- 1896
'"grimmig die Stirne runzeln über die weltliche Ausgelassenheit, daS
heitere Kind sang und sprang, scherzte und tirilirte vergnügt wie eine
Amsel im Juni. Und ernstlich konnte der Vater ihr auch nicht zürnen.
Denn so sehr er auch getränkt war von Gott-
seligkeit, eine Stelle seines Wesens war davon
nicht versehrt worden. Er liebte sein Kind über
Alles, und er sorgte für sein Herzblättchen nach
Kräften. Alle eingeborene Güte und Anmuth
Nsmschlicher Natur hatte sich bei ihm auf diesen
nnen Gegenstand mit Allgewalt konzentrirt,
und so gebrochen sein Gemüth durch die
Demuth war, es gab darin einen Winkel, wo
die Blume der Menschlichkeit still und schön
diuhte. Ist ja doch kein Mensch so verderbt
und verworfen, daß nicht eine reine Empfin-
düng in seiner Brust einmal glühte und wirkte.
Was ihm fehlte, das besaß er in seiner Grete,
die Sonnenschein ins Haus und Frohsinn in
die Seele brachte. Einige Jahre älter als
des Lakaien Töchterchcn war des Schloßherrn
ältester Sohn, Junker Botho, ein wilder Gesell,
der, das Feuerrohr auf der Schulter, durch
Feld und Forst strich, mit gleichgesinnten
Kumpanen becherte und würfelte, und hinter
isdem Unterrock herstrich. Dann kam er in
ein Reiterregiment als flotter Fähndrich und
diente in der Kreisstadt.
Eines Tages kam er auf das väterliche
schloß, wie immer bereit, das Herrenrecht
i^ech und skrupellos zu üben. Noch nie hatte
er ein so anmuthiges Mädchen erblickt, wie
Gottliebs Grete. Der Rattenfänger ging ans
Werk
Ein Schrei, ein Sprung
und wie leicht wurde es ihm, em
JJW Dings von siebzehn Jahren mit heißen
^chmeichelworten und falschen Schwüren zu
dethören. Hinterm Schlöffe in den dichten,
geschlungenen Jrrgängen des Parks trafen sich die Beiden. Tag um
verflog und Woche um Woche, und Gretchen ergab sich dem
iliirmischen Drängen. Gottlieb aber ging derweilen ahnungslos zum
Herrendienst ins Schloß, zum Gottesdienst in die Kirche, bürstete die
Kleider des Grafen und des Grafensohnes, servirte ihnen bei Tisch und
^ überglücklich, als Junker Botho ihn auf die Schulter klopfte. Ach
e8 ist so schön, in Treuen zu gehorchen.
. Nun kam der Herbst, die gelben Blätter fielen, über die Stoppeln
blies der Ostwind. Gretel aber tvard stiller und trauriger von Stunde
ru Stunde, aber sie schwieg, als der Vater sie fragte, ob sie Kummer
habe. Botho lief in der
Kreisstadt wieder hinter jeder
schürze her wie sein Papa
und kehrte sich den Teufel
'"u das verlassene Mädchen,
(cn flüchtigen Zeitvertreib ei-
Sommerurlaubs. Eines
6enbs glitt Gretchen zum
)ause heraus, auf die Wiese
den Teich. Schon sank
te Nacht hernieder, der Mond
^steckte sich hinter einem
^olkenschleier. Die Verzweif-
^"3, preßte der Armen die
'tlvust zusammen. Sie war
^vrrathen und verlassen, sie
^ud das Kind, das sie unter
em Herzen trug. Ein Schrei,
Sprung, die Wasser
duschten, zogen ihre Kreise,
und Alles war vorüber. Sic
vrurde aus dem Teich ge-
igen, das zarte Gesicht kalt
^d weiß wie Marmor und
so ruhig, so friedlich. Die Selbstinörderin wurde an der KirchhofSmaue:
eiugescharrt, ohne daß die Glocke läutete, ohne daß der Pfarrer sie ge-
leitete. Und Gottlieb kniete am Grabe, raufte sich daS Haar und vor seinem
Auge zerriß ein Nebel, er fing an zu sehen.
Doch in Demuth lebte er weiter, und zwei
Wochen später — Junker Botho war gerade zu
Besuch gekommen — sprach der alte Ranunkel-
steiner: Gottlieb, Du fährst morgen mit zur
Kreisstadt, Du hast uns morgen gerade fünf-
undzwanzig Jahre gedient, Dir soll Dein Lohn
werden. Mein Sohn und ich werden auch
dort sein. Gottlieb neigte das Haupt, und
in der Frühe klopfte er des Junkers bunten
Waffenrock gehorsam aus. Da raschelte aus
der Brusttasche, wo es locker gesessen, ein
Blättchen Papier zur Erde. Gottlieb hebt
es auf und erkennt die Handschrift seiner
Tochter. Es ist ihr Abschiedsbrief an den Ver-
führer, eine furchtbare Anklage, die Alles ent-
hüllt. Der Alte schwankt und hält sich an der
Stuhllehne. Das ist ju viel. In seinem Kopfe
saust es, und seine Hände krallten sich zusammen.
Ein tödtlicher Grimm steigt ihm in die Höhe,
und auf seiner Zunge verspürt er eilten Ge-
schmack, so bitter wie Galle. O der Schuft,
ächzt er, der Schuft!
Da klingelt es beim alten Grafen. Der
Wagen fährt vor, und Göttlich schreitet hinter
Vater und Sohn die Treppe hinab, bleich bis
in die Lippen, aber still, gefaßt, ergeben. Er
steigt auf den Bock, der Wagen fliegt davon.
Auf dem Landrathsamt im großen Saale drängt
sich eine festliche Versammlung; Amtmänner,
adelige Grundherren, Assessoren, Damen in
Sammt und Seide auf bequemen Lehnstühlen
plaudern und lächeln. An der Thür drängen
sich scheu gebückte, verkümmerte, verwitwete, jämmerliche Leutchen in
schlichtem Rock, in dürftigem Fähnchen; gebeugte Gestalten, die den Stempel
der jahrzehntelangen Frohnde tragen, Furchen auf der Stirn, auf der
zitternden Hand die Schwielen, alte Dienstboten. Heute sollet: sie „für
treue Dienste" prämiirt werdet: mit Bronze- und Silbermedaillen. Ztt
' ihnen gesellt sich Gottlieb. Und er wird zuerst aufgerufen.
Wie im Traum schreitet er vor, auf schwankenden Füßen, die Blicke
ins Leere gerichtet. Schon lobt der Landrath mit schnarrender Stimme
den braven Diener, den dentüthigen Gottlieb. Durch des Junkers Botho
Hand soll ihm die silberne Schaumünze an den Rock geheftet werden. Mit
stivolem Lächeln tritt der
Junker ai: ihn heran. Da
reißt ihm Gottlieb die Münze
aus der Hand, tritt sie mit
Füßen, speit ihm ins Gesicht,
schreit mit heiserer Stimme:
Da hast Du den Dank, Du
Lump, Du Verführer, Du
Schurke, und rennt ihm ein
Messer durch den Leib.
Gottlieb war bald gepackt,
gefesselt und hinter Schloß
und Riegel gebracht. Er ist
im Zuchthaus gestorben. Aber
gebetet und geduckt hat er nicht
mehr bis an sein Ende. Auf
dem Sterbebette im Lazareth
hat er sich noch einmal auf-
gerichtet, als schon der Tod
ihn mit eiskalten: Griffe schüt-
telte und gerufen: Fluch den
Herren!
So ist er gestorben, der
demüthige Gottlieb.
und Alles war vorüber.
.Da hast Du den Dank. Du Lump, Du Verführer'
'"grimmig die Stirne runzeln über die weltliche Ausgelassenheit, daS
heitere Kind sang und sprang, scherzte und tirilirte vergnügt wie eine
Amsel im Juni. Und ernstlich konnte der Vater ihr auch nicht zürnen.
Denn so sehr er auch getränkt war von Gott-
seligkeit, eine Stelle seines Wesens war davon
nicht versehrt worden. Er liebte sein Kind über
Alles, und er sorgte für sein Herzblättchen nach
Kräften. Alle eingeborene Güte und Anmuth
Nsmschlicher Natur hatte sich bei ihm auf diesen
nnen Gegenstand mit Allgewalt konzentrirt,
und so gebrochen sein Gemüth durch die
Demuth war, es gab darin einen Winkel, wo
die Blume der Menschlichkeit still und schön
diuhte. Ist ja doch kein Mensch so verderbt
und verworfen, daß nicht eine reine Empfin-
düng in seiner Brust einmal glühte und wirkte.
Was ihm fehlte, das besaß er in seiner Grete,
die Sonnenschein ins Haus und Frohsinn in
die Seele brachte. Einige Jahre älter als
des Lakaien Töchterchcn war des Schloßherrn
ältester Sohn, Junker Botho, ein wilder Gesell,
der, das Feuerrohr auf der Schulter, durch
Feld und Forst strich, mit gleichgesinnten
Kumpanen becherte und würfelte, und hinter
isdem Unterrock herstrich. Dann kam er in
ein Reiterregiment als flotter Fähndrich und
diente in der Kreisstadt.
Eines Tages kam er auf das väterliche
schloß, wie immer bereit, das Herrenrecht
i^ech und skrupellos zu üben. Noch nie hatte
er ein so anmuthiges Mädchen erblickt, wie
Gottliebs Grete. Der Rattenfänger ging ans
Werk
Ein Schrei, ein Sprung
und wie leicht wurde es ihm, em
JJW Dings von siebzehn Jahren mit heißen
^chmeichelworten und falschen Schwüren zu
dethören. Hinterm Schlöffe in den dichten,
geschlungenen Jrrgängen des Parks trafen sich die Beiden. Tag um
verflog und Woche um Woche, und Gretchen ergab sich dem
iliirmischen Drängen. Gottlieb aber ging derweilen ahnungslos zum
Herrendienst ins Schloß, zum Gottesdienst in die Kirche, bürstete die
Kleider des Grafen und des Grafensohnes, servirte ihnen bei Tisch und
^ überglücklich, als Junker Botho ihn auf die Schulter klopfte. Ach
e8 ist so schön, in Treuen zu gehorchen.
. Nun kam der Herbst, die gelben Blätter fielen, über die Stoppeln
blies der Ostwind. Gretel aber tvard stiller und trauriger von Stunde
ru Stunde, aber sie schwieg, als der Vater sie fragte, ob sie Kummer
habe. Botho lief in der
Kreisstadt wieder hinter jeder
schürze her wie sein Papa
und kehrte sich den Teufel
'"u das verlassene Mädchen,
(cn flüchtigen Zeitvertreib ei-
Sommerurlaubs. Eines
6enbs glitt Gretchen zum
)ause heraus, auf die Wiese
den Teich. Schon sank
te Nacht hernieder, der Mond
^steckte sich hinter einem
^olkenschleier. Die Verzweif-
^"3, preßte der Armen die
'tlvust zusammen. Sie war
^vrrathen und verlassen, sie
^ud das Kind, das sie unter
em Herzen trug. Ein Schrei,
Sprung, die Wasser
duschten, zogen ihre Kreise,
und Alles war vorüber. Sic
vrurde aus dem Teich ge-
igen, das zarte Gesicht kalt
^d weiß wie Marmor und
so ruhig, so friedlich. Die Selbstinörderin wurde an der KirchhofSmaue:
eiugescharrt, ohne daß die Glocke läutete, ohne daß der Pfarrer sie ge-
leitete. Und Gottlieb kniete am Grabe, raufte sich daS Haar und vor seinem
Auge zerriß ein Nebel, er fing an zu sehen.
Doch in Demuth lebte er weiter, und zwei
Wochen später — Junker Botho war gerade zu
Besuch gekommen — sprach der alte Ranunkel-
steiner: Gottlieb, Du fährst morgen mit zur
Kreisstadt, Du hast uns morgen gerade fünf-
undzwanzig Jahre gedient, Dir soll Dein Lohn
werden. Mein Sohn und ich werden auch
dort sein. Gottlieb neigte das Haupt, und
in der Frühe klopfte er des Junkers bunten
Waffenrock gehorsam aus. Da raschelte aus
der Brusttasche, wo es locker gesessen, ein
Blättchen Papier zur Erde. Gottlieb hebt
es auf und erkennt die Handschrift seiner
Tochter. Es ist ihr Abschiedsbrief an den Ver-
führer, eine furchtbare Anklage, die Alles ent-
hüllt. Der Alte schwankt und hält sich an der
Stuhllehne. Das ist ju viel. In seinem Kopfe
saust es, und seine Hände krallten sich zusammen.
Ein tödtlicher Grimm steigt ihm in die Höhe,
und auf seiner Zunge verspürt er eilten Ge-
schmack, so bitter wie Galle. O der Schuft,
ächzt er, der Schuft!
Da klingelt es beim alten Grafen. Der
Wagen fährt vor, und Göttlich schreitet hinter
Vater und Sohn die Treppe hinab, bleich bis
in die Lippen, aber still, gefaßt, ergeben. Er
steigt auf den Bock, der Wagen fliegt davon.
Auf dem Landrathsamt im großen Saale drängt
sich eine festliche Versammlung; Amtmänner,
adelige Grundherren, Assessoren, Damen in
Sammt und Seide auf bequemen Lehnstühlen
plaudern und lächeln. An der Thür drängen
sich scheu gebückte, verkümmerte, verwitwete, jämmerliche Leutchen in
schlichtem Rock, in dürftigem Fähnchen; gebeugte Gestalten, die den Stempel
der jahrzehntelangen Frohnde tragen, Furchen auf der Stirn, auf der
zitternden Hand die Schwielen, alte Dienstboten. Heute sollet: sie „für
treue Dienste" prämiirt werdet: mit Bronze- und Silbermedaillen. Ztt
' ihnen gesellt sich Gottlieb. Und er wird zuerst aufgerufen.
Wie im Traum schreitet er vor, auf schwankenden Füßen, die Blicke
ins Leere gerichtet. Schon lobt der Landrath mit schnarrender Stimme
den braven Diener, den dentüthigen Gottlieb. Durch des Junkers Botho
Hand soll ihm die silberne Schaumünze an den Rock geheftet werden. Mit
stivolem Lächeln tritt der
Junker ai: ihn heran. Da
reißt ihm Gottlieb die Münze
aus der Hand, tritt sie mit
Füßen, speit ihm ins Gesicht,
schreit mit heiserer Stimme:
Da hast Du den Dank, Du
Lump, Du Verführer, Du
Schurke, und rennt ihm ein
Messer durch den Leib.
Gottlieb war bald gepackt,
gefesselt und hinter Schloß
und Riegel gebracht. Er ist
im Zuchthaus gestorben. Aber
gebetet und geduckt hat er nicht
mehr bis an sein Ende. Auf
dem Sterbebette im Lazareth
hat er sich noch einmal auf-
gerichtet, als schon der Tod
ihn mit eiskalten: Griffe schüt-
telte und gerufen: Fluch den
Herren!
So ist er gestorben, der
demüthige Gottlieb.
und Alles war vorüber.
.Da hast Du den Dank. Du Lump, Du Verführer'