schlichte Frau Heintze, welche im Karneval 1895
von den Klerikalen ausersehen ivurde, eine Rolle
in der deutschen Gesetzgebung zu spielen, nachdem
dieser Versuch schon im Karneval 1893 — dauials
allerdings vergeblich — gemacht wurde.

. Dem Worte Goethc's folgend: „Willst du er-
fahren, was sich schickt, so frage nur bei edlen
Frauen an", haben die Ultramontanen ein neues,
strenges Sitten- und Anstandsgesetz ins Auge ge-
faßt, welches sie ihrer Frau Heintze verdanken
und daher die lex Heintze genannt haben. Unter
dem tugendreichen Namen Heintze soll die deutsche
Literatur von allen freien Anschauungen über
Sitte und Moral gesäubert werden, Maler sollen
verhindert werden, nackte Frauengestalten auf die
Leinwand zu zaubern, Bildhauer sollen gezwungen
sein, die Venus im Regenmantel darzustcllen, und
von der Liebe soll nirgends mehr die Rede sein,
ausgenommen höchstens in der Ohrenbeichte.

Da die Schwarzen dieses keusche und tugend-
same Heintze-Gesetz nicht selbständig durchbringen
konnten, haben sie cs in die Umsturzvorlage ein-

I geschmuggelt, sich mit letzterer dadurch befreundet,
und werden ihrer neuen Heiligen, der Frau Heintze,
den Rest der deutschen Preß- und Redefreiheit
als Opfer darbringen.

„Wer ist nun diese Frau Heintze und welche
Beziehung hat sie zu Kunst und Literatur, Presse
! und Politik?" So fragt der erstaunte Zuschauer
des neuesten Zentrums-Purzelbaumes mit Recht.

Wir wollen den Lebensgang und die Bedeutung
der neuen Heiligen kurz schildern.

Frau Heintze war eine Berliner Prostituirte.
Man lasse sich aber durch diesen nebensächlichen
Uinstand nicht täuschen. Frau Heintze las nie
ein Buch der modernen Literatur, sie verschmähte
sogar die Klassiker. Frau Heintze besuchte keine
Gemäldegalerie rmd keine Kunstausstellung —
augenscheinlich war ihr also der freie Ton der
Modernen zuwider und das freie Walten der
I bildenden Künstler im Reiche der Schönheit fand
keinesfalls ihre Billigung.

Die böse Welt fand — zum großen Kummer
der Schwarzen — trotz Frau Heintze noch immer
Gefallen an moderner Kunst und Literatur.

Wahrscheinlich nur, um diesem betrüblichen
Zustand ein Ende zu machen, ist Frau Heintze
zur That geschritten. Sie hat sich — das Mittel
ist seltsam, aber drastisch — an der Ermordung
eines Nachtwächters betheiligt, wurde verhaftet,
vor Gericht gestellt, und fand hier endlich Ge-
legenheit, die Verderbtheit der Welt vor Aller
Augen zu enthüllen.

Freilich hat sie dabei nichts von Kunst und
Literatur, nichts von Klassikern und Modernen
gesagt, es ist sogar bekannt, daß sie von diesen
Dingen gar keine Ahnung hatte, aber dieses fehlende
Glied in der Kette wußten die Schwarzen und
die Mucker leicht zu ergänzen.

Ein Dorfschulmeister dozirte einst mit glän-
zender Logik: „Dieweil der Löwe ein reißendes
 
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