1923
Benazares
ließ sich das
Studium sehr
angelegen
sein; er wußte
sehr bald im
römischen
Rechte so ge-
nau Bescheid,
wie in der
Sterngasse der
Universitäts-
stadt allwo
sich eine Wit-
tib befand, die
junge Studen-
ten mit Wein
und Bier er-
quickte , und
letzteres von
zarten Damen-
händen servi-
ren ließ, Be-
nazares lernte
bis zu dreißig
Schoppen
trinken, was
wohl seinen
Beutel leerte,
aber dafür bei
besagter Wit-
tib ihn in ein
hohesAnsehen
brachte, und
seinem Stu-
dium auch
sonst förderlich war. Nachdem sein Gesicht auf den Paukereien mit
verschiedenen Auszeichnungen bedeckt worden war, erklärte alles ein-
stinunig, der junge Orientale sei reif zum Justizminister und befähigt,
die Rechtsverhältnisse seines Vaterlandes im modernen Sinne um-
zugestalten.
Nach einem dreitägigen Abschiedskommers, der sein Ende in der
Sterngasse bei der Wittib und ihren holde» Feen fand, trat Benazares
die Heimreise an, ausgezeichnet mit dem Diplom des Doktors dreier
Rechte: des geistlichen, weltlichen und römischen, und einer „brillant
gehauenen Tiefquart". Er ward im Vaterlande, aber ganz besonders
von der schönen Aminta, mit offenen Armen und allen Ehren em-
pfangen und zum Allerhöchst Kalifischen Leibjustiz-Reformer ernannt-
Im Aufträge des Kalifen arbeitete er denn auch eine neue Justiz-
reform aus, die alsbald praktisch erprobt werden sollte.
Einer der reichsten Kaufleute hatte einen Maulthiertreiber bei
Nacht und Nebel zur Abholung einer werthvollen Ladung Maaren
ausgesendet. Der Maulthiertreiber war auf dem gefähr-
lichen Wege sammt Thier und Ladung umgekommen.
Der Kaufmann hatte darauf hin
die Hütte und den Acker des Ver-
unglückten mit Beschlag belegen
lassen, während dessen Witwe
nicht nur dagegen Einspruch er-
hob, sondern auch Schadenersatz
wegen Verlusts ihres Mannes ver-
langte.
Der zuständige Kadi hatte
nun verfügt, daß der Maulthier-
treiber im Auftrag des Kaufmanns
gehandelt und den Verlust erweis-
lich nicht verschuldet habe, die-
Witwe könnte deshalb nicht haft-
bar gemacht werden, vielmehr stehe
% als Trägerin eines größeren
Verlusts, den
ihres unglück-
lichen Man-
nes, eine bil-
lige Entschädi-
gung zu.
Ein allge-
meiner Sturm
der Entrüst-
ung über die-
ses Urtheil er-
ging darauf
alsbald von
der gesamm-
ten profitsüch-
tigen Kauf-
mannschaft
des Landes
und verlangte
Abhilfe durch
den guten Ka-
lifen Amru III.
Und nun
kam Benaza-
res mit seinem
neuen Justiz-
Reformgesetz,
das vollstän-
dige Klarheit
in die dunkle
Angelegenheit
und die gänz-
lich veralteten
Rechtsbegriffe
des Kadis
brachte.
Er ließ einen Maulesel an die Gerichtsstelle bringen und richtete
an das begierig harrende Publikum die Frage:
„Was wird für den Maulesel geboten?"
Die Gebote steigerten sich bis zum ortsüblichen Preise.
Sodann ließ er einen Treiber vortreten und fragte:
„Was wird für de» Treiber geboten?"
Kein Mensch bot einen Denar.
„Mauleseltreiber kann man jederzeit so viele haben, wie man
braucht, die haben keinen Kaufpreis!" hieß es.
„Sie sehen also", begann der neue Chef der Gerechtigkeitspflege
mit Salbung, „ein Maulesel hat für seine Mitmenschen einen reellen
Werth, der Treiber aber nicht. Folglich kann auch nur der Verlust
des Maulthiers und der von ihm getragenen Maaren in Betracht
gezogen werden; beides hat die Witwe des Treibers zu ersetzen. Der
Treiber aber hat, wie sich hier klar herausgestellt, keinen materiell
festzusetzenden Werth, kann also auch vom Gericht nicht weiter in
Betracht gezogen werden, weshalb die Gegenklägerin abzuweisen
ist, und zwar von Rechts wegen."
Ein Jubelschrei erscholl ob dieses salomonischen Urtheils
von Seiten der gesummten Geschäftswelt des
Landes. Das gemeine Volk aber, das da-
gegen murrte, wurde mit Baston-
naden bestraft, sintemalen die
Prügelstrafe im Morgenlande noch
nicht abgeschafft ist. Die erziehliche
Wirkung des Stockes wurde aufs
schlagendste nachgewiesen.
Die Klagen über schlechte Justiz-
handhabung im Reiche Amru's
verstummten, und der gute Kalif
erfreute sich bis ans Ende seiner
Tage des heißersehnten Ruhmes,
der Gerechteste im ganzen Morgen-
lande zu heißen.
. . . Ein Maulesel hat für seinen Mitmenschen einen reellen Werth, ein Treiber aber nicht/'
Benazares
ließ sich das
Studium sehr
angelegen
sein; er wußte
sehr bald im
römischen
Rechte so ge-
nau Bescheid,
wie in der
Sterngasse der
Universitäts-
stadt allwo
sich eine Wit-
tib befand, die
junge Studen-
ten mit Wein
und Bier er-
quickte , und
letzteres von
zarten Damen-
händen servi-
ren ließ, Be-
nazares lernte
bis zu dreißig
Schoppen
trinken, was
wohl seinen
Beutel leerte,
aber dafür bei
besagter Wit-
tib ihn in ein
hohesAnsehen
brachte, und
seinem Stu-
dium auch
sonst förderlich war. Nachdem sein Gesicht auf den Paukereien mit
verschiedenen Auszeichnungen bedeckt worden war, erklärte alles ein-
stinunig, der junge Orientale sei reif zum Justizminister und befähigt,
die Rechtsverhältnisse seines Vaterlandes im modernen Sinne um-
zugestalten.
Nach einem dreitägigen Abschiedskommers, der sein Ende in der
Sterngasse bei der Wittib und ihren holde» Feen fand, trat Benazares
die Heimreise an, ausgezeichnet mit dem Diplom des Doktors dreier
Rechte: des geistlichen, weltlichen und römischen, und einer „brillant
gehauenen Tiefquart". Er ward im Vaterlande, aber ganz besonders
von der schönen Aminta, mit offenen Armen und allen Ehren em-
pfangen und zum Allerhöchst Kalifischen Leibjustiz-Reformer ernannt-
Im Aufträge des Kalifen arbeitete er denn auch eine neue Justiz-
reform aus, die alsbald praktisch erprobt werden sollte.
Einer der reichsten Kaufleute hatte einen Maulthiertreiber bei
Nacht und Nebel zur Abholung einer werthvollen Ladung Maaren
ausgesendet. Der Maulthiertreiber war auf dem gefähr-
lichen Wege sammt Thier und Ladung umgekommen.
Der Kaufmann hatte darauf hin
die Hütte und den Acker des Ver-
unglückten mit Beschlag belegen
lassen, während dessen Witwe
nicht nur dagegen Einspruch er-
hob, sondern auch Schadenersatz
wegen Verlusts ihres Mannes ver-
langte.
Der zuständige Kadi hatte
nun verfügt, daß der Maulthier-
treiber im Auftrag des Kaufmanns
gehandelt und den Verlust erweis-
lich nicht verschuldet habe, die-
Witwe könnte deshalb nicht haft-
bar gemacht werden, vielmehr stehe
% als Trägerin eines größeren
Verlusts, den
ihres unglück-
lichen Man-
nes, eine bil-
lige Entschädi-
gung zu.
Ein allge-
meiner Sturm
der Entrüst-
ung über die-
ses Urtheil er-
ging darauf
alsbald von
der gesamm-
ten profitsüch-
tigen Kauf-
mannschaft
des Landes
und verlangte
Abhilfe durch
den guten Ka-
lifen Amru III.
Und nun
kam Benaza-
res mit seinem
neuen Justiz-
Reformgesetz,
das vollstän-
dige Klarheit
in die dunkle
Angelegenheit
und die gänz-
lich veralteten
Rechtsbegriffe
des Kadis
brachte.
Er ließ einen Maulesel an die Gerichtsstelle bringen und richtete
an das begierig harrende Publikum die Frage:
„Was wird für den Maulesel geboten?"
Die Gebote steigerten sich bis zum ortsüblichen Preise.
Sodann ließ er einen Treiber vortreten und fragte:
„Was wird für de» Treiber geboten?"
Kein Mensch bot einen Denar.
„Mauleseltreiber kann man jederzeit so viele haben, wie man
braucht, die haben keinen Kaufpreis!" hieß es.
„Sie sehen also", begann der neue Chef der Gerechtigkeitspflege
mit Salbung, „ein Maulesel hat für seine Mitmenschen einen reellen
Werth, der Treiber aber nicht. Folglich kann auch nur der Verlust
des Maulthiers und der von ihm getragenen Maaren in Betracht
gezogen werden; beides hat die Witwe des Treibers zu ersetzen. Der
Treiber aber hat, wie sich hier klar herausgestellt, keinen materiell
festzusetzenden Werth, kann also auch vom Gericht nicht weiter in
Betracht gezogen werden, weshalb die Gegenklägerin abzuweisen
ist, und zwar von Rechts wegen."
Ein Jubelschrei erscholl ob dieses salomonischen Urtheils
von Seiten der gesummten Geschäftswelt des
Landes. Das gemeine Volk aber, das da-
gegen murrte, wurde mit Baston-
naden bestraft, sintemalen die
Prügelstrafe im Morgenlande noch
nicht abgeschafft ist. Die erziehliche
Wirkung des Stockes wurde aufs
schlagendste nachgewiesen.
Die Klagen über schlechte Justiz-
handhabung im Reiche Amru's
verstummten, und der gute Kalif
erfreute sich bis ans Ende seiner
Tage des heißersehnten Ruhmes,
der Gerechteste im ganzen Morgen-
lande zu heißen.
. . . Ein Maulesel hat für seinen Mitmenschen einen reellen Werth, ein Treiber aber nicht/'