1915
IDie Vetstundr.
an darf den Arbeitern nur keine Gelegenheit
geben, sich verführen zu lassen, dann bleiben
sie brav und bescheiden."
So sprach der Strumpffabrikant Fürchte-
gott Rosenkranz auS dem kleinen Städtchen Schwarzingen, als er mit
einer Anzahl seiner ultranrontancn Gesinnungsgenossen in der Resi-
denz zusammentraf und dort allerlei schlimme Dinge von der sozialen
Frage hörte.
„Leicht gesagt", erwiderte ihm ein in der Residenz wohnender
Schuhfabrikant, „aber wie kann inan die Arbeiter immer unter Auf-
sicht haben?"
„Bei Euch in der Residenz", ineinte Rosenkranz, „inag das manch-
mal schwer sein, daher sind ja auch die großen Städte das reine Sodom
und Gomorrha. Wir aber in Schwarzingcn wissen besser Ordnung zu
halten, als Ihr klugen Großstädter. Wenn sich bei uns Einer erlauben
Zollte, eine sozialdemokratische Versaniinlung einzubcrufen, so würde sie
^r Bürgermeister, ein gesiirnungstreiies Mitglied des Zentrums, ein-
fach verbieten."
„Aber dagegen könnte der Einberufer doch Beschwerde erheben",
tocu-f ein Großstädter ein.
„Freilich, so viel er Lust hat", sagte die ultramontane Leuchte von
Schwarzingen, „bevor aber darauf Bescheid kommt, hätten wir den
Störenfried zum Städtchen hinausgemaßregelt, und mindestens dürfte
kein Wirth wagen, für solchen sündigen Zweck seinen Saal einzuräumen,
^ie auch jedem Kolporteur sofort das Handwerk gelegt würde, wenn
er sozialdemokratische Schriften ober gar Zeitungen bei uns verbreiten
wollte."
„Und dieses System bewährt sich?" fragte der Schuhfabrikant
skeptisch.
„Unbedingt!" versicherte Rosenkranz. „Bei der letzten Wahl wurden
Schwarzingen sämmtliche Stimmen für den ultramontanen Kandi-
daten abgegeben, mit Ausnahme einer einzigen sozialdemokratischen, die
über wohl nur aus Versehen in die Urne gerathen ist."
„Also doch ein räudiges Schaf", wurde bemerkt.
_ Aber der Schwarzinger Strumpffabrikant war seiner Sache nur
öu sicher.
„Ich will Euch noch mehr sagen", rief er. „Man behauptet immer,
en Arbeitern fehle der rechte Sinn für die Frömmigkeit. Aber auch
"'bsen Mangel haben ivir in Schwarzingen überwunden. Ich habe in
vieincr Fabrik ein größeres Lokal für die Sonntage als Betsaal cin-
richten lassen und eine Betstunde eingerichtet, welche von den Arbeiter»
mit großem Eifer besucht wird."
Die Großstädter schüttelten die Köpfe; von dieser Seite kannten
sie die Arbeiter noch nicht.
„Wer hält die Betstunde? Ein Geistlicher?" wurde gefragt.
„Im Anfang hat sie ein mir befreundeter Dekan gehalten", sagte
Rosenkranz. „Auch ich selbst habe mich einige Male damit befaßt, aber
auf die Dauer war eS mir zu beschwerlich. Doch wir haben einen
höchst gottesfürchtigen und dabei äußerst redegewandten Vorarbeiter, einen
gewissen Matthias Luchs, der hat sich bei den Unterweisungen des DekanS
so gelehrig gezeigt, daß wir ihm die Leitung der Betstunde schon längst
überlassen konnten und nur die von ihm zu seinen frommen Vorträgen
gewählten Themata kontrolliren."
Die Tafelrunde der ultramontanen Residenzler mußte sich nach dieser
Mittheilung als übertrumpft bekennen, denn solche Erfolge hatte noch
keiner der Anwesenden aufzuweisen, am wenigsten auf dem industriellen
Gebiete, wo sich fromme Sprüche sonst gar nicht als geeignet erweisen,
unzureichende Löhne und übermäßige Plackereien annehinbar zu machen.
Und doch hatte der Herr Strumpffabrikant Fürchtegott Rosenkranz
nicht ausgeschnitten. Richten wir unfern Blick nach Schwarzingcn, so
erkennen wir, daß die Fabrik-Betstunde von Arbeitern und Arbeiterinnen
stark besucht und jedem sündigen Wirthshaus vorgezogen wird; es ist
auch richtig, daß die Arbeiter in der Frömmigkeit so weit vorgeschritten
sind, um Prediger und Vorbcter entbehren zu können. Der Arbeiter
Matthias Luchs arrangirt Alles selbst, und die frommen Beter sehen es
höchst ungern, tvenn ihnen Jemand aus dem Herrenhause zu nahe
kommt und ihre Andacht stört.
So waren sie auch an jenem Tage, als der fromme Fürchtegott
Rosenkranz in der Residenz die Vorzüge von Schwarzingcn rühnite,
zahlreich in der Betstunde erschienen und Matthias Luchs ergriff das
Wort zur Predigt und sprach:
„Meine Lieben! Lasset mich heute vorerst einen Rückblick auf unsere
ersprießlichen Zusammenkünfte geben. In Psalnr 127, 2 sagt König
David ganz richtig: „Den Gerechten giebt's der Herr im Schlaf." Alö
ich zur Zeit der letzten Reichstagswahl meinen Fuß in diese Stadt setzte,
schien es Hierselbst für die Ar-
beitersache trostlos zu stehen.
Schwarz, alles schwarz, unb
nirgends eine Handhabe, um
das Dunkel zu durchbrechen;
denn Unternehiner, Behörden und
| Priester waren einig darin, jede
j selbständige Regung des Volkes
s hintanzuhalten.
„Am Anfang war das Wort."
i
IDie Vetstundr.
an darf den Arbeitern nur keine Gelegenheit
geben, sich verführen zu lassen, dann bleiben
sie brav und bescheiden."
So sprach der Strumpffabrikant Fürchte-
gott Rosenkranz auS dem kleinen Städtchen Schwarzingen, als er mit
einer Anzahl seiner ultranrontancn Gesinnungsgenossen in der Resi-
denz zusammentraf und dort allerlei schlimme Dinge von der sozialen
Frage hörte.
„Leicht gesagt", erwiderte ihm ein in der Residenz wohnender
Schuhfabrikant, „aber wie kann inan die Arbeiter immer unter Auf-
sicht haben?"
„Bei Euch in der Residenz", ineinte Rosenkranz, „inag das manch-
mal schwer sein, daher sind ja auch die großen Städte das reine Sodom
und Gomorrha. Wir aber in Schwarzingcn wissen besser Ordnung zu
halten, als Ihr klugen Großstädter. Wenn sich bei uns Einer erlauben
Zollte, eine sozialdemokratische Versaniinlung einzubcrufen, so würde sie
^r Bürgermeister, ein gesiirnungstreiies Mitglied des Zentrums, ein-
fach verbieten."
„Aber dagegen könnte der Einberufer doch Beschwerde erheben",
tocu-f ein Großstädter ein.
„Freilich, so viel er Lust hat", sagte die ultramontane Leuchte von
Schwarzingen, „bevor aber darauf Bescheid kommt, hätten wir den
Störenfried zum Städtchen hinausgemaßregelt, und mindestens dürfte
kein Wirth wagen, für solchen sündigen Zweck seinen Saal einzuräumen,
^ie auch jedem Kolporteur sofort das Handwerk gelegt würde, wenn
er sozialdemokratische Schriften ober gar Zeitungen bei uns verbreiten
wollte."
„Und dieses System bewährt sich?" fragte der Schuhfabrikant
skeptisch.
„Unbedingt!" versicherte Rosenkranz. „Bei der letzten Wahl wurden
Schwarzingen sämmtliche Stimmen für den ultramontanen Kandi-
daten abgegeben, mit Ausnahme einer einzigen sozialdemokratischen, die
über wohl nur aus Versehen in die Urne gerathen ist."
„Also doch ein räudiges Schaf", wurde bemerkt.
_ Aber der Schwarzinger Strumpffabrikant war seiner Sache nur
öu sicher.
„Ich will Euch noch mehr sagen", rief er. „Man behauptet immer,
en Arbeitern fehle der rechte Sinn für die Frömmigkeit. Aber auch
"'bsen Mangel haben ivir in Schwarzingen überwunden. Ich habe in
vieincr Fabrik ein größeres Lokal für die Sonntage als Betsaal cin-
richten lassen und eine Betstunde eingerichtet, welche von den Arbeiter»
mit großem Eifer besucht wird."
Die Großstädter schüttelten die Köpfe; von dieser Seite kannten
sie die Arbeiter noch nicht.
„Wer hält die Betstunde? Ein Geistlicher?" wurde gefragt.
„Im Anfang hat sie ein mir befreundeter Dekan gehalten", sagte
Rosenkranz. „Auch ich selbst habe mich einige Male damit befaßt, aber
auf die Dauer war eS mir zu beschwerlich. Doch wir haben einen
höchst gottesfürchtigen und dabei äußerst redegewandten Vorarbeiter, einen
gewissen Matthias Luchs, der hat sich bei den Unterweisungen des DekanS
so gelehrig gezeigt, daß wir ihm die Leitung der Betstunde schon längst
überlassen konnten und nur die von ihm zu seinen frommen Vorträgen
gewählten Themata kontrolliren."
Die Tafelrunde der ultramontanen Residenzler mußte sich nach dieser
Mittheilung als übertrumpft bekennen, denn solche Erfolge hatte noch
keiner der Anwesenden aufzuweisen, am wenigsten auf dem industriellen
Gebiete, wo sich fromme Sprüche sonst gar nicht als geeignet erweisen,
unzureichende Löhne und übermäßige Plackereien annehinbar zu machen.
Und doch hatte der Herr Strumpffabrikant Fürchtegott Rosenkranz
nicht ausgeschnitten. Richten wir unfern Blick nach Schwarzingcn, so
erkennen wir, daß die Fabrik-Betstunde von Arbeitern und Arbeiterinnen
stark besucht und jedem sündigen Wirthshaus vorgezogen wird; es ist
auch richtig, daß die Arbeiter in der Frömmigkeit so weit vorgeschritten
sind, um Prediger und Vorbcter entbehren zu können. Der Arbeiter
Matthias Luchs arrangirt Alles selbst, und die frommen Beter sehen es
höchst ungern, tvenn ihnen Jemand aus dem Herrenhause zu nahe
kommt und ihre Andacht stört.
So waren sie auch an jenem Tage, als der fromme Fürchtegott
Rosenkranz in der Residenz die Vorzüge von Schwarzingcn rühnite,
zahlreich in der Betstunde erschienen und Matthias Luchs ergriff das
Wort zur Predigt und sprach:
„Meine Lieben! Lasset mich heute vorerst einen Rückblick auf unsere
ersprießlichen Zusammenkünfte geben. In Psalnr 127, 2 sagt König
David ganz richtig: „Den Gerechten giebt's der Herr im Schlaf." Alö
ich zur Zeit der letzten Reichstagswahl meinen Fuß in diese Stadt setzte,
schien es Hierselbst für die Ar-
beitersache trostlos zu stehen.
Schwarz, alles schwarz, unb
nirgends eine Handhabe, um
das Dunkel zu durchbrechen;
denn Unternehiner, Behörden und
| Priester waren einig darin, jede
j selbständige Regung des Volkes
s hintanzuhalten.
„Am Anfang war das Wort."
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