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1898

Dein deutschen Bürgerthunr.

0 oft im Man die ersten Amseln proben
Mil zögerndem und schüchternem Bedacht,
Da eben erst der eis'ge Dann zerstoben,

Der alle Sänger scheu und stumm gemacht, —
Nührt's uns im Geist M jenem Mär? von hinnen,
In dem so manches Morsche hat gebebt;

Wir lauschen dann mit frisch geschärften Sinnen,
Was wir in Deutschland seit der Zeit erlebt.

L>at sich auch heut'der laute Trost verlaufen,
Der viel ?rr hart den Dienst der Nreiheit fand,

Der gern bereit, die si>ehre ?u verkaufen
Mr einen Titel, für ein Drdensband. —

So trat ein si>eer an der Verräther Stelle,

Das ungebeugt für die Verfebmte sicht,

And stiirme noch so ungestüm die Welle —

Den Nets des Volks zerbricht die Vrandung nicht.

Was einst in edlem, jugendlichem (Lifer
Tür Recht und Wahrheit in die Schranken trat.
Resudelt heute ihr Gewand mit Geifer
Dhnnrächt'ger Wuth als feiler Renegat.

Das freie Wort, sie können's nicht verleihen,
Seitdem des freien Denkens ste entwöhnt —

Sie stehen sicher in den ersten Reihen,

Wo man die Nreiheit steinigt und verhöhnt.

Der Raine blieb, es wechseln nur die -Leute;

Mit Jellachichs Kroaten kämpfte Rlum.

Ginst hieß er Robert — Gänschen heißt er heute,
Dein reinster Typus, deutsches Rürgerthum!

Was sind die Sprüche aller Standgerichte,

Verglichen mit dem unbarmhersigen ösohn,

Den hier verübt die strenge Weltgeschichte:

Der Vater zeugend wider seinen Sohn?

Der Troß verkam seit jenem Mär? unsäglich
Und ward )um Spott der Welt mit seinem Ruhm,
Der Troß verlumpte jämmerlich und kläglich
Leit jenem Mär?: das deutsche Rürgerthum!

Was trotzig einst die Rruff den blauen Rohnen
Auf Rarrikaden bot und in der Schlacht,

Macht jetzt in Staatspapieren, Doppelkronen,

Ist früh und spät nur auf Vrosit bedacht.

Das ist das Resultat, ?it dem wir kamen,

Das ist's, wo?u das Rürgerthum gedieh!

Das Rürgerthum — schon bei.dem bloßen Rainen
Zuckt um die -Lippen herbste Ironie!

Das einst die Rüchse in die Hand genommen,
Verbeugt sich jetzt vor jedem Schilderhaus;

Gs ist von Robert auf den Hans gekommen
Und stellt sich selbst sein Todesrrrtheil aus!

Märzen-Gruß.

Äs leuchtet uns der Lonne Gold
In lichtein Glanze wieder.

Der junge Frühling, schön und hold.
Steigt auf die Lrde nieder.

Auf Sturmesflügeln kam der März,
Den Winter zu verjagen.

Und wieder darf das Menschenherz
In Hoffnung höher schlagen.

So oft die Welt in Kesseln lag
Der Pfaffen und Tyrannen —

Ls kam ein lichter Frühlingstag,

Den tollen Spuk zu bannen.

Lin Sonnenstrahl in Fetzen riß
Der Aebel schwarze Schatten,

Die eingehüllt in Fiusterniß
Den Geist des Volkes hatten.

Lin Tag des März, wie ihn Paris,
Wie ihn Berlin gesehen.

Da den Bedrückten Heil verhieß
Der Freiheitsfahnen Wehen,

Da sich der Dunkelmänner Schaar
In scheuer Angst geflüchtet.

Und fessellos der Proletar
Sein Haupt emporgerichtet!

An solchen Närztag, froh und licht.
Will es uns heut gemahnen.

Wenn durch die Wetterwolken bricht
Das erste Frühlingsahneu.

Denn wieder hat die Reaktion
Den letzten Trumpf gegeben.

Und wieder regt sich allorts schon
Der Geister Freiheitsstreben.

Und wie sie auch in Waffen starrt,
von Klinten und Aanonen,

Wir haben Waffen beff'rer Art,

Die Alte zu entthronen.

Des Geistes Blitz, des Worts Gewalt,
Die Sturmesmacht der Rede,

Die in den Herzen widerhallt,
Lntscheiden heut die Kehde.

Der März ist da, nun ist es Zeit,

Der Kreiheit Raum zu schaffen.

Der Menschengeist, er künde Streit
Den Junkern und den Pfaffen.

Du deutsches Volk, in Zornesglühn
Lrhebe deine Stimme,

Daß sie verstummen und entfliehn
vor deinem Löwengrimme! m. R.

Die linstttblichc Seele Her UftranioiUoncn.

Seit Windthorst gestorben, der die Seele der
Zentrumspartei war, hat Niemand geglaubt, dass
die Schwarzen noch eine Seele haben. Denn au
Bachem, Lieber, Rintelen u. A. war von Seele
oder Geist nie etwas zu spüren.

Aber sie haben doch eine Seele, und was das
Schlimmste ist, sogar eine Seele, die nicht todt-
zumachen ist.

Man würde das den Herren gar nicht ohne
Weiteres glauben, aber sic sind ihrer Sache so
sicher, daß sie in der Umsturzkommission forderten,
man solle das Vorhandensein ihrer unsterblichen
Seele amtlich beglaubigen und Jeden, der daran
zweifelt, mit Geldstrafe und Gefängniß belegen.

So ist er also zum Schweigen gebracht, der
alte Skeptiker Heinrich Heine, welcher im „Ro-
manzero" neckend fragt:

„Hat eine unsterbliche Seele ein Jeder
Von Euch? ist diese Seele von Leder
Oder von steifer Leinwand? . .

Lieber, Gröber und Rintelen haben eine un-
sterbliche Seele, und sie ist wahrscheinlich von
Leder, was man an den Reden dieser Herren
ganz deutlich merken kann.

Wenn aber nun diese Seele mit der Marke
„gesetzlich geschützt" versehen werden soll, so
entspricht es auch den Anforderungen eines wohl-
geordneten Staates, daß sie nicht frei im Raume
vagabondirt, sondern sich in die gesetzliche Ord-
nung einfügt.

Hier erwächst eine schöne Aufgabe für Herrn
v. Koller, welcher in der kurzen Zeit seiner
Amtirung so viel staatsmännische Einsicht und
Intelligenz gezeigt hat, daß man ihm das Schwerste
ruhig anvertrauen kann. Herr von Köller, der
ohnedies schon die alleinseligmachende Polizei-
gewalt proklamirt hat, soll Verordnungen er-
lassen, laut welchen jede Seele polizeilich an-
gemeldet werden, ihre Beschäftigung, ihre
Subsistenzmittel Nachweisen muß und nament-
lich verpflichtet ist, jeden Unizug rechtzeitig an-
zuzeigen, so daß man immer weiß, wo die Seele
hinkommt, die ein lebensmüder Zentrumsmann
aushaucht.

Hat auf diese Weise die Polizei das Seelen-
wesen geregelt, so wird der Miguel kommen,
um die Seelen auch zu besteuern. Es ist in
der That nicht einzusehen, warum wir unsere
Zigarre, die schnell in Rauch aufgeht, besteuern
und dagegen die Seelen des Zentrums gänzlich
steuerfrei lassen sollen. Aus den Seelen der
ultramontanen Parteiführer läßt sich allein schon
eine ganze Anzahl Panzerkreuzer herausschlagen,
denn ein Gegenstand, der vor Angriffen mit den
beabsichtigten schweren Strafen geschützt werden
soll, muß natürlich seinem hohen Werth angemessen
auch hoch besteuert werden.

Erfüllt auf diese Weise die ultramontane
Seele ihre staatsbürgerlichen Pflichten, dann hat
sie aber auch gesetzliche Rechte, z. B. steht es
ihr zu, von der Freizügigkeit Gebrauch zu
machen, und dadurch bekommen die nebelhaften
Theorien von der Seelenwanderung eine reale
Grundlage.
 
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