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1927

„So steh' doch auf, Du Dickkopf, Du Träumer, Du deutsche Schlafmlltze."

'u lässigem Behagen, und pfiffig blinzelt der Mond auf den Schläfer,
J>n Dorfe schlägt es Mitternacht, hell klingt die Glocke in die stille
Luft hinein, ein Schlag ertönt nach dem andern, zwölf Schläge, Und da
raunt's und rennt's, da tönt'S und rafaunt's urplötzlich in Höhen und
Schluchten, Da schlüpft's anS den Ritzen und Spalten, da fteigt'S herab
uus den hohlen Stämmen, da springen die Steinwände auf. Es raschelt
^ld flüstert, es summt und säuselt aus dem Grault und aus der Quelle,
tausend Gnomen sind entfesselt, der Zauber der Walpurgisnacht webt
Zürich die Natur. Hier ein Zug bärtiger, ernster Zwerge in Vergmanns-
^ucht, das Grubenlicht am Mützchen, das Gezähc in der Faust, das
?auze eine würdevolle Prozession ernster Männlein, die ihres WertheS
uch wohl bervnßt find.

Nun fährt's durch die Lüfte mit Hojotoho und Hussa und Halloh,
auf schäumenden Rennern der wilde Jäger und sein Gefolge, stattliche
Weiber mit wogendem Busen und leuchtendem Blicke, kühne Landsknechte
und schlanke Knappen. Aus weißer Wolke zieht dahin Frau Holle, die
Weise, die Spenderin des Guten und Bösen, sie spinnt am Weltrocken
ugd schüttelt ihr Bett, und hunderttausend Flocken huschen umher.

Auf der Wiese stammt ein Feuer, himmelhoch züngelnd, mit rother
Gluth die Felsen bestrahlend. Hierher führt Alle ihr Weg. Da kreisen
die Becher, da rollen die Würfel, da dreht sich die jubelnde Schaar in
heitrem Reigen. Auf dünnem Besen kommen sie geritten, Frau Grct
und Frau Trude, die bösen Heren. Die hat dem Bauern die Kühe
verzaubert, und jene mit bösem Blick die junge Saat verdorren gemacht.
Hell quinquilircn Flöte und Pfeife. Die Fiedel streicht mit munterem
Schwünge ein derber Faun aus Fabelland, mit krummer Nase, mit
Horn und Bocksschwanz.

„So steh' doch auf, Du Dickkopf, Du Träumer, Du deutsche Schlaf-
mütze, so steh'doch auf!" Unseren Wanderer schüttelt ein Kerlchen, drei
Fuß hoch, urkräftig an den Schultern, kitzelt ihn mit seinem spitzen
Kinnbart an der Nase und schilt wie ein Rohrspatz. „Aufgewacht, junger
Herr!" Der fährt auf, schaut verwirrt um sich und läßt sich von dem
Kleinen zur Wiese führen. Der Kleine spricht: „Daß Ihr Deutschen
geduldiger seid, als Schafe, ich weiß es; daß Ihr schlaft, wenn es Zeit
ist zu wachen, ich weiß es auch. Sieh, ich bin ein alter Bekannter
von Dir, ich bin Rumpelstilzchen, der durch die Märchen aller Kultur-
völker geht. Aber ich lebe, wie Du siehst."

Sie standen auf der Erhöhung, wo die Musikanten ihre Tanz-
weisen spielten. Da löst sich auö dem Dickicht ein Mann, einen rochen
Mantel trägt er um die Schultern, den linken Fuß schleppt er nach,
und einäugig ist er. „Ich bin der Teufel, sagt er, doch erschrick nicht,
nur die Ehristenpfaffen habe:: mich dazu gemacht. Ich bin der Gott
Wotan und auch als Teufel eine ganz respektable Person."

Unserem Schneidergcsellen riß jetzt der Geduldsfaden. Er sprang
leichtfüßig in die Höhe und schrie: „In Dreiteufelsnamen, Hiimnel-
herrgottschwerenoth, glauben Sie, Verehrtester, ich ließe mich durch Ihre
Maskerade imponiren? Das ist alles Schwindel, Lug und Trug. Es
gicbt keinen Teufel, es giebt keine Götter, es giebt keine Gespenster.
Glauben Sie etwa, ich sei ein dummer Bauer? Ich bin ein Atheist
und ich heiße Jobst Obermayer."

Der Herr im rothen Mantel hob die Hand, eine schmetternde
Fanfare, ein wahrer Herensabbath der Töne schloß dem tapferen Schneider
den Mund.

„Belieben der junge Herr, der Herr Voltaire II., allergnädigst unsere
Festaufführung anzusehen und dann zu urtheilen", rief Rumpelstilzchen.
„Wie können Sie so frech sein, Sie deutsche Schneidcrseele, mir, einem
Internationalen, der in allen Märchenbüchern von Indien bis Island
lebt, nicht zu glauben? Und nun gar Widerspruch gegen den aller-
höchstseligen Wotan, den Teufel, der Euch alle am Kragen hat? Wir
eristirten nicht, wir wären Lug und Trug? Und dabei spricht dieser
hartköpfige Nadelheld, dieser Bügeleisenritter, dieser Plättbolzenkavalier,
dieser Fingerhutbaron mit uns. Kann Er reden mit Jemand, der nicht
ist? Schäm' Er sich, Herr Schwerenöther!"

Nun fiel ein Zymbelschall und Geigcnklang ein, so süß und lind,
wie ein Kuß in einer Maiennacht. Unserem tapferen Schneiderlein
ward es so wohlig ums Herz, das Blut floß schneller, der Puls ging
in rascherem Takt. Von der Bergwiese verschwand das luftige, lose
Volk, die Bühne wurde frei. Aus dem Walde kam eine holde Gestalt
geschritten mit goldblondem Haar und schlohweißer Haut; die Augen
schimmerten wie ein Gebirgssee, so dunkel und unergründlich. Das
 
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